Dienstag
Eine bunt gemischte Ausflüglergesellschaft zog lärmend an unserem Rastplatz vorbei, die Jüngsten winkten fröhlich und wir winkten zurück.
„Ihr Vater ist ganz sicher auch sehr stolz auf Sie, immerhin haben Sie damals ein großes Opfer gebracht. Ist er wieder ganz gesund geworden?“, fragte ich leise.
„Die Ärzte sagen das, aber er ist nie mehr der Alte geworden. Seit meine Mutter verunglückt ist, wird es immer schlimmer. Mit Bianca und Estefanio redet er überhaupt nicht - mit mir nur, wenn er einen guten Tag hat. Ich glaube, er macht sich Vorwürfe“, Lorenzo zuckte bedauernd die Schultern, „aber die Dinge sind nun mal, wie sie sind. Seit er in Rente ist, zeichnet er wie ein Besessener Strandkiesel, tausende, in allen Größen. Ich wusste gar nicht, wie viele verschiedene Formen und Farben gewöhnliche Strandkiesel haben können. Wie Schneeflocken.“
Er nahm nachdenklich einen winzigen runden Stein auf und betrachtete ihn eingehend, bevor er ihn mir in die Handfläche legte. Er war perfekt und glatt, gefärbt wie ein Zitronenfalter, zwei graphitgraue Bändchenmuster kreuzten sich auf der flachen Seite. Wieviel Geduld musste Michele Farnese besitzen, wenn er all die Details von Hunderten von Steinchen abzeichnete? Es gab wirklich kein einziges Mitglied dieser Familie, das mich nicht interessierte!
„Ich würde gerne einmal Zeichnungen von ihm sehen“, sagte ich zögernd. Lorenzo, der sich über meine Hand gebeugt hatte, schaute erfreut auf. „Die sind wirklich sehenswert, ich habe ein paar davon im Appartment an der Piazza San’Ufficio! Was ist? Was haben Sie?“
Die Sonne stand mittlerweile schräg, ich musste meine Augen mit der linken Hand abschirmen und glaubte, eine Bewegung an den antiken Trümmern hinter Lorenzo wahrgenommen zu haben, etwa zwanzig Meter von uns entfernt. Für einen Moment konnte ich den unverkennbaren Zeuskopf erkennen, die korpulente Gestalt, dann verschwanden die Konturen wieder im Gegenlicht. Ich blinzelte, bis mir die Tränen kamen.
„Hinter Ihnen, zwischen den Steinen, ein Beobachter“, flüsterte ich abgehackt. „Er sieht aus wie Dottore Pasolini ...“
Lorenzo begriff nicht sofort. „Sie meinen Laurinius?“, flüsterte er schließlich mit alarmiertem Gesichtsausdruck zurück. Ich nickte stumm. Seine schwarzen Augen verengten sich unmerklich. Die Zeit dehnte sich merkwürdig aus, Sandfontänen stoben in die Höhe und verharrten dort, als fehlte ihnen die Kraft, wieder zur Erde zurückzukehren. Während ich noch über die unentschlossenen Sandkörner nachdachte, verhallte ein scharfes, trockenes Knacken. Lorenzo sprang in einer einzigen Bewegung nach vorne, begrub mich schützend unter sich und bedeckte meinen Kopf mit seinen Armen. Die Stille währte einen Wimpernschlag, dann fühlte ich mehr, als ich hörte, wie der Sand leise an seinen angestammten Platz niederfiel. In meinem Mund breitete sich der metallische Geschmack von Blut aus. Lorenzo regte sich nicht. Der Nachklang einer Wahrnehmung, die ich vor ungezählten Jahren gehabt hatte, drang an mein Ohr: Das fröhliche Lachen der zurückkehrenden Ausflügler.
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„Ihr Vater ist ganz sicher auch sehr stolz auf Sie, immerhin haben Sie damals ein großes Opfer gebracht. Ist er wieder ganz gesund geworden?“, fragte ich leise.
„Die Ärzte sagen das, aber er ist nie mehr der Alte geworden. Seit meine Mutter verunglückt ist, wird es immer schlimmer. Mit Bianca und Estefanio redet er überhaupt nicht - mit mir nur, wenn er einen guten Tag hat. Ich glaube, er macht sich Vorwürfe“, Lorenzo zuckte bedauernd die Schultern, „aber die Dinge sind nun mal, wie sie sind. Seit er in Rente ist, zeichnet er wie ein Besessener Strandkiesel, tausende, in allen Größen. Ich wusste gar nicht, wie viele verschiedene Formen und Farben gewöhnliche Strandkiesel haben können. Wie Schneeflocken.“
Er nahm nachdenklich einen winzigen runden Stein auf und betrachtete ihn eingehend, bevor er ihn mir in die Handfläche legte. Er war perfekt und glatt, gefärbt wie ein Zitronenfalter, zwei graphitgraue Bändchenmuster kreuzten sich auf der flachen Seite. Wieviel Geduld musste Michele Farnese besitzen, wenn er all die Details von Hunderten von Steinchen abzeichnete? Es gab wirklich kein einziges Mitglied dieser Familie, das mich nicht interessierte!
„Ich würde gerne einmal Zeichnungen von ihm sehen“, sagte ich zögernd. Lorenzo, der sich über meine Hand gebeugt hatte, schaute erfreut auf. „Die sind wirklich sehenswert, ich habe ein paar davon im Appartment an der Piazza San’Ufficio! Was ist? Was haben Sie?“
Die Sonne stand mittlerweile schräg, ich musste meine Augen mit der linken Hand abschirmen und glaubte, eine Bewegung an den antiken Trümmern hinter Lorenzo wahrgenommen zu haben, etwa zwanzig Meter von uns entfernt. Für einen Moment konnte ich den unverkennbaren Zeuskopf erkennen, die korpulente Gestalt, dann verschwanden die Konturen wieder im Gegenlicht. Ich blinzelte, bis mir die Tränen kamen.
„Hinter Ihnen, zwischen den Steinen, ein Beobachter“, flüsterte ich abgehackt. „Er sieht aus wie Dottore Pasolini ...“
Lorenzo begriff nicht sofort. „Sie meinen Laurinius?“, flüsterte er schließlich mit alarmiertem Gesichtsausdruck zurück. Ich nickte stumm. Seine schwarzen Augen verengten sich unmerklich. Die Zeit dehnte sich merkwürdig aus, Sandfontänen stoben in die Höhe und verharrten dort, als fehlte ihnen die Kraft, wieder zur Erde zurückzukehren. Während ich noch über die unentschlossenen Sandkörner nachdachte, verhallte ein scharfes, trockenes Knacken. Lorenzo sprang in einer einzigen Bewegung nach vorne, begrub mich schützend unter sich und bedeckte meinen Kopf mit seinen Armen. Die Stille währte einen Wimpernschlag, dann fühlte ich mehr, als ich hörte, wie der Sand leise an seinen angestammten Platz niederfiel. In meinem Mund breitete sich der metallische Geschmack von Blut aus. Lorenzo regte sich nicht. Der Nachklang einer Wahrnehmung, die ich vor ungezählten Jahren gehabt hatte, drang an mein Ohr: Das fröhliche Lachen der zurückkehrenden Ausflügler.
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ElsaLaska - 28. Mär, 23:44
oh wow!
Atemlose Spannung!Weiter!Bitte! Danke!
Warum hat das Elsa Blut im Munde?
Gruss,
Elisabeth
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