Sanguis martyrum - Das Geiseldrama von Bagdad am Vorabend zu Allerheiligen 2010
[Hochgeholt aus aktuellem Anlass]
Ein Gastbeitrag von Olaf Tannenberg.
Am Heiligen Abend des Jahres 2009 sagte der junge Pater Taher al-Qasboutros, ein Priester der syrisch-katholischen Kirche im Irak, in einem Interview gegenüber der FAZ: »Als Christen in der Nachfolge Christi haben wir immer Hoffnung, und diese Hoffnung geben wir unseren Kindern weiter. Hätten wir keine Hoffnung mehr, wie sollten sie die Kinder haben?« Vielleicht dachte er in diesem Augenblick an jene Kinder, die nach dem Besuch der Schule auf dem Gelände seiner Kirche an einer Grotte mit der Marienstatue stets kurz innehielten, bevor sie heimgingen. Vielleicht. Wir wissen es nicht. Und Pater Taher kann es uns nicht mehr sagen.
Denn kaum mehr als zehn Monate später, am 31. Oktober 2010, wurde Pater Taher in der Sayidat-al-Nejat-Kathedrale (Kathedrale Unserer Lieben Frau von der Erlösung) in Bagdad von Mitgliedern der Terrororganisation ›Islamischer Staat Irak‹, eines Ablegers der Al-Qaida, vor dem Altar erschossen. Wenige Augenblicke zuvor starb sein jüngerer Amtsbruder, Pater Wassim Sabih, durch die Kugel aus der Pistole eines der Terroristen. Er opferte sich. Er bot den Angreifern für die Leben seiner Gemeindemitglieder sein eigenes an und erlitt den Tod eines Märtyrers. Neben den beiden tapferen Priestern, die von ihrer Gemeinde als mutig und unerschrocken verehrt wurden, starben weitere 66 Menschen: 54 Christen, die friedlich die heilige Messe feierten, sieben Sicherheitskräfte und schließlich die fünf Terroristen selbst. Etwa 60 Menschen wurden verletzt.[1]
Das Verhängnis begann gegen 17:00 Uhr mit dem ergebnislosen Versuch einer Gruppe Bewaffneter, die Börse in Bagdad zu stürmen. Sicherheitskräfte schlugen die Angreifer zurück, wobei zwei der Wachleute getötet wurden. Dass es sich um ein Ablenkungsmanöver für ein noch weitaus brutaleres Vorhaben handelte, wusste neben den Terroristen zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Denn das eigentliche Ziel des Kommandos war die gegenüber der Börse im Stadtviertel Karrada liegende Sayidat-al-Nejat-Kathedrale, in der gerade die Nachmittagsmesse begonnen hatte. Mehr als einhundert Gläubige waren in der Bischofskirche zusammengekommen. Als die ersten Schüsse zu hören waren, bat Pater Wassim nichtsahnend um die Fortsetzung des Gebets. Denn Gewehrfeuer ist nicht selten im heutigen Bagdad.
Den Schüssen folgte eine Explosion. Die Angreifer hatten nun das schwere Tor zum Innenhof der Kathedrale gesprengt und die Sicherheitsbeamten erschossen. In der Kathedrale suchten indes etwa 50 Christen Schutz in der Sakristei und verbarrikadierten die Tür mit einem Schrank, als die Bewaffneten die Kirche stürmten. Hier stellte sich Pater Wassim ihnen entgegen und bot sein eigenes Leben für das der anderen Christen. Er musste sich auf den Boden setzen und wurde hingerichtet.
Pater Taher blieb entschlossen am Altar stehen und wurde ebenfalls ermordet, während die übrigen rund 50 Christen in der Kathedrale verzweifelt nach Deckung suchten. Mehr als einhundert Menschen befanden sich in der Hand der erbarmungslosen Geiselnehmer und waren ihnen hilflos ausgeliefert. Deren Forderung: Freilassung aller inhaftierten Mitglieder der Al-Qaida im Irak und in Ägypten.
