Dienstag (I)
Den Nachmittag verbrachte ich am Meer, um mir gründlich den Kopf durchpusten zu lassen. Ich zog mir Schuhe und Strümpfe aus und machte einen langen Spaziergang an der Wasserlinie. Warf eifrig Stöckchen für herrenlose Hunde. Rannte mit ihnen um die Wette. Sammelte eine ganze Tüte voll Muscheln. Das Meer schimmerte in einem ungewöhnlichen Limonengrün, eine Farbe, die es oft annahm, wenn sich weiter draußen dichte Wolken ballten. Es erinnerte mich an die Farbe von Giulias Augen. Das Handy klingelte.
„Pronto! Giulia, na sowas, ich habe gerade an dich gedacht. Nein, ich stehe hier am Meer. Was? Nein, der Empfang ist wahnsinnig schlecht. In Fano? Sicher möchte ich dich treffen, ich bin in zwanzig Minuten da. Ich mich auch. Ci vediamo!“
Da Filippo am Strand von Fano war mir wohlbekannt. Es wirkte von außen wie eine äußerst schäbige Bretterbude, aber innen zelebrierte man alta cucina mit erlesensten Zutaten, natürlich hauptsächlich Fisch und Meeresfrüchte. Ich hatte mich die ganze Woche von Rührei und Nutellabrot ernährt und freute mich auf ein schönes Essen mit Giulia. Wir küssten uns zur Begrüßung auf beide Wangen.
„Ich soll dich herzlich von Zeno grüßen, er wird morgen entlassen, du sollst einmal vorbeischauen auf einen caffè, wenn du wieder in der Gegend bist“, sagte sie. Sie bestellte zwei Gläser Prosecco, lehnte es ab, in die Speisekarte zu schauen und ließ sich stattdessen eine Pasta mit Hummer und Brennesseln und den gegrillten Steinbutt empfehlen.
„Ich hätte Zeno schon viel früher besucht, aber ich habe eine ziemlich aufregende Woche hinter mir“, erwiderte ich und erzählte ihr, wie ich das Haus nach meiner Rückkehr vorgefunden hatte
„Aber das ist doch nicht möglich, cara, erst der Einbruch bei meinem Bruder, dann bei dir, jedesmal wird ein Bild gestohlen und dann noch diese hässliche Warnung. Und es war tatsächlich das Porträt von Il Magnifico? Du weißt, dass er mit der Orsini verheiratet war?“
Ich legte mir die Serviette auf den Schoß und griff nach den Grissini. „Lorenzo hat es mir gesagt. Hast du etwas von ihm gehört die Tage?“, fragte ich möglichst beiläufig, während ich mich mit der Verpackung abmühte.
„Ich dachte, er hätte sich vielleicht bei dir gemeldet.“
„Ich habe heute ein Päckchen von ihm bekommen, eine, äh, kleine Aufmerksamkeit, aber es lag keine Nachricht bei.“ Endlich gab das störrische Papier nach und ich bot ihr eine Grissinistange an.
„Wann immer er im Sanctum Officium ist, kommt es einem vor, als hätte ihn ein Walfisch verschluckt. Sicher wälzt er Akten und ist auf der Spur dieser Bibelverse. Oder Estefanio hält ihn auf Trab!“, fügte sie mit einer Grimasse hinzu.
Unsere Tagliatelle mit Hummer und Brennesseln wurden serviert, aber anstatt zu essen blickt Giulia mich lange an.
„Du siehst sehr schlecht aus, scusa.“
„Ich habe die ganze Woche schlecht geschlafen, das ist alles. Und immerzu denselben Traum geträumt.“
Sie legte die Gabel, die sie endlich aufgenommen hatte, gleich wieder zur Seite.
„Was für einen Traum? Ein Alptraum?“, fragte sie mit ungewöhnlicher Schärfe.
Ich schüttelte den Kopf und wickelte umständlich die Tagliatelle auf. Da ich keine geborene Italienierin war, würde ich es nie zur selbstverständlichen Grazie bringen, mit der Giulia diese Aufgabe ohne Zuhilfenahme eines Löffels bewältigte.
