Eine kleine Soldatin
Schon lange bevor ich mich mit dem Themenfeld und den existentiellen Herausforderungen und Gefährdungen, die der Soldatenberuf mit sich bringt, beschäftigte, habe ich diese Freundin meiner Mamma, die ich stets nur mit "Tante" Soundso anredete, obwohl sie nicht meine Tante ist, als solche wahrgenommen. Diese Tante ist einen guten Kopf kleiner als ich - und ich bin schon nicht gerade hochgewachsen. Dazu ist sie nur etwa halb so schmal, und das immerhin noch in ihrem hohen Alter von 87 Jahren. Sie ist immer noch eine Schönheit, klein, fragil, mit großen blauen Augen, früher waren ihre Haare, immer flott kurzgeschnitten, fuchsbraun, jetzt sind sie schneeweiß. Ihren Mann, eher der Typ "normannischer Kleiderschrank" eines Curd Jürgens und ungefähr zwei Meter größer als sie - okay, ich übertreibe - verlor sie vor fast 40 Jahren. In ihrer stets blitzsauberen Küche hängt ein Kruzifix und Bilder aller ihrer verstorbenen Lieben darunter: Ihr Mann, ihr Vater, ihre greise Mutter, Onkel und soweiter. Als ich ein Kind war, nahm sie mich hin und wieder in die katholische Messe mit. Als ihr Mann starb, wurde ihre Schwester bald pflegebedürftig, sie nahm sie zu sich. Und das, obwohl sie auch lange ihre alte bettlägrige Mutter versorgt hatte. Diese Schwester war sehr gläubig und meine "Tante" gestand mir vor einiger Zeit, da war die Schwester schon Jahre tot, dass sie immer noch nicht abends ins Bett gehen könne, ohne die Gebete zu sprechen, die sie mit ihr gemeinsam am Ende des Tages gesprochen hatte.
Nun kümmert sie sich mit ihren 87 Jahren noch um eine weitere Verwandte, die Hilfe benötigt.
Ich habe niemals ein Wort der Klage oder eine Beschwerde von ihr gehört, weder über das Los anderer noch über ihre eigene Rolle, die sie in deren Leben spielt.
Sie ist ungefähr die zierlichste, schmalste und auf den ersten Blick zerbrechlichste Frau, die ich kenne - noch dazu in diesem Alter - wenn Rehe blaue Augen haben könnten, wäre sie ein Rehlein.
Wenn man manchmal an bestimmte "starke Frauen" denkt, dominante Frauen, vielleicht an die eigene Großmutter, die so war, die eigene Mutter oder eine Tante oder ähnlich, dann ist es, finde ich, meist so, dass diese Frauen auch zuweilen sehr harsch sein konnten. Das ist sie gar nicht. Sie ist auf ihre Art und Weise absolut unbeugsam. Aber sie braucht dafür keine Worte. Sie hat sich einfach nie vor den Herausforderungen in ihrem Leben gebeugt. Man sieht es ihr immer noch an. Sie hat nie die Schultern eingezogen, nie den Rücken gebeugt vor der Macht des Schicksals. Sie wirkt, wenn wir nebeneinanderstehen, vielleicht sogar größer als ich, obwohl sie gut zehn Zentimeter kleiner ist. Und das mit jetzt 87.
Es war mir eine Ehre und eine Freude, ihr heute zu ihrem Geburtstag zu gratulieren. Und es war wunderschön, sie und meine Mamma, die sechs Jahre jünger ist als sie und in leider viel schlechterer Verfassung, sich glücklich umarmen zu sehen. Und weil meine "Tante" eine kleine Soldatin ist und das Prinzip der Triage kennt, hat sie auch keine großen Worte verloren. Sondern sie hat meine Mamma damit glücklich gemacht, dass sie an gemeinsame "wilde" Jugendzeiten erinnerte, an die zahllosen Fassenachten, auf denen sie sich verkleidet, an denen sie ausgelassen getanzt haben. Und so meiner Mamma ein Stückchen Würde zurückgegeben, eben weil sie sie nicht als kranke, demente Person behandelte, die vor ihrer ALS-Erkrankung etwa kein Leben gehabt hätte, oder vielmehr, die jetzt nur noch aus dieser Erkrankung bestehen würde und sonst nichts.