Die Motivation des Terrorkommandos, unmittelbar nach dem Überfall auf einer islamistischen Website veröffentlicht: »Eine zornige Gruppe von Mudschaheddin hat eine dreckige Höhle der Götzenanbeter gestürmt«, war da in hasserfülltem Duktus zu lesen, »die als Stützpunkt der Christen gegen den Islam genutzt wird.« Daneben war die Rede von zwei angeblich in koptischen Klöstern festgehaltenen Frauen, die zum Islam konvertiert waren. Im Original: »Wir helfen unseren schwachen gefangenen muslimischen Schwestern, die in Klöstern des Unglaubens und Kirchen des Götzendienstes gefangen sind.« Innerhalb von 48 Stunden sollten auch sie freigelassen werden, so die Forderung der Terroristen, die auch gleich mit der Erschießung von Geiseln begannen. Inzwischen hatten Anwohner die Bagdader Polizei informiert, diese wiederum die Antiterroreinheit der irakischen Armee. Die Befreiung der Geiseln wurde vorbereitet, zur Unterstützung lieferte eine US-Aufklärungsdrohne aktuelle Luftaufnahmen.
Unmittelbar vor der Erstürmung der Kathedrale durch die Antiterroreinheit entdeckten jedoch die Terroristen die in die Sakristei geflohenen Christen und warfen drei Handgranaten in den Raum. In diesem Moment begann der Zugriff der Sicherheitskräfte. Daraufhin zündeten einige der Terroristen ihre Sprengstoffgürtel. Die Folgen dieses blutigen Wahnsinns waren derart entsetzlich, dass selbst für Fachleute eine Rekonstruktion dazu, wie viele Menschen hingerichtet wurden, durch den Schusswechsel umkamen oder von den Sprengladungen zerfetzt wurden, nicht mehr möglich war. Etwa 60 Menschen schwer verwundete Menschen irrten danach in dem Inferno zwischen den schrecklich zugerichteten, auf dem kalten Boden der Kathedrale liegenden Überresten der 70 Toten herum.
Die Welt reagierte mit Entsetzen. Einige Aussagen seien hier stellvertretend wiedergegeben. »Nicht einmal Tiere tun so etwas«, sagte fassungslos der chaldäische Bischof Schlimon Warduni, und Athanase Matti Schaba Matoka, der Erzbischof der vom Anschlag betroffenen syrisch-katholischen Kirche, rief die Weltgemeinschaft dazu auf, die irakischen Christen endlich zu schützen. »Die Gläubigen im Stich zu lassen, ist kriminell.« Der Heilige Vater bezeichnete die Untat als »absurde und grausame Gewalt«, die deutschen Bischöfe redeten von »mörderischem Fanatismus«, während die deutsche Bundesregierung sich »entsetzt und traurig« äußerte. Frankreich übernahm immerhin die medizinische Versorgung von 36 Verletzten und sagte die Aufnahme von insgesamt 150 Anschlagsopfern zu. Der Trauergottesdienst für die Ermordeten am 2. November 2010 wurde von Kardinal Emanuel III. Deli, Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, geleitet. Im August 2011 wurden drei Drahtzieher des Anschlags von einem Bagdader Gericht zum Tode verurteilt, ein vierter Angeklagter bekam 20 Jahre Gefängnis.
Mit diesen Eindrücken endet der erste Beitrag der Reihe. Eine Betrachtung der allgemeinen Lage der Christen im Irak wird sich in Kürze ergänzend anschließen.
Es bleibt heute zum Jahrestag nur die Bitte um Gebet. Beten wir für den wunderbaren Pater Wassim Sabih, der todesmutig sein Leben für seine Gemeinde hingab, und für den beeindruckenden Pater Taher al-Qasboutros, der unerschrocken am Altar ausharrte. Für die ermordeten Schwestern und Brüder und deren Hinterbliebene. Für die Verletzten. Für alle unter bitterster Verfolgung leidenden Christen im Irak und für die getöteten Sicherheitskräfte, die in Erfüllung ihrer Pflicht zu Tode kamen. Und - so schwer es auch fallen mag - für die hasserfüllten Mörder, auch wenn diese für die Schuldlosen keine Gnade fanden.
Pax vobiscum!
[1] Da die Angaben in den jeweiligen Quellen sich voneinander unterscheiden, werden hier die meistgenannten Zahlen als am wahrscheinlichsten übernommen.
Ein Gastbeitrag von Olaf Tannenberg.
Am Heiligen Abend des Jahres 2009 sagte der junge Pater Taher al-Qasboutros, ein Priester der syrisch-katholischen Kirche im Irak, in einem Interview gegenüber der FAZ: »Als Christen in der Nachfolge Christi haben wir immer Hoffnung, und diese Hoffnung geben wir unseren Kindern weiter. Hätten wir keine Hoffnung mehr, wie sollten sie die Kinder haben?« Vielleicht dachte er in diesem Augenblick an jene Kinder, die nach dem Besuch der Schule auf dem Gelände seiner Kirche an einer Grotte mit der Marienstatue stets kurz innehielten, bevor sie heimgingen. Vielleicht. Wir wissen es nicht. Und Pater Taher kann es uns nicht mehr sagen.
