Montag (I)
Diesmal hatte ich Wort gehalten. Lorenzo dozierte fast zwei Stunden lang über dem privaten Andachtsbuch von Il Magnifico, ohne dass ich ihn unterbrach. Er übersetzte lateinische Texte, erläuterte Buchmalereien und gab einen kurzen Abriss der Kirchengeschichte von ihren Ursprüngen bis ins 15. Jahrhundert. Mir schwirrte der Kopf.
Während er das Buch wieder an seinen Aufbewahrungsort zurückbrachte, versuchte ich gedanklich Resümée zu ziehen. Wir hatten nicht nur eine Abschrift des Hohelied Salomos gefunden, sondern auch ein apokryphes Evangelium, welches zur Zeit Lorenzos des Prächtigen eigentlich als verschollen galt. Gnostische Texte, schiere Häresie, die eindeutig von fernöstlicher Spiritualität erfüllt waren. Darstellungen der Kreuzigung und von Maria Magdalena, wie sie das Grab Jesu aufsucht und es leer vorfindet. Szenen von Verfolgung und Flucht, Einschiffung und Anlandung Maria Magdalenas an der südfranzösischen Küste.
Nirgendwo fand sich ein konkreter Hinweis auf die Prieuré von Sion, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass dieses private Andachtsbuch aus dem 15. Jahrhundert gar nicht existieren dürfte. Nicht nur die wissenschaftliche, auch die kirchliche Welt stünde Kopf, wenn etwas davon an die Öffentlichkeit dringen würde. Ich konnte nicht glauben, dass dieses brisante Dokument schon seit über fünfhundert Jahren in den weitläufigen Katakomben dieser unterirdischen Krypta aufbewahrt wurde, ohne dass es eine Menschenseele zu Gesicht bekommen hatte. Und noch etwas beschäftigte mich: Lorenzo hatte gesagt, das Buch könnte uns vielleicht weiterhelfen, das Rätsel um den Traum zu lösen. In Lorenzos Traum nahm er den Part des unnachgiebigen Mannes ein, der die Türe hinter sich zuschlagend, seine weinende Frau verließ. Er konnte sich noch an die Worte „Ite missa est!“ erinnern, dann war er regelmäßig aufgewacht, wie er sagte.
Völlig erschlagen folgte ich ihm durch Korridore und Gänge die Treppe hinauf und sank dann im Innenhof des San’ Uffizio auf eine Bank.
Über mir ein blauer Himmel, die ersten Schwalben mit waghalsigen Flugmanövern und – das war das Beste, frische Luft. Wir schwiegen. Ich schloss die Augen und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen, bis ich merkte, dass sich etwas Dunkles zwischen mich und die wohltuenden Sonnenstrahlen schob.
„Hier im Innenhof ist es doch weitaus angenehmer als unten in den alten Archiven, nicht wahr, Lorenzo?“, vernahm ich eine wohlbekannte Stimme. Blinzelnd erhob ich mich, um Kardinal Farnese die Hand zu schütteln. „Mein Neffe hat Ihnen den Palazzo San’ Ufficio gezeigt?“„Wir arbeiten uns langsam vor, Onkel“, bemerkte Lorenzo in zweideutigem Tonfall.
„Das ist Recht. Die Signora soll sich auf gar keinen Fall überanstrengen, wo es doch so viel zu sehen gibt.“
„Ich wollte Ihrem Neffen gerade vorschlagen, erst einmal Kaffee trinken zu gehen, bevor wir weitermachen“, plapperte ich.
Der Kardinal lächelte dünn. „Eine gute Idee. Vielleicht möchten Sie danach gegen Eins bei mir zu Mittag essen? Sie sind herzlich eingeladen.“
Ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, aber ich schnitt Lorenzo, der gerade eine abschlägige Antwort geben wollte, das Wort ab und bedankte mich strahlend für die freundliche Einladung.
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Während er das Buch wieder an seinen Aufbewahrungsort zurückbrachte, versuchte ich gedanklich Resümée zu ziehen. Wir hatten nicht nur eine Abschrift des Hohelied Salomos gefunden, sondern auch ein apokryphes Evangelium, welches zur Zeit Lorenzos des Prächtigen eigentlich als verschollen galt. Gnostische Texte, schiere Häresie, die eindeutig von fernöstlicher Spiritualität erfüllt waren. Darstellungen der Kreuzigung und von Maria Magdalena, wie sie das Grab Jesu aufsucht und es leer vorfindet. Szenen von Verfolgung und Flucht, Einschiffung und Anlandung Maria Magdalenas an der südfranzösischen Küste.
Nirgendwo fand sich ein konkreter Hinweis auf die Prieuré von Sion, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass dieses private Andachtsbuch aus dem 15. Jahrhundert gar nicht existieren dürfte. Nicht nur die wissenschaftliche, auch die kirchliche Welt stünde Kopf, wenn etwas davon an die Öffentlichkeit dringen würde. Ich konnte nicht glauben, dass dieses brisante Dokument schon seit über fünfhundert Jahren in den weitläufigen Katakomben dieser unterirdischen Krypta aufbewahrt wurde, ohne dass es eine Menschenseele zu Gesicht bekommen hatte. Und noch etwas beschäftigte mich: Lorenzo hatte gesagt, das Buch könnte uns vielleicht weiterhelfen, das Rätsel um den Traum zu lösen. In Lorenzos Traum nahm er den Part des unnachgiebigen Mannes ein, der die Türe hinter sich zuschlagend, seine weinende Frau verließ. Er konnte sich noch an die Worte „Ite missa est!“ erinnern, dann war er regelmäßig aufgewacht, wie er sagte.
Völlig erschlagen folgte ich ihm durch Korridore und Gänge die Treppe hinauf und sank dann im Innenhof des San’ Uffizio auf eine Bank.
Über mir ein blauer Himmel, die ersten Schwalben mit waghalsigen Flugmanövern und – das war das Beste, frische Luft. Wir schwiegen. Ich schloss die Augen und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen, bis ich merkte, dass sich etwas Dunkles zwischen mich und die wohltuenden Sonnenstrahlen schob.
„Hier im Innenhof ist es doch weitaus angenehmer als unten in den alten Archiven, nicht wahr, Lorenzo?“, vernahm ich eine wohlbekannte Stimme. Blinzelnd erhob ich mich, um Kardinal Farnese die Hand zu schütteln. „Mein Neffe hat Ihnen den Palazzo San’ Ufficio gezeigt?“„Wir arbeiten uns langsam vor, Onkel“, bemerkte Lorenzo in zweideutigem Tonfall.
„Das ist Recht. Die Signora soll sich auf gar keinen Fall überanstrengen, wo es doch so viel zu sehen gibt.“
„Ich wollte Ihrem Neffen gerade vorschlagen, erst einmal Kaffee trinken zu gehen, bevor wir weitermachen“, plapperte ich.
Der Kardinal lächelte dünn. „Eine gute Idee. Vielleicht möchten Sie danach gegen Eins bei mir zu Mittag essen? Sie sind herzlich eingeladen.“
Ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, aber ich schnitt Lorenzo, der gerade eine abschlägige Antwort geben wollte, das Wort ab und bedankte mich strahlend für die freundliche Einladung.
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ElsaLaska - 6. Mär, 18:11
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