Sanguis martyrum - Die Kopten
[Das Foto zeigt die blutverschmierte Fassade der Kirche in Alexandria nach dem Anschlag 2011]
Ein Gastbeitrag von Olaf Tannenberg.
In seinem traditionellen Weihnachtssegen ›Urbi et Orbi‹ widmete sich der Heilige Vater besonders auch den Geschwistern in Ägypten. Seine Worte: »Mögen in den Ländern Nordafrikas, die auf der Suche nach einer neuen Zukunft einen tiefgreifenden Umbruch erleben - im besonderen in Ägypten, diesem geschätzten und durch die Kindheit Jesu gesegneten Land - die Bürger gemeinsam Gesellschaftsformen aufbauen, die auf die Gerechtigkeit und auf die Achtung der Freiheit und der Würde jedes Menschen gegründet sind.«
Besonders der Bombenanschlag in der Neujahrsnacht 2011 auf die Al-Qiddissine- Kirche in Alexandria stellte eine neue Qualität der Gewalt gegen Christen in Ägypten dar. Die Christen - das sind, neben einer Anzahl kleinerer christlicher Gemeinschaften, darunter die mit Rom unierte koptisch-katholische Kirche, hauptsächlich die Angehörigen der koptisch-orthodoxen Kirche, die zugleich eine Ethnie bilden. Kopte ist das griechische Wort für Ägypter. Die koptische Kirche geht zurück auf den Apostel Markus und gehört zu den ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt. Die Zahl der Kopten wird auf weltweit etwa 11 Millionen geschätzt, von denen aufgrund von Auswanderung, Flucht und mittelbarer Vertreibung rund 1,5 Millionen außerhalb Ägyptens leben, zirka 6.000 von ihnen in Deutschland. [1]
Als eigentliche Nachkommen der Pharaonen verwandelten sie seit dem 1. Jahrhundert Ägypten in ein blühendes christliches Land. Bis im 7. Jahrhundert die Araber einfielen und die weitere Entfaltung des Christentums verhinderten. Seit dieser Zeit leben die Kopten im eigenen Land mit stark eingeschränkten Rechten und unterliegen alltäglicher Benachteiligung, Diskriminierung und Schikane und sind zugleich brutaler Gewalt ausgesetzt. Die Unterdrückung der Kopten ist, seit die Moslems die Mehrheitsgesellschaft bilden, die einzige Konstante in der Entwicklung Ägyptens, die mit den frühen islamischen Regenten begann und sich bis zum Regime Mubarak fortsetzte.
Einige besonders schlimme Gewalttaten:
- 2001 wurden bei den Massakern von El Kosheh 21 Kopten ermordet
- 2006 starb bei Angriffen auf drei Kirchen ein Kopte, weitere 17 wurden verletzt
- 2009, an Weihnachten, wurden sechs Kopten vor der Kirche in Nag Hammadi erschossen
- 2011, am Neujahrstag, starben mindestens 21 Menschen bei einem Bombenanschlag auf die koptische Al-Qiddissine-Kirche in Alexandria, 97 wurden verletzt
- wenige Tage später erschoss ein Polizist den 71-jährigen Fathi Ghattas und verletzte fünf weitere Menschen, wobei der Mörder sich anhand des bei den Kopten auf das rechte Handgelenk tätowierte grüne Kreuz vergewisserte, das seine Opfer tatsächlich Christen waren
- im gleichen Jahr wurden während einer Demonstration in Kairo mindestens 24 Menschen getötet; sie wurden von Panzern der regulären Armee einfach überrollt
Als im Januar 2011 der zarte Wind des ›Arabischen Frühlings‹ auch über Ägypten zu wehen begann, regte sich die Hoffnung auf eine liberale Gesellschaft, in der die Menschenrechte geachtet werden, vom Recht auf freie Meinungsäußerung bis zur Religionsfreiheit. Die Vorzeichen machten Mut. Kreuz und Halbmond begehrten im Land der Pyramiden gemeinsam gegen bitteres Unrecht auf. Christen und Muslime protestierten Seite an Seite gegen den Machthaber Husni Mubarak und dessen despotisches System, sie kämpften miteinander, sorgten sich umeinander, standen sich als Brüder und Schwestern bei - bis ihr gemeinsames Ziel erreicht war. Dann zerfiel das Zweckbündnis, einseitig aufgekündigt von den Muslimbrüdern und anderen radikal-islamischen Kräften. Das milde Lüftchen, das ein besseres Ägypten verhieß, wich dem Pesthauch des Todes.