„Das kann ich nicht sagen, dass es ein schlechter Traum ist, aber er kehrt wieder.“
„Madonna. Ich werde dich zu Tante Bianca bringen.“ Sie bekräftigte diese Absicht mit einer nachdrücklichen Handbewegung und widmete sich dann zufrieden ihrer Pasta. „Ich habe ihr erzählt, dass du große Ähnlichkeit mit einer unserer Ahninnen hast, das hat sie gleich interessiert.“
„Bitte!“
„Nein, da gibt es keine Diskussion. Und bei der Gelegenheit erzählst du ihr gleich von diesem Traum. Sie kann dir helfen. Lorenzo hat sie damals auch geholfen, auch wenn er nicht darüber spricht. Jedenfalls nicht mit mir. Bei Estefanio sieht die Sache natürlich anders aus.“
„Wie meinst du das?“
Der Kellner trat an unseren Tisch, zeigte uns auf einer wagenradgroßen Servierplatte den gegrillten Steinbutt, den wir gnädig abnickten und entschwand dann in die Küche, um ihn für uns zu filettieren. Giulia widmete sich der Aufgabe, unseren Salat mit Olivenöl, aceto bianco, Salz und Pfeffer anzumachen.
„Es war vor seiner Weihe, dass er zu einer strega gegangen ist, und um Rat gefragt hat.“
Ich nickte. Das hatte er besonders betont.
„Das bedeutet, dass er Estefanio höchstwahrscheinlich gebeichtet hat, was immer Tante Bianca ihm damals gesagt hat. Ich habe manchmal den Eindruck, die beiden tragen ihren Kampf auf seinem Rücken aus.“
Ich fragte mich im Stillen, was für eine Rolle Giulia eigentlich in dieser ganzen Geschichte spielte. Sie nahm einen Schluck Wein und lächelte mich an.
„Ich schaue schon zu lange zu in diesem Krieg. Und ich will, dass Lorenzo nicht mehr unglücklich ist.“
Erst als ich wieder zu Hause war, fiel mir auf, dass das eine Antwort auf eine Frage war, die ich gar nicht ausgesprochen hatte.
<[33]
>[35]
„Pronto! Giulia, na sowas, ich habe gerade an dich gedacht. Nein, ich stehe hier am Meer. Was? Nein, der Empfang ist wahnsinnig schlecht. In Fano? Sicher möchte ich dich treffen, ich bin in zwanzig Minuten da. Ich mich auch. Ci vediamo!“
Da Filippo am Strand von Fano war mir wohlbekannt. Es wirkte von außen wie eine äußerst schäbige Bretterbude, aber innen zelebrierte man alta cucina mit erlesensten Zutaten, natürlich hauptsächlich Fisch und Meeresfrüchte. Ich hatte mich die ganze Woche von Rührei und Nutellabrot ernährt und freute mich auf ein schönes Essen mit Giulia. Wir küssten uns zur Begrüßung auf beide Wangen.
„Ich soll dich herzlich von Zeno grüßen, er wird morgen entlassen, du sollst einmal vorbeischauen auf einen caffè, wenn du wieder in der Gegend bist“, sagte sie. Sie bestellte zwei Gläser Prosecco, lehnte es ab, in die Speisekarte zu schauen und ließ sich stattdessen eine Pasta mit Hummer und Brennesseln und den gegrillten Steinbutt empfehlen.
„Ich hätte Zeno schon viel früher besucht, aber ich habe eine ziemlich aufregende Woche hinter mir“, erwiderte ich und erzählte ihr, wie ich das Haus nach meiner Rückkehr vorgefunden hatte
„Aber das ist doch nicht möglich, cara, erst der Einbruch bei meinem Bruder, dann bei dir, jedesmal wird ein Bild gestohlen und dann noch diese hässliche Warnung. Und es war tatsächlich das Porträt von Il Magnifico? Du weißt, dass er mit der Orsini verheiratet war?“
Ich legte mir die Serviette auf den Schoß und griff nach den Grissini. „Lorenzo hat es mir gesagt. Hast du etwas von ihm gehört die Tage?“, fragte ich möglichst beiläufig, während ich mich mit der Verpackung abmühte.
