Mittwoch
Niemand hatte auf mich geachtet, ich reichte das Fax Lorenzo weiter und beugte mich zu ihm hinunter.
„Lassen Sie sich von Leitmeyr nicht provozieren, er macht nur seinen Job“, flüsterte ich an seinem Ohr und drückte ihm ein Grappaglas in die Hand. Seine Kiefermuskeln arbeiteten. Giulia war erfolgreich damit beschäftigt, ein Tête-à-têtes für den nächsten Abend festzuzurren. Ich tippte dem Kommissar auf die Schulter. „Wissen Sie, wo Laurinius sich zur Zeit aufhält?“ Leitmayr schreckte auf. „Momentan hat er irgendeinen Forschungsauftrag für die Provinz Le Marche übernommen, hat der Kollege Aurel mitgeteilt, aber das hat gar nichts zu heißen. Er verfügt über jede Menge Handlanger ...“
„Das bedeutet, er könnte durchaus hinter dem Diebstahl der Brevierabschrift im Vatikan stecken“, sinnierte ich, aber er hatte sich bereits wieder zu Giulia gewandt, die fortfuhr, ihn mit betörendem Charme zu umgarnen. Zeno brachte eine frisch erbaute Zuckerwürfelpyramide hämisch grinsend zum Einsturz und streifte hin und wieder seinen stumm brütenden Freund mit ängstlichen Blicken. Ich stand auf und entschuldigte mich, weil ich dringend frische Luft brauchte.
Draußen auf der Loggia war es mild, die Silhouette der ewigen Stadt schmückte sich mit einer Tiara aus gelb- und blaufunkelnden Lichtern. Verwundert bemerkte ich, dass die Luft von einem durchdringenden, süßen Ginsterduft erfüllt war. Im gleichen Moment packte mich heftiges Heimweh: Der Walbuckel des Monte Conéro tauchte vor meinem inneren Auge auf, mit dem leuchtenden Gelb seiner blühenden Ginsterbüsche zwischen den dunklen Pinienwäldern, die ihn überzogen. Ich warf mich in einen Sessel, zündete eine Zigarette an und nahm mir vor, gleich morgen nach Hause zu fahren. Mir fehlte der weite Blick hinunter bis zum Meer, seine lapislazulifarbene Präsenz an meinem Horizont, mein eigener Horizont, mein Leben. Die Abende auf meiner Terrasse, der Himmel über den Castelli di Jesi erglühend in Safran und Karmesinrot, ich schloss träumerisch die Augen. Ungebeten schob sich die Erinnerung an den Tagmond über den Türmen des Palazzo Ducale Urbinos dazwischen. Meine erste Begegnung mit Lorenzo in seiner völlig verdreckten Handwerkerkluft, sein scharfgeschnittenes Profil, der Duft von Acqua di Parma, den ich immer mit ihm verbinden würde, als wäre er in eine sizilianische Julinacht gehüllt, in die ich mich stürzen konnte wie von einer Kreideklippe des Conéro ins klaftertiefe Meer ...
Ich riss die Augen auf und rannte ins Bad hinüber, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen, atmete versehentlich dabei ein, spuckte und hustete, bis mir die Stirnhöhlen schmerzten und hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. Stattdessen streckte ich meinem Spiegelbild die Zunge heraus und ging wieder auf die Loggia hinaus, um noch eine Zigarette zu rauchen, den poetischen Duft der ginsterblütensatten Luft zu vertreiben und mich verbissen auf den Verkehrslärm zu konzentrieren, der von der Via conciliazione herüber drang.
Lorenzo trat leise über die Schwelle, stellte zwei Weingläser auf den Tisch und streckte sich erleichtert aufseufzend in einem Sessel aus.
„Die anderen haben sich verabschiedet, ich soll Sie grüßen“, sagte er, den Kopf in den Nacken gelegt, zum Himmel hinauf. „Ich muss hier raus“, fügte er tonlos hinzu.
„Dasselbe habe ich auch gerade gedacht, aber ich bin nicht sehr weit gekommen“, erklärte ich dem Olivenbäumchen schräg vor mir.
„Ich habe eine Idee!“, entgegnete er leise, kniff das linke Auge zu und versuchte, den abnehmenden Mond mit seinem rechten Daumen zu verdecken. „Wir gehen jetzt zu Bett-“
Fast hätte ich den Schluck Wein, den ich gerade genommen hatte, wieder zurück ins Glas gespuckt.
„-stehen morgen in aller Frühe auf und machen einen Ausflug zum Meer. Mit Picknick und allem!“
„Giulia würde alles für Sie tun, sie liebt Sie sehr. Wie sie den deutschen Kommissar eingewickelt hat, das war einzigartig“, versuchte ich das Thema zu wechseln.
„Nein, nicht Giulia und Zeno und womöglich noch dieser Leitmayr“, entgegnete er ungeduldig. „Nur wir beide. Es wird Ihnen gefallen. Das Wetter hält sich, wir nehmen das Motorrad, d’accordo?“
Ich schwieg.
„Wir werden mit einem ganzen Arm voll blühender Ginsterzweige zurückkommen, wir könnten frische Muscheln kaufen und abends auf der Loggia vongole essen. Was sagen Sie?“
„Laurinius ist Dottore Pasolini, ich habe ihn vorhin auf dem Bild wiedererkannt.“
„Sie können manchmal sehr deutsch sein“, gab er mit verändertem Tonfall zur Antwort und wünschte eine Gute Nacht.
Ich schaute noch lange in den Sternenhimmel über Rom und lauschte den gedämpften Klängen von Norwegian Wood, die aus seinem Zimmer drangen.