Für die Islamisten besteht kein Zweifel, wer die Verantwortung für die Proteste gegen das neue, aus den Reihen der Muslimbrüder stammende Staatsoberhaupt Mohammed Mursi trägt: die Christen. »Wenn Mursi auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann reißen wir den Christen die Augen aus«, verkündete der radikale TV- Prediger Abdullah Badr in einem Talk des ägyptischen Senders ›Al Hafez‹. Und der Generalsekretär der Partei für Freiheit und Entwicklung [2], Mohammed Abu Samra, äußerte in einem Interview des Nachrichtensenders ›Al-Arabija‹: »Wenn die Christen sich gegen die Legitimität stellen, dann werden wir äußerste Gewalt anwenden. Wir sind keine Muslimbrüder und auch keine Salafisten, wir sind Dschihadisten.« So die Stimmen und Stimmungen im ›neuen‹ Ägypten.
Christen werden in allen Belangen des gesellschaftlichen Lebens benachteiligt, die Religionsausübung ist eingeschränkt. Offiziell zwar akzeptiert, sind Christen oft Angriffen aus der muslimischen Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt, gegen die sie bei den Behörden kaum Schutz finden und die vom Staat strafrechtlich kaum sanktioniert werden. Jüngste Beispiele hierfür sind u.a. Übergriffe auf christliche Mädchen, denen von fanatisierten muslimischen Frauen das Haar abgeschnitten wird. Auch werden Übertritte vom Islam zum Christentum mit Gefängnis bestraft. Stellvertretend hierfür soll Mohammed Beshoy Hegaz [3] stehen.
Seit die Muslimbrüder die Macht übernommen haben und den Ägyptern eine auf der Scharia basierende Verfassung droht, hat sich für die Christen die Situation noch entschieden verschärft. Und darüber hinaus mussten inmitten der Wirren des politischen Umbruchs und der drohenden Gefahr einer verschärften Islamisierung des Landes die Kopten den Tod ihres Papstes und Patriarchen Schenuda III. beklagen. Sein Nachfolger, Papst Tawadros II. weinte während seiner Inthronisierung ob der Bürde der vor ihm liegenden Aufgaben. Überaus verständlich, angesichts der grimmigen und hasserfüllten Töne, die man aus dem Ägypten dieser Tage vernehmen muss.
Die Situation der ohnehin bedrängten Christen ist nunmehr in mehrfacher Weise dramatisch. Zu den bereits seit Jahrhunderten praktizierten Methoden der Verfolgung und Diskriminierung ist zusätzlich die Bedrohung durch die mögliche Entwicklung Ägyptens zum islamischen ›Gottesstaat‹ hinzu gekommen, nach dessen Recht alle Nichtmuslime zu Menschen zweiter und dritter Klasse degradiert werden, nach dessen Maßstäben die Umma, die Gemeinschaft aller Muslime, zur privilegierten Gesellschaft wird, die alle anderen ausschließt oder mit minderen Rechten ausstattet. Allein, es bleibt die Hoffnung auf Umkehr und auf das Erstarken der säkularen Kräfte, zu denen auch unsere koptischen Geschwister im Glauben gehören.
Heute, am 2. Jahrestag der Untat der Neujahrsnacht 2011, wollen wir der Toten gedenken. Wir wollen uns an die 21 Blutzeugen und ihr Martyrium erinnern und für ihre Angehörigen und alle bedrängten Christen in Ägypten beten. Vergessen wir auch nicht, dass selbst hier in Deutschland die Kopten ihr Weihnachtsfest am 6. Januar 2011 unter Polizeischutz begehen mussten. Lasst uns den feigen Mördern vergeben. Doch lasst uns die Verfolgten nicht vergessen.
Vertrauen wir gemeinsam auf den Herrn.
»Des Pharao Wagen und seine Macht warf er ins Meer.« (Ex 15,4)
Erläuterungen:
[1] wegen stark schwankender Angaben dienen hier als Grundlage die Zahlen der Internationalen
Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM)
[2] politischer Arm der Terrororganisation ›Dschama al-islamiyya‹, die am 17. November 1997 einen
Anschlag auf ausländische Touristen in Luxor verübte, bei dem 62 Menschen starben
[3] siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Mohammed_Hegazy
Literaturempfehlung:
Michael Hesemann: Jesus in Ägypten. Das Geheimnis der Kopten
Der renommierte Historiker und beim Vatikan akkreditierte Journalist lässt die geheimnisvolle
Welt einer uralten christlichen Tradition lebendig werden und beleuchtet die heutige dramatische
Lebenssituation der koptischen Christen.
Ergänzender Link:
Auszüge eines Interviews mit Anba Damian, Generalbischof der Kopten in Deutschland
ElsaLaska - 1. Jan, 00:20
Für diese, lieber Olaf Tannenberg, besten Dank!
Allen Nachtbrevierlern sei ein gutes neues Jahr gewünscht!
Je mehr Menschen vom Leid der Schwestern und Brüder erfahren, je mehr Menschen für sie beten, desto größer ist die Hoffnung der Verfolgten auf eine Zukunft in Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit.
Auch ich wünsche ein gutes neues Jahr!
OT