Ein Lied, das nun zu Ende gesungen werden muss
Und der Name des tapferen Kangalrüden war Rhassoul. Und er war prächtig und mächtig anzusehen, wenn er sich inmitten der lagernden Herde erhob.
"Wahrlich", so sagten die Hirten unter sich, wenn sie seines majestätischen Hauptes ansichtig wurden, "dein Urahn muss ein Löwe gewesen sein, den ein schönes Weibchen deiner Rasse so betörte, dass er sich mit ihr paarte." Denn man erzählte sich die Legende, dass die Linie der Kangal entstanden sei, weil ein indischer Großfürst die Frucht einer solch mythischen Verbindung vor Tausenden von Jahren einem befreundeten Herrscher dieses Landstrichs zum Geschenk gemacht habe.
Seinen Großvater, der heute noch an den Feuern der Hirten gerühmt wird wegen seiner tapferen Taten, hatte er nie kennen gelernt. Seine Mutter, die von allen nur ehrfürchtig "Bärentöterin" genannt wurde und die ihn alles lehrte, was er wissen musste, hatte die Felder und Feuer schon längst verlassen. Manchmal noch erschien sie ihm im Traume, doch da war er schon alt und das Wache laufen fiel ihm zusehends schwerer. Tumore fraßen in seinen Knochen und hatten seine edle Stirn schon entstellt. Hatte er früher den respektvollen Abstand zu den Lagerfeuern der Menschen gesucht, so rückte er jetzt näher heran, um seine kalt gewordenen Glieder zu wärmen. Jüngere Hunde liefen nun Patrouille, um die ihnen anvertrauten Schafe und Lämmer vor den Räubern zu schützen. Er beobachtete sie voller Stolz - und auch mit ein wenig Wehmut. Doch im Gegensatz zu ihnen bekam er öfter ein gutes Wort von den Menschen, welche die Taten seiner Jugend nicht vergessen hatten. Und ein Stück Gnadenbrot, dass sie ihm in Joghurt einweichten, damit er es besser kauen und schlucken konnte.
Dankbar schaute er auf, wenn ihm einer der Hirten am Feuer eine alte Decke überließ, auf der er seine schmerzenden Knochen weicher lagern konnte. Im Schlaf stöhnte er häufiger, bis sich eine gütige Hand auf seinen entstellten Kopf legte, um ihn sanft zu beruhigen.
Und so war es auch in jener letzten Nacht. Auf dem Felde lagerten Hirten und hielten Nachtwache mit ihren Hunden bei den Herden. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie.
Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.
Und die Hirten sprangen auf, um das Kind zu suchen und anzubeten. Die Herden ließen sie in der Obhut ihrer Hunde unbesorgt zurück. Auch Rhassoul ließen sie liegen, am niederbrennenden Feuer in dieser wundermächtigen Nacht. Der überirdische Glanz hatte auch ihn umfangen gehalten und seine Schmerzen gnädig erstickt. Und noch während das Leuchten fortdauerte, stupste ihn eine vertraute Schnauze an und leckte sanft über seine Stirn. Es war die Bärentöterin.
Sie hatte Sterne in den Augen.
"Komm!", lockte sie ihn, wandte sich halb ab, drehte den Kopf wieder auffordernd zu ihm hin und bewegte leicht ihren Schweif hin und her. "Komm mit! Das Lamm Gottes ist geboren! Wir wollen hin und es begrüßen, wie wir es immer mit den Lämmern getan haben!"
Rhassoul schüttelte den schweren Kopf. "Der Krebs hat meine Knochen fast aufgefressen, Mutter, ich kann nicht mehr weit laufen. Ich bin unnütz geworden. Alt und krank. Jüngere als ich tun meine Arbeit. Mein Los ist es, darauf zu warten, dass das Licht der Lagerfeuer für mich endgültig erlischt."
Die Bärentöterin gähnte, wie sie es immer getan hatte, wenn sie sich Zeit für eine Antwort zu verschaffen suchte.
"Unsere Hirten sind schon alle dort, um das Neugeborene willkommen zu heißen. Er ist der, den sie Lamm Gottes nennen. Er möchte dich gerne kennen lernen und mit dir spielen! Steh auf, mein Sohn! Es ist nicht weit! Schau nur, du kannst ihn doch schon sehen!"