Und ich bin mir sicher, es hat sie nicht unberührt gelassen, ihre alte Freundin so zu erleben.
Aber das macht eben eine echte Kameradin und - auch wenn ich da nicht wirklich mitreden kann - vielleicht eine kleine Soldatin aus.
So stelle ich es mir jedenfalls vor.
Und wenn ich falsch damit liegen sollte, so ist es mir auch gerade egal.
Herzlichen Glückwunsch, liebe "Tante"! Ich bin froh, dass es dich gibt und es soll dich noch lange, lange geben.
Nun kümmert sie sich mit ihren 87 Jahren noch um eine weitere Verwandte, die Hilfe benötigt.
Ich habe niemals ein Wort der Klage oder eine Beschwerde von ihr gehört, weder über das Los anderer noch über ihre eigene Rolle, die sie in deren Leben spielt.
Sie ist ungefähr die zierlichste, schmalste und auf den ersten Blick zerbrechlichste Frau, die ich kenne - noch dazu in diesem Alter - wenn Rehe blaue Augen haben könnten, wäre sie ein Rehlein.
Wenn man manchmal an bestimmte "starke Frauen" denkt, dominante Frauen, vielleicht an die eigene Großmutter, die so war, die eigene Mutter oder eine Tante oder ähnlich, dann ist es, finde ich, meist so, dass diese Frauen auch zuweilen sehr harsch sein konnten. Das ist sie gar nicht. Sie ist auf ihre Art und Weise absolut unbeugsam. Aber sie braucht dafür keine Worte. Sie hat sich einfach nie vor den Herausforderungen in ihrem Leben gebeugt. Man sieht es ihr immer noch an. Sie hat nie die Schultern eingezogen, nie den Rücken gebeugt vor der Macht des Schicksals. Sie wirkt, wenn wir nebeneinanderstehen, vielleicht sogar größer als ich, obwohl sie gut zehn Zentimeter kleiner ist. Und das mit jetzt 87.
Es war mir eine Ehre und eine Freude, ihr heute zu ihrem Geburtstag zu gratulieren. Und es war wunderschön, sie und meine Mamma, die sechs Jahre jünger ist als sie und in leider viel schlechterer Verfassung, sich glücklich umarmen zu sehen. Und weil meine "Tante" eine kleine Soldatin ist und das Prinzip der Triage kennt, hat sie auch keine großen Worte verloren. Sondern sie hat meine Mamma damit glücklich gemacht, dass sie an gemeinsame "wilde" Jugendzeiten erinnerte, an die zahllosen Fassenachten, auf denen sie sich verkleidet, an denen sie ausgelassen getanzt haben. Und so meiner Mamma ein Stückchen Würde zurückgegeben, eben weil sie sie nicht als kranke, demente Person behandelte, die vor ihrer ALS-Erkrankung etwa kein Leben gehabt hätte, oder vielmehr, die jetzt nur noch aus dieser Erkrankung bestehen würde und sonst nichts.
Und ich bin mir sicher, es hat sie nicht unberührt gelassen, ihre alte Freundin so zu erleben.
Aber das macht eben eine echte Kameradin und - auch wenn ich da nicht wirklich mitreden kann - vielleicht eine kleine Soldatin aus.
So stelle ich es mir jedenfalls vor.
Und wenn ich falsch damit liegen sollte, so ist es mir auch gerade egal.
Herzlichen Glückwunsch, liebe "Tante"! Ich bin froh, dass es dich gibt und es soll dich noch lange, lange geben.
ElsaLaska - 23. Nov, 01:18
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