Samstag*knurr*
Mein Gastgeber war ein gefragter Mann, wie ich anhand der unzähligen Mailordner erkannte, die sich in seinem Outlook-Programm häuften. Ich saß in seinem Arbeitszimmer am Computer und hatte zunächst mein Tiscali-Postfach überprüft.
Lorenzo hatte mich wortkarg am PC eingewiesen und in mörderischer Laune das Appartment verlassen, weil sein direkter Vorgesetzter, Kardinal Ratzinger, ihn unverzüglich zu sehen wünschte. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen rief ich sein Outlook auf und staunte über die Ordner, die Namen trugen wie „Radio Vatikan“, „New York Times“, „FAZ“, „NZZ“ oder gar „Umberto Eco“. Hauptsächlich ging es um kunsthistorische Anfragen, aber Lorenzo hatte auch selbst einige Artikel für namhafte Zeitschriften verfasst. Es gab auch einen Mailwechsel mit Laurinius, der sich um ein Datierungsproblem irgendeines Porträts drehte. Auf seiner Dokumentenablage fanden sich zurückhaltend formulierte Bewertungen von Büchern wie „Die letzte Versuchung“ oder „Illuminati“. Ein Konzept über seine historische Abhandlung der Renaissance-Päpste sowie eine Kochrezepte-Datenbank.
Zerstreut ging ich erneut online und ließ mir die History-Leiste und Favoriten seines Browsers anzeigen, alles mit angehaltenem Atem, damit ich etwaige Schritte im Treppenhaus nicht überhörte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, eine krude Mischung aus Pornografieseiten, Rockmusikforen, Kochblogs, Links zu den großen Museen der Welt, zu Kunstverlagen und Nachrichtenportalen? Jedenfalls nicht den Link zu einem Weblog mit dem Titel de haeresi, welches unzweideutig von Lorenzo geführt wurde, weil mir der Browser gleich beim Aufruf der Seite Benutzername und Paßwort vorschlug. Neugierig klickte ich mich durch das Archiv. Das Weblog war im Wesentlichen eine wissenschaftliche Materialsammlung über die Geschichte der Ketzerbewegungen und ihrer Verfolgung durch die katholische Kirche: Katharer, Waldenser, Albigenser – die üblichen Verdächtigen. Links zu Bibliografien und Quellentexten, natürlich, das gehörte alles zu Lorenzos Arbeitsgebiet innerhalb der Kongregation für Glaubenslehre. Ich stibitzte mir eine Nougatpraline aus dem Schälchen neben dem Bildschirm und sah mir – der Vollständigkeit halber – noch die offline gespeicherten Beiträge des Blogs an, einer davon abgelegt unter der Überschrift: Prieuré de Sion – die Wahrheit.
Gedankenverloren wickelte ich das Konfekt aus der Goldpapierumhüllung und las grinsend eine Beweisführung, die die Kernaussage „an den Haaren herbeigezogener esoterischer Unfug“ in einwandfrei wissenschaftlicher Diktion und fundierter Kenntnis der Quellenlage umsetzte. Lorenzos Conclusio war scharfsinnig und besaß regelrecht V e r v e!
Ich nickte beifällig, während mir das Gianduiotto auf der Zunge zerschmolz. Nachdem der Verfasser schlagend bewiesen hatte, dass die Bruderschaft von Sion ins Reich der Märchen und Mythen verwiesen gehöre, merkte er an, dass nichtsdestotrotz der weltweite Glaube an die tatsächliche Existenz der Prieuré überaus dienlich sei, um die Wahrheit zu verschleiern. An dieser Textstelle angelangt saß ich bereits kerzengerade in Lorenzos Ledersessel und fischte nach der nächsten Praline.
Welche Wahrheit?
Insomma bewirke die globale Hysterie um die Prieuré recht eigentlich, dass die verschworene Gemeinschaft, die sich tatsächlich um die Wahrung des Geheimnisses der Vaterschaft Christi bemühe, ihrer Tätigkeit innerhalb der römisch-katholischen Kirche und natürlich innerhalb der vatikanischen Logen und Geheimbünde in aller Ruhe nachgehen könne. Was der Verfasser als überaus erfreulich bewerte. Fußnote: Kapitel 2 des geplanten Buchprojektes, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen.
Wenn es je eine Situation in meinem Leben gegeben hatte, in der sich mir buchstäblich die Haare sträubten, dann war es diese.
Ich kappte die Internetverbindung, fuhr den Rechner herunter, knipste den Bildschirm aus, rannte zum Fenster hinüber und öffnete es. Atmete ein paar Mal tief ein und aus, kehrte zum Schreibtisch zurück, fuhr den Rechner wieder hinauf, knipste den Monitor an und ging erneut online.
Unter dem Suchausdruck „Die wahre Prieuré de Sion“ listete Google die Vorankündigung eines namhaften Verlages für ein Enthüllungsbuch, geschrieben von „Anonymus“ - bei dem es sich, wie der Verlag versicherte, um einen hochrangigen Kleriker des Vatikans handle. Ich griff blindlings in das Schälchen mit den Pralines, fand aber nur noch leeres Goldpapier.