Rhassoul mühte sich sehr ab, um auf die Beine zu kommen. Ein schwieriger und schmerzhafter Vorgang, doch dieses Mal fühlte er sich leicht, er fühlte sich fast empor gehoben.
Endlich stand er, und blickte seiner Mutter in die Augen, die von einem herrlichen Licht erfüllt waren. Kaum hatte er zwei Schritte getan, da fand er sich wundersamer Weise mit ihr vor einer Krippe wieder, in der ein Kind lag. Und überall dieses Leuchten. Rhassoul steckte seinen mächtigen Schädel in die Krippe hinein und leckte dem Neugeborenen die Füßchen zum Zeichen seiner Zärtlichkeit und Ergebung. Seine alten Augen strahlten noch einmal auf, als er sah, wie das Kind darüber juchzte und strampelte. Und fahrig das Händchen ausstreckte und ihm über den Kopf strich. Da stand er, prächtig und mächtig wie einst, die Schwellung des Tumors, der seine Stirn entstellt hatte, war spurlos verschwunden.
Seine Mutter stand daneben und hechelte vor Freude. Doch als er sich niederlassen wollte, um das Kind in der Krippe zu bewachen, schüttelte sie den Kopf.
"Andere, machtvollere als wir werden das übernehmen, Sohn. Für uns ist es Zeit. ER hat uns ein Lagerfeuer bereitet, das niemals niederbrennt. Mit Seelen darum, deren Gesang niemals verstummt." Und er folgte ihr voller Vertrauen in Gefilde, in denen es keinen Kampf, keine Schmerzen, keinen Hunger, keinen Durst mehr gab.
Als die Hirten zu ihren Herden zurückkehrten, fanden sie Rhassoul leblos neben der Asche ihres Feuers. Sein großes Herz hatte aufgehört zu schlagen. Sie sangen Lieder, ihm zu Ehren, während sie seinen Leib unter Steinen begruben, die ihn vor den Räubern schützen sollten, die er stets so mutig gejagt und bekriegt hatte.
"Wahrlich", so sagten die Hirten unter sich, wenn sie seines majestätischen Hauptes ansichtig wurden, "dein Urahn muss ein Löwe gewesen sein, den ein schönes Weibchen deiner Rasse so betörte, dass er sich mit ihr paarte." Denn man erzählte sich die Legende, dass die Linie der Kangal entstanden sei, weil ein indischer Großfürst die Frucht einer solch mythischen Verbindung vor Tausenden von Jahren einem befreundeten Herrscher dieses Landstrichs zum Geschenk gemacht habe.
Seinen Großvater, der heute noch an den Feuern der Hirten gerühmt wird wegen seiner tapferen Taten, hatte er nie kennen gelernt. Seine Mutter, die von allen nur ehrfürchtig "Bärentöterin" genannt wurde und die ihn alles lehrte, was er wissen musste, hatte die Felder und Feuer schon längst verlassen. Manchmal noch erschien sie ihm im Traume, doch da war er schon alt und das Wache laufen fiel ihm zusehends schwerer. Tumore fraßen in seinen Knochen und hatten seine edle Stirn schon entstellt. Hatte er früher den respektvollen Abstand zu den Lagerfeuern der Menschen gesucht, so rückte er jetzt näher heran, um seine kalt gewordenen Glieder zu wärmen. Jüngere Hunde liefen nun Patrouille, um die ihnen anvertrauten Schafe und Lämmer vor den Räubern zu schützen. Er beobachtete sie voller Stolz - und auch mit ein wenig Wehmut. Doch im Gegensatz zu ihnen bekam er öfter ein gutes Wort von den Menschen, welche die Taten seiner Jugend nicht vergessen hatten. Und ein Stück Gnadenbrot, dass sie ihm in Joghurt einweichten, damit er es besser kauen und schlucken konnte.
Dankbar schaute er auf, wenn ihm einer der Hirten am Feuer eine alte Decke überließ, auf der er seine schmerzenden Knochen weicher lagern konnte. Im Schlaf stöhnte er häufiger, bis sich eine gütige Hand auf seinen entstellten Kopf legte, um ihn sanft zu beruhigen.