Denn kaum mehr als zehn Monate später, am 31. Oktober 2010, wurde Pater Taher in der Sayidat-al-Nejat-Kathedrale (Kathedrale Unserer Lieben Frau von der Erlösung) in Bagdad von Mitgliedern der Terrororganisation ›Islamischer Staat Irak‹, eines Ablegers der Al-Qaida, vor dem Altar erschossen. Wenige Augenblicke zuvor starb sein jüngerer Amtsbruder, Pater Wassim Sabih, durch die Kugel aus der Pistole eines der Terroristen. Er opferte sich. Er bot den Angreifern für die Leben seiner Gemeindemitglieder sein eigenes an und erlitt den Tod eines Märtyrers. Neben den beiden tapferen Priestern, die von ihrer Gemeinde als mutig und unerschrocken verehrt wurden, starben weitere 66 Menschen: 54 Christen, die friedlich die heilige Messe feierten, sieben Sicherheitskräfte und schließlich die fünf Terroristen selbst. Etwa 60 Menschen wurden verletzt.[1]
Das Verhängnis begann gegen 17:00 Uhr mit dem ergebnislosen Versuch einer Gruppe Bewaffneter, die Börse in Bagdad zu stürmen. Sicherheitskräfte schlugen die Angreifer zurück, wobei zwei der Wachleute getötet wurden. Dass es sich um ein Ablenkungsmanöver für ein noch weitaus brutaleres Vorhaben handelte, wusste neben den Terroristen zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Denn das eigentliche Ziel des Kommandos war die gegenüber der Börse im Stadtviertel Karrada liegende Sayidat-al-Nejat-Kathedrale, in der gerade die Nachmittagsmesse begonnen hatte. Mehr als einhundert Gläubige waren in der Bischofskirche zusammengekommen. Als die ersten Schüsse zu hören waren, bat Pater Wassim nichtsahnend um die Fortsetzung des Gebets. Denn Gewehrfeuer ist nicht selten im heutigen Bagdad.
Den Schüssen folgte eine Explosion. Die Angreifer hatten nun das schwere Tor zum Innenhof der Kathedrale gesprengt und die Sicherheitsbeamten erschossen. In der Kathedrale suchten indes etwa 50 Christen Schutz in der Sakristei und verbarrikadierten die Tür mit einem Schrank, als die Bewaffneten die Kirche stürmten. Hier stellte sich Pater Wassim ihnen entgegen und bot sein eigenes Leben für das der anderen Christen. Er musste sich auf den Boden setzen und wurde hingerichtet.
Pater Taher blieb entschlossen am Altar stehen und wurde ebenfalls ermordet, während die übrigen rund 50 Christen in der Kathedrale verzweifelt nach Deckung suchten. Mehr als einhundert Menschen befanden sich in der Hand der erbarmungslosen Geiselnehmer und waren ihnen hilflos ausgeliefert. Deren Forderung: Freilassung aller inhaftierten Mitglieder der Al-Qaida im Irak und in Ägypten.
Die Motivation des Terrorkommandos, unmittelbar nach dem Überfall auf einer islamistischen Website veröffentlicht: »Eine zornige Gruppe von Mudschaheddin hat eine dreckige Höhle der Götzenanbeter gestürmt«, war da in hasserfülltem Duktus zu lesen, »die als Stützpunkt der Christen gegen den Islam genutzt wird.« Daneben war die Rede von zwei angeblich in koptischen Klöstern festgehaltenen Frauen, die zum Islam konvertiert waren. Im Original: »Wir helfen unseren schwachen gefangenen muslimischen Schwestern, die in Klöstern des Unglaubens und Kirchen des Götzendienstes gefangen sind.« Innerhalb von 48 Stunden sollten auch sie freigelassen werden, so die Forderung der Terroristen, die auch gleich mit der Erschießung von Geiseln begannen. Inzwischen hatten Anwohner die Bagdader Polizei informiert, diese wiederum die Antiterroreinheit der irakischen Armee. Die Befreiung der Geiseln wurde vorbereitet, zur Unterstützung lieferte eine US-Aufklärungsdrohne aktuelle Luftaufnahmen.