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Lorenzo hatte mich wortkarg am PC eingewiesen und in mörderischer Laune das Appartment verlassen, weil sein direkter Vorgesetzter, Kardinal Ratzinger, ihn unverzüglich zu sehen wünschte. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen rief ich sein Outlook auf und staunte über die Ordner, die Namen trugen wie „Radio Vatikan“, „New York Times“, „FAZ“, „NZZ“ oder gar „Umberto Eco“. Hauptsächlich ging es um kunsthistorische Anfragen, aber Lorenzo hatte auch selbst einige Artikel für namhafte Zeitschriften verfasst. Es gab auch einen Mailwechsel mit Laurinius, der sich um ein Datierungsproblem irgendeines Porträts drehte. Auf seiner Dokumentenablage fanden sich zurückhaltend formulierte Bewertungen von Büchern wie „Die letzte Versuchung“ oder „Illuminati“. Ein Konzept über seine historische Abhandlung der Renaissance-Päpste sowie eine Kochrezepte-Datenbank.
Zerstreut ging ich erneut online und ließ mir die History-Leiste und Favoriten seines Browsers anzeigen, alles mit angehaltenem Atem, damit ich etwaige Schritte im Treppenhaus nicht überhörte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, eine krude Mischung aus Pornografieseiten, Rockmusikforen, Kochblogs, Links zu den großen Museen der Welt, zu Kunstverlagen und Nachrichtenportalen? Jedenfalls nicht den Link zu einem Weblog mit dem Titel de haeresi, welches unzweideutig von Lorenzo geführt wurde, weil mir der Browser gleich beim Aufruf der Seite Benutzername und Paßwort vorschlug. Neugierig klickte ich mich durch das Archiv. Das Weblog war im Wesentlichen eine wissenschaftliche Materialsammlung über die Geschichte der Ketzerbewegungen und ihrer Verfolgung durch die katholische Kirche: Katharer, Waldenser, Albigenser – die üblichen Verdächtigen. Links zu Bibliografien und Quellentexten, natürlich, das gehörte alles zu Lorenzos Arbeitsgebiet innerhalb der Kongregation für Glaubenslehre. Ich stibitzte mir eine Nougatpraline aus dem Schälchen neben dem Bildschirm und sah mir – der Vollständigkeit halber – noch die offline gespeicherten Beiträge des Blogs an, einer davon abgelegt unter der Überschrift: Prieuré de Sion – die Wahrheit.
Gedankenverloren wickelte ich das Konfekt aus der Goldpapierumhüllung und las grinsend eine Beweisführung, die die Kernaussage „an den Haaren herbeigezogener esoterischer Unfug“ in einwandfrei wissenschaftlicher Diktion und fundierter Kenntnis der Quellenlage umsetzte. Lorenzos Conclusio war scharfsinnig und besaß regelrecht V e r v e!
Ich nickte beifällig, während mir das Gianduiotto auf der Zunge zerschmolz. Nachdem der Verfasser schlagend bewiesen hatte, dass die Bruderschaft von Sion ins Reich der Märchen und Mythen verwiesen gehöre, merkte er an, dass nichtsdestotrotz der weltweite Glaube an die tatsächliche Existenz der Prieuré überaus dienlich sei, um die Wahrheit zu verschleiern. An dieser Textstelle angelangt saß ich bereits kerzengerade in Lorenzos Ledersessel und fischte nach der nächsten Praline.
Welche Wahrheit?
Insomma bewirke die globale Hysterie um die Prieuré recht eigentlich, dass die verschworene Gemeinschaft, die sich tatsächlich um die Wahrung des Geheimnisses der Vaterschaft Christi bemühe, ihrer Tätigkeit innerhalb der römisch-katholischen Kirche und natürlich innerhalb der vatikanischen Logen und Geheimbünde in aller Ruhe nachgehen könne. Was der Verfasser als überaus erfreulich bewerte. Fußnote: Kapitel 2 des geplanten Buchprojektes, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen.
Wenn es je eine Situation in meinem Leben gegeben hatte, in der sich mir buchstäblich die Haare sträubten, dann war es diese.
Ich kappte die Internetverbindung, fuhr den Rechner herunter, knipste den Bildschirm aus, rannte zum Fenster hinüber und öffnete es. Atmete ein paar Mal tief ein und aus, kehrte zum Schreibtisch zurück, fuhr den Rechner wieder hinauf, knipste den Monitor an und ging erneut online.
Unter dem Suchausdruck „Die wahre Prieuré de Sion“ listete Google die Vorankündigung eines namhaften Verlages für ein Enthüllungsbuch, geschrieben von „Anonymus“ - bei dem es sich, wie der Verlag versicherte, um einen hochrangigen Kleriker des Vatikans handle. Ich griff blindlings in das Schälchen mit den Pralines, fand aber nur noch leeres Goldpapier.
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ElsaLaska - 15. Apr, 22:32
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