Und so war es auch in jener letzten Nacht. Auf dem Felde lagerten Hirten und hielten Nachtwache mit ihren Hunden bei den Herden. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie.
Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.
Und die Hirten sprangen auf, um das Kind zu suchen und anzubeten. Die Herden ließen sie in der Obhut ihrer Hunde unbesorgt zurück. Auch Rhassoul ließen sie liegen, am niederbrennenden Feuer in dieser wundermächtigen Nacht. Der überirdische Glanz hatte auch ihn umfangen gehalten und seine Schmerzen gnädig erstickt. Und noch während das Leuchten fortdauerte, stupste ihn eine vertraute Schnauze an und leckte sanft über seine Stirn. Es war die Bärentöterin.
Sie hatte Sterne in den Augen.
"Komm!", lockte sie ihn, wandte sich halb ab, drehte den Kopf wieder auffordernd zu ihm hin und bewegte leicht ihren Schweif hin und her. "Komm mit! Das Lamm Gottes ist geboren! Wir wollen hin und es begrüßen, wie wir es immer mit den Lämmern getan haben!"
Rhassoul schüttelte den schweren Kopf. "Der Krebs hat meine Knochen fast aufgefressen, Mutter, ich kann nicht mehr weit laufen. Ich bin unnütz geworden. Alt und krank. Jüngere als ich tun meine Arbeit. Mein Los ist es, darauf zu warten, dass das Licht der Lagerfeuer für mich endgültig erlischt."
Die Bärentöterin gähnte, wie sie es immer getan hatte, wenn sie sich Zeit für eine Antwort zu verschaffen suchte.
"Unsere Hirten sind schon alle dort, um das Neugeborene willkommen zu heißen. Er ist der, den sie Lamm Gottes nennen. Er möchte dich gerne kennen lernen und mit dir spielen! Steh auf, mein Sohn! Es ist nicht weit! Schau nur, du kannst ihn doch schon sehen!"
Rhassoul mühte sich sehr ab, um auf die Beine zu kommen. Ein schwieriger und schmerzhafter Vorgang, doch dieses Mal fühlte er sich leicht, er fühlte sich fast empor gehoben.
Endlich stand er, und blickte seiner Mutter in die Augen, die von einem herrlichen Licht erfüllt waren. Kaum hatte er zwei Schritte getan, da fand er sich wundersamer Weise mit ihr vor einer Krippe wieder, in der ein Kind lag. Und überall dieses Leuchten. Rhassoul steckte seinen mächtigen Schädel in die Krippe hinein und leckte dem Neugeborenen die Füßchen zum Zeichen seiner Zärtlichkeit und Ergebung. Seine alten Augen strahlten noch einmal auf, als er sah, wie das Kind darüber juchzte und strampelte. Und fahrig das Händchen ausstreckte und ihm über den Kopf strich. Da stand er, prächtig und mächtig wie einst, die Schwellung des Tumors, der seine Stirn entstellt hatte, war spurlos verschwunden.
Seine Mutter stand daneben und hechelte vor Freude. Doch als er sich niederlassen wollte, um das Kind in der Krippe zu bewachen, schüttelte sie den Kopf.
"Andere, machtvollere als wir werden das übernehmen, Sohn. Für uns ist es Zeit. ER hat uns ein Lagerfeuer bereitet, das niemals niederbrennt. Mit Seelen darum, deren Gesang niemals verstummt." Und er folgte ihr voller Vertrauen in Gefilde, in denen es keinen Kampf, keine Schmerzen, keinen Hunger, keinen Durst mehr gab.
Als die Hirten zu ihren Herden zurückkehrten, fanden sie Rhassoul leblos neben der Asche ihres Feuers. Sein großes Herz hatte aufgehört zu schlagen. Sie sangen Lieder, ihm zu Ehren, während sie seinen Leib unter Steinen begruben, die ihn vor den Räubern schützen sollten, die er stets so mutig gejagt und bekriegt hatte.
ElsaLaska - 24. Dez, 19:58
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