Samstag
Am nächsten Morgen wachte ich völlig zerschlagen noch vor Tagesanbruch auf. Auf dem opak schimmernden Stück Meer hinter den Hügeln glitzerten die Lichter der Fischerboote und es sah aus, als beführen die Schiffe den Nachthimmel.
Der Vormittag zog sich ereignislos und trübe dahin. Ich hatte den Puschkin-Vers an die mysteriöse Emailadresse versendet und keine Antwort mehr erhalten. Gerade gab ich eine Bestellung für Bücher über die italienische Renaissance im Internet auf, als das fröhliche Hupen des Postautos erklang.
"Salve Elsa! Furchtbar kalt heute, nicht wahr?", rief Angelina munter übers Tor und drückte mir einen Packen deutsche Zeitungen und ein neues Telefonbuch in die Hand. Trotz der unansehnlichen "poste italiane"-Reflektorweste, die sie tragen musste, sah sie immer adrett aus. Ich schaute an mir hinunter: Verwaschene Jeans und ein viel zu großes Sweatshirt - brutta figura! Dennoch bat ich Angelina auf einen Schluck Kaffee herein, damit sie sich aufwärmen konnte.
"Das neue Telefonbuch, schau, sie haben dieses Jahr ein Bild von Michelangelo vorne drauf, wunderschön, nicht wahr?" Letztes Jahr war eine Madonna von Piero della Francesca auf dem Umschlag gewesen, Telekom Italia ließ sich in solchen Sachen nicht lumpen. Ich konnte zwar nicht ohne zu schreien mit Deutschland telefonieren, aber die Telefonbuchumschläge konnte man sich fast rahmen lassen.
"Ah, Michelangelo, ich lese gerade über ihn ..."
"Du beschäftigst dich mit dem rinascimento? Brava! Meine Lieblingsepoche", strahlte Angelina und klopfte mir im Aufstehen auf die Schulter.
"Ich muss weiter, danke für den caffè!".
"Kennst du eigentlich dieses Gerücht, er soll einmal in einen Mord verwickelt gewesen sein?", fragte ich.
"Das kennt doch jedes Kind. Schau dir einmal seine Kreuzigung an, der gemarterte Körper, der Ausdruck des Leidens - diese Lebensnähe, diese erstaunliche Echtheit der Umsetzung ..."
"Er war halt ein großer Künstler".
Angelina lachte glockenhell auf. "Das war er, aber bei der Kreuzigung hat er nachgeholfen, sagt man."
Die Mär des dummen dumpfen Volkes? Ich war hin und hergerissen. Aber selbst wenn es stimmte, dass Michelangelo in einer Art künstlerischem Größenwahn einen Mann ans Kreuz geschlagen und dort hatte sterben lassen, um dessen Todesqualen studieren und naturgetreu darstellen zu können - was hatte diese Information mit mir, dem Bild und dem Mann im roten Mantel zu tun?
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Der Vormittag zog sich ereignislos und trübe dahin. Ich hatte den Puschkin-Vers an die mysteriöse Emailadresse versendet und keine Antwort mehr erhalten. Gerade gab ich eine Bestellung für Bücher über die italienische Renaissance im Internet auf, als das fröhliche Hupen des Postautos erklang.
"Salve Elsa! Furchtbar kalt heute, nicht wahr?", rief Angelina munter übers Tor und drückte mir einen Packen deutsche Zeitungen und ein neues Telefonbuch in die Hand. Trotz der unansehnlichen "poste italiane"-Reflektorweste, die sie tragen musste, sah sie immer adrett aus. Ich schaute an mir hinunter: Verwaschene Jeans und ein viel zu großes Sweatshirt - brutta figura! Dennoch bat ich Angelina auf einen Schluck Kaffee herein, damit sie sich aufwärmen konnte.
"Das neue Telefonbuch, schau, sie haben dieses Jahr ein Bild von Michelangelo vorne drauf, wunderschön, nicht wahr?" Letztes Jahr war eine Madonna von Piero della Francesca auf dem Umschlag gewesen, Telekom Italia ließ sich in solchen Sachen nicht lumpen. Ich konnte zwar nicht ohne zu schreien mit Deutschland telefonieren, aber die Telefonbuchumschläge konnte man sich fast rahmen lassen.
"Ah, Michelangelo, ich lese gerade über ihn ..."
"Du beschäftigst dich mit dem rinascimento? Brava! Meine Lieblingsepoche", strahlte Angelina und klopfte mir im Aufstehen auf die Schulter.
"Ich muss weiter, danke für den caffè!".
"Kennst du eigentlich dieses Gerücht, er soll einmal in einen Mord verwickelt gewesen sein?", fragte ich.
"Das kennt doch jedes Kind. Schau dir einmal seine Kreuzigung an, der gemarterte Körper, der Ausdruck des Leidens - diese Lebensnähe, diese erstaunliche Echtheit der Umsetzung ..."
"Er war halt ein großer Künstler".
Angelina lachte glockenhell auf. "Das war er, aber bei der Kreuzigung hat er nachgeholfen, sagt man."
Die Mär des dummen dumpfen Volkes? Ich war hin und hergerissen. Aber selbst wenn es stimmte, dass Michelangelo in einer Art künstlerischem Größenwahn einen Mann ans Kreuz geschlagen und dort hatte sterben lassen, um dessen Todesqualen studieren und naturgetreu darstellen zu können - was hatte diese Information mit mir, dem Bild und dem Mann im roten Mantel zu tun?
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ElsaLaska - 4. Feb, 17:24
Oh, oh....