„Ich dachte, er hätte sich vielleicht bei dir gemeldet.“
„Ich habe heute ein Päckchen von ihm bekommen, eine, äh, kleine Aufmerksamkeit, aber es lag keine Nachricht bei.“ Endlich gab das störrische Papier nach und ich bot ihr eine Grissinistange an.
„Wann immer er im Sanctum Officium ist, kommt es einem vor, als hätte ihn ein Walfisch verschluckt. Sicher wälzt er Akten und ist auf der Spur dieser Bibelverse. Oder Estefanio hält ihn auf Trab!“, fügte sie mit einer Grimasse hinzu.
Unsere Tagliatelle mit Hummer und Brennesseln wurden serviert, aber anstatt zu essen blickt Giulia mich lange an.
„Du siehst sehr schlecht aus, scusa.“
„Ich habe die ganze Woche schlecht geschlafen, das ist alles. Und immerzu denselben Traum geträumt.“
Sie legte die Gabel, die sie endlich aufgenommen hatte, gleich wieder zur Seite.
„Was für einen Traum? Ein Alptraum?“, fragte sie mit ungewöhnlicher Schärfe.
Ich schüttelte den Kopf und wickelte umständlich die Tagliatelle auf. Da ich keine geborene Italienierin war, würde ich es nie zur selbstverständlichen Grazie bringen, mit der Giulia diese Aufgabe ohne Zuhilfenahme eines Löffels bewältigte.
„Das kann ich nicht sagen, dass es ein schlechter Traum ist, aber er kehrt wieder.“
„Madonna. Ich werde dich zu Tante Bianca bringen.“ Sie bekräftigte diese Absicht mit einer nachdrücklichen Handbewegung und widmete sich dann zufrieden ihrer Pasta. „Ich habe ihr erzählt, dass du große Ähnlichkeit mit einer unserer Ahninnen hast, das hat sie gleich interessiert.“
„Bitte!“
„Nein, da gibt es keine Diskussion. Und bei der Gelegenheit erzählst du ihr gleich von diesem Traum. Sie kann dir helfen. Lorenzo hat sie damals auch geholfen, auch wenn er nicht darüber spricht. Jedenfalls nicht mit mir. Bei Estefanio sieht die Sache natürlich anders aus.“
„Wie meinst du das?“
Der Kellner trat an unseren Tisch, zeigte uns auf einer wagenradgroßen Servierplatte den gegrillten Steinbutt, den wir gnädig abnickten und entschwand dann in die Küche, um ihn für uns zu filettieren. Giulia widmete sich der Aufgabe, unseren Salat mit Olivenöl, aceto bianco, Salz und Pfeffer anzumachen.
„Es war vor seiner Weihe, dass er zu einer strega gegangen ist, und um Rat gefragt hat.“
Ich nickte. Das hatte er besonders betont.
„Das bedeutet, dass er Estefanio höchstwahrscheinlich gebeichtet hat, was immer Tante Bianca ihm damals gesagt hat. Ich habe manchmal den Eindruck, die beiden tragen ihren Kampf auf seinem Rücken aus.“
Ich fragte mich im Stillen, was für eine Rolle Giulia eigentlich in dieser ganzen Geschichte spielte. Sie nahm einen Schluck Wein und lächelte mich an.
„Ich schaue schon zu lange zu in diesem Krieg. Und ich will, dass Lorenzo nicht mehr unglücklich ist.“
Erst als ich wieder zu Hause war, fiel mir auf, dass das eine Antwort auf eine Frage war, die ich gar nicht ausgesprochen hatte.
<[33]
>[35]
ElsaLaska - 21. Feb, 01:05
Schön,
Sehr gut.
*lach*
Die Nummerierung bricht
Könnte für nachkommende Leser evtl. etwas schwierig werden, mit dem umklappen der Kapitelchen!
Danke!
Gruss,
Elisabeth