Unmittelbar vor der Erstürmung der Kathedrale durch die Antiterroreinheit entdeckten jedoch die Terroristen die in die Sakristei geflohenen Christen und warfen drei Handgranaten in den Raum. In diesem Moment begann der Zugriff der Sicherheitskräfte. Daraufhin zündeten einige der Terroristen ihre Sprengstoffgürtel. Die Folgen dieses blutigen Wahnsinns waren derart entsetzlich, dass selbst für Fachleute eine Rekonstruktion dazu, wie viele Menschen hingerichtet wurden, durch den Schusswechsel umkamen oder von den Sprengladungen zerfetzt wurden, nicht mehr möglich war. Etwa 60 Menschen schwer verwundete Menschen irrten danach in dem Inferno zwischen den schrecklich zugerichteten, auf dem kalten Boden der Kathedrale liegenden Überresten der 70 Toten herum.
Die Welt reagierte mit Entsetzen. Einige Aussagen seien hier stellvertretend wiedergegeben. »Nicht einmal Tiere tun so etwas«, sagte fassungslos der chaldäische Bischof Schlimon Warduni, und Athanase Matti Schaba Matoka, der Erzbischof der vom Anschlag betroffenen syrisch-katholischen Kirche, rief die Weltgemeinschaft dazu auf, die irakischen Christen endlich zu schützen. »Die Gläubigen im Stich zu lassen, ist kriminell.« Der Heilige Vater bezeichnete die Untat als »absurde und grausame Gewalt«, die deutschen Bischöfe redeten von »mörderischem Fanatismus«, während die deutsche Bundesregierung sich »entsetzt und traurig« äußerte. Frankreich übernahm immerhin die medizinische Versorgung von 36 Verletzten und sagte die Aufnahme von insgesamt 150 Anschlagsopfern zu. Der Trauergottesdienst für die Ermordeten am 2. November 2010 wurde von Kardinal Emanuel III. Deli, Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, geleitet. Im August 2011 wurden drei Drahtzieher des Anschlags von einem Bagdader Gericht zum Tode verurteilt, ein vierter Angeklagter bekam 20 Jahre Gefängnis.
Mit diesen Eindrücken endet der erste Beitrag der Reihe. Eine Betrachtung der allgemeinen Lage der Christen im Irak wird sich in Kürze ergänzend anschließen.
Es bleibt heute zum Jahrestag nur die Bitte um Gebet. Beten wir für den wunderbaren Pater Wassim Sabih, der todesmutig sein Leben für seine Gemeinde hingab, und für den beeindruckenden Pater Taher al-Qasboutros, der unerschrocken am Altar ausharrte. Für die ermordeten Schwestern und Brüder und deren Hinterbliebene. Für die Verletzten. Für alle unter bitterster Verfolgung leidenden Christen im Irak und für die getöteten Sicherheitskräfte, die in Erfüllung ihrer Pflicht zu Tode kamen. Und - so schwer es auch fallen mag - für die hasserfüllten Mörder, auch wenn diese für die Schuldlosen keine Gnade fanden.
Pax vobiscum!
[1] Da die Angaben in den jeweiligen Quellen sich voneinander unterscheiden, werden hier die meistgenannten Zahlen als am wahrscheinlichsten übernommen.
ElsaLaska - 4. Nov, 19:32
natum De Maria virgine,
Vere passum, immolatum
In cruce pro homine,
Cujus latus perforatum
Fluxit unda_et sanguine;
Esto nobis praegustatum
Mortis in examine!
Wunderschön!!!!
Mozart's Ave Verum,
Trotzdem möchte ich ergänzen, auch andere Komponisten haben diesen Text vertont und an eine ganz weit "Vorne-Stellung" gehört auch Camille Sans Saens Interpretation, die hier von dem Handel Choir of Baltimore
http://www.youtube.com/watch?v=x1XjWrmbrF4
recht gut wiedergegeben wird.
@ G. Hohm
das von mir verlinkte Ave Verum ist nicht das von Mozart sondern eine gregorianische Fassung.
@Elsa
wenn ich das ganze nicht schon hundert Mal gesungen hätte, würde ich mich jetzt nicht so ärgern. Das war wohl ein echter Freud.
Aber wenn ich nun schon erneutl hier bin, möchte ich dann doch noch eine weitere wunderschöne Fassung des Ave Verum Corpus ins Spiel bringen, nämlich die Interpretation von Francis Poulenc, gesungen vom Sofia Vokalensemble:
http://www.youtube.com/watch?feature=endscreen&v=2hRag5bCRPA&NR=1
Ich bitte nochmals um Entschuldigung. ;-)
@Elsa
Hier bitte der richtige Link.:
http://www.youtube.com/watch?v=1E4s5FJgprw