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„Lassen Sie sich von Leitmeyr nicht provozieren, er macht nur seinen Job“, flüsterte ich an seinem Ohr und drückte ihm ein Grappaglas in die Hand. Seine Kiefermuskeln arbeiteten. Giulia war erfolgreich damit beschäftigt, ein Tête-à-têtes für den nächsten Abend festzuzurren. Ich tippte dem Kommissar auf die Schulter. „Wissen Sie, wo Laurinius sich zur Zeit aufhält?“ Leitmayr schreckte auf. „Momentan hat er irgendeinen Forschungsauftrag für die Provinz Le Marche übernommen, hat der Kollege Aurel mitgeteilt, aber das hat gar nichts zu heißen. Er verfügt über jede Menge Handlanger ...“
„Das bedeutet, er könnte durchaus hinter dem Diebstahl der Brevierabschrift im Vatikan stecken“, sinnierte ich, aber er hatte sich bereits wieder zu Giulia gewandt, die fortfuhr, ihn mit betörendem Charme zu umgarnen. Zeno brachte eine frisch erbaute Zuckerwürfelpyramide hämisch grinsend zum Einsturz und streifte hin und wieder seinen stumm brütenden Freund mit ängstlichen Blicken. Ich stand auf und entschuldigte mich, weil ich dringend frische Luft brauchte.
Draußen auf der Loggia war es mild, die Silhouette der ewigen Stadt schmückte sich mit einer Tiara aus gelb- und blaufunkelnden Lichtern. Verwundert bemerkte ich, dass die Luft von einem durchdringenden, süßen Ginsterduft erfüllt war. Im gleichen Moment packte mich heftiges Heimweh: Der Walbuckel des Monte Conéro tauchte vor meinem inneren Auge auf, mit dem leuchtenden Gelb seiner blühenden Ginsterbüsche zwischen den dunklen Pinienwäldern, die ihn überzogen. Ich warf mich in einen Sessel, zündete eine Zigarette an und nahm mir vor, gleich morgen nach Hause zu fahren. Mir fehlte der weite Blick hinunter bis zum Meer, seine lapislazulifarbene Präsenz an meinem Horizont, mein eigener Horizont, mein Leben. Die Abende auf meiner Terrasse, der Himmel über den Castelli di Jesi erglühend in Safran und Karmesinrot, ich schloss träumerisch die Augen. Ungebeten schob sich die Erinnerung an den Tagmond über den Türmen des Palazzo Ducale Urbinos dazwischen. Meine erste Begegnung mit Lorenzo in seiner völlig verdreckten Handwerkerkluft, sein scharfgeschnittenes Profil, der Duft von Acqua di Parma, den ich immer mit ihm verbinden würde, als wäre er in eine sizilianische Julinacht gehüllt, in die ich mich stürzen konnte wie von einer Kreideklippe des Conéro ins klaftertiefe Meer ...
Ich riss die Augen auf und rannte ins Bad hinüber, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen, atmete versehentlich dabei ein, spuckte und hustete, bis mir die Stirnhöhlen schmerzten und hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. Stattdessen streckte ich meinem Spiegelbild die Zunge heraus und ging wieder auf die Loggia hinaus, um noch eine Zigarette zu rauchen, den poetischen Duft der ginsterblütensatten Luft zu vertreiben und mich verbissen auf den Verkehrslärm zu konzentrieren, der von der Via conciliazione herüber drang.
Lorenzo trat leise über die Schwelle, stellte zwei Weingläser auf den Tisch und streckte sich erleichtert aufseufzend in einem Sessel aus.
„Die anderen haben sich verabschiedet, ich soll Sie grüßen“, sagte er, den Kopf in den Nacken gelegt, zum Himmel hinauf. „Ich muss hier raus“, fügte er tonlos hinzu.
„Dasselbe habe ich auch gerade gedacht, aber ich bin nicht sehr weit gekommen“, erklärte ich dem Olivenbäumchen schräg vor mir.
„Ich habe eine Idee!“, entgegnete er leise, kniff das linke Auge zu und versuchte, den abnehmenden Mond mit seinem rechten Daumen zu verdecken. „Wir gehen jetzt zu Bett-“
Fast hätte ich den Schluck Wein, den ich gerade genommen hatte, wieder zurück ins Glas gespuckt.
„-stehen morgen in aller Frühe auf und machen einen Ausflug zum Meer. Mit Picknick und allem!“
„Giulia würde alles für Sie tun, sie liebt Sie sehr. Wie sie den deutschen Kommissar eingewickelt hat, das war einzigartig“, versuchte ich das Thema zu wechseln.
„Nein, nicht Giulia und Zeno und womöglich noch dieser Leitmayr“, entgegnete er ungeduldig. „Nur wir beide. Es wird Ihnen gefallen. Das Wetter hält sich, wir nehmen das Motorrad, d’accordo?“
Ich schwieg.
„Wir werden mit einem ganzen Arm voll blühender Ginsterzweige zurückkommen, wir könnten frische Muscheln kaufen und abends auf der Loggia vongole essen. Was sagen Sie?“
„Laurinius ist Dottore Pasolini, ich habe ihn vorhin auf dem Bild wiedererkannt.“
„Sie können manchmal sehr deutsch sein“, gab er mit verändertem Tonfall zur Antwort und wünschte eine Gute Nacht.
Ich schaute noch lange in den Sternenhimmel über Rom und lauschte den gedämpften Klängen von Norwegian Wood, die aus seinem Zimmer drangen.
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ElsaLaska - 22. Mär, 22:04
Ehja,
Und außerdem war mir nach ausspannen zumute. Bin auch nur ein Mensch :) Morgen also Heldenmotorrad, Ginsterzweige und tiefe Gespräche am Strand beim Picknick, grunz.