Sonntag
Ich weiß nicht, wie lange ich am Schreibtisch vor mich hingebrütet hatte, jedenfalls hörte ich irgendwann, wie jemand an den Türrahmen klopfte und „Permesso?“ rief.
Vor mir stand Zeno, sein aufgesetztes Lächeln konnte die Sorge, die in seinen klaren blauen Augen stand, nicht verdecken. „Ist Lorenzo nicht da? Ich wollte ihn etwas fragen!“, rief er eine Spur zu munter aus, während er sich suchend umblickte, als könne sein Freund plötzlich hinter der Gardine hervortreten oder hinterm Bücherregal hervorkrabbeln. Ich wies auf den Termin bei Kardinal Ratzinger hin. Zeno zog ein angemessen enttäuschtes Gesicht, als höre er zum ersten Mal, dass sein Freund den Mittag über in der Glaubenskongregation sei. „Tja, da kann man nichts machen.“, bedauerte er und fasste das Bildnis des Heiligen Vaters an der Wand schärfer ins Auge. „Aber gut, dass ich Sie einmal alleine antreffe“, setzte er an, rückte das Bild zurecht, das auch vorher schon exakt ausgerichtet gewesen war und nahm mir gegenüber Platz.
Er habe lange mit sich gerungen, denn er wolle einerseits natürlich nichts Schlechtes über Lorenzo sagen, den er im übrigen liebe wie seinen eigenen Bruder, andererseits auch mir nicht zu nahe treten – dennoch, es müsse nun einmal sein, das sei er sich vor seinem Gewissen schuldig. An dieser Stelle machte er eine bedeutungsvolle Pause.
Ich schaute ihn mit erhobenen Brauen unverwandt an.
„Bene“, er räusperte sich mehrmals.
Die Sache sei die: Sein Freund sei ein Mann mit zwei Gesichtern und nur Menschen, die ihn sehr gut und schon so lange kannten wie er, Zeno Aurel, wüssten darüber Bescheid. Für alle anderen, er nickte mir zu und griff sich das Pralineschälchen, präsentiere Lorenzo Emilio sich als charmanten und liebenswerten Burschen, in Wirklichkeit sei er ein geisteskranker Unhold, eh, ein Mann, der zu allen Schandtaten, die man sich überhaupt nur ausdenken konnte, fähig sei, doch doch. Mit spitzen Fingern durchwühlte Zeno den Goldpapierberg und schob das Schälchen dann enttäuscht wieder an seinen Platz zurück.
Beh, allora, eine verwerfliche Person, ein Mensch, der keinerlei Moral und Gewissen besitze, ein pervertierter eh Sadist, ein ... Tierquäler! Ich zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Zeno, der den Faden seiner Ansprache verloren hatte, rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.
„Ich erzähle Ihnen die reine Wahrheit, Signora. Als er ein kleiner Junge war, hat er einmal hm, die Katze, die Katze ...“ Mein Gegenüber schielte fast vor Anstrengung. „Nun, was auch immer, es war grauenhaft. Ich möchte Sie vor Lorenzo warnen, Sie wiegen sich vielleicht in Illusionen, was ihn betrifft, das ist natürlich schmerzhaft, aber hm ...“
Die Worte gingen ihm schließlich aus und er starrte unglücklich vor sich hin.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, lieber Zeno, wie Sie ja wissen und in Anbetracht des Ernstes der Umstände-“
Er riss schockiert die Augen auf, stieß eine Reihe wüster Flüche und Verwünschungen sämtlicher Heiligen sowie der Muttergottes aus und ging dann nahtlos dazu über, seinen besten Freund mit den übelsten Schimpfnamen zu belegen, die ich bis dato vernommen hatte. Während ich noch verwirrt darüber nachgrübelte, was ihn so aufgebracht haben könnte, stand er auf, strich sich die Haare glatt, überprüfte den Sitz seiner Hose und fiel ächzend vor mir auf die Knie. „Liebe Elsa, ich verspreche, Sie zu ehren und zu achten und das Kind zu behandeln, als wäre es mein eigen Fleisch und Blut. Ich werde Ihnen ein guter Ehemann sein und dem Kind ein verantwortungsvoller Vater, das schwöre ich bei dem Leben meiner Mutter! Sagen Sie Ja!“
„Das ist eh, kommt jetzt etwas unerwartet, ich bin, fühle mich sehr geehrt, wenn ich auch...“ Ich schlug mir gegen die Stirn. Natürlich, ich hatte gravità, den Ernst, mit gravidanza, Schwangerschaft, verwechselt und der treue Zeno bot mir ritterlich die Rettung aus einer, wie er glaubte, unehrenhaften und kompromittierenden Situation, in die dieser bastardo von Freund mich hineingebracht hatte. Ich beeilte mich, den Irrtum aufzuklären. Wir hielten uns fast fünf Minuten die Bäuche vor Lachen, wischten uns die Tränen aus den Augen und konnten uns kaum wieder beruhigen. „Sie müssen mich für einen kompletten Volltrottel halten!“, meinte er, als er endlich wieder Luft bekam.
Ich hatte ihm von Anfang an kein einziges Wort geglaubt.
„Es ist nur so, ich bin fast verrückt vor Sorge wegen-“ Ich legte ihm beschwichtigend den Finger auf die Lippen. Wir umarmten uns in aller Freundschaft.
Als ich die Augen wieder öffnete, konnte ich über seine Schulter hinweg Lorenzo im Türrahmen stehen sehen. Er murmelte eine erstickte Entschuldigung und ging mit langen Schritten weiter in Richtung Küche. Zeno bedeutete mir, zu warten, bevor er ihm aufseufzend folgte.
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Vor mir stand Zeno, sein aufgesetztes Lächeln konnte die Sorge, die in seinen klaren blauen Augen stand, nicht verdecken. „Ist Lorenzo nicht da? Ich wollte ihn etwas fragen!“, rief er eine Spur zu munter aus, während er sich suchend umblickte, als könne sein Freund plötzlich hinter der Gardine hervortreten oder hinterm Bücherregal hervorkrabbeln. Ich wies auf den Termin bei Kardinal Ratzinger hin. Zeno zog ein angemessen enttäuschtes Gesicht, als höre er zum ersten Mal, dass sein Freund den Mittag über in der Glaubenskongregation sei. „Tja, da kann man nichts machen.“, bedauerte er und fasste das Bildnis des Heiligen Vaters an der Wand schärfer ins Auge. „Aber gut, dass ich Sie einmal alleine antreffe“, setzte er an, rückte das Bild zurecht, das auch vorher schon exakt ausgerichtet gewesen war und nahm mir gegenüber Platz.
Er habe lange mit sich gerungen, denn er wolle einerseits natürlich nichts Schlechtes über Lorenzo sagen, den er im übrigen liebe wie seinen eigenen Bruder, andererseits auch mir nicht zu nahe treten – dennoch, es müsse nun einmal sein, das sei er sich vor seinem Gewissen schuldig. An dieser Stelle machte er eine bedeutungsvolle Pause.
Ich schaute ihn mit erhobenen Brauen unverwandt an.
„Bene“, er räusperte sich mehrmals.
Die Sache sei die: Sein Freund sei ein Mann mit zwei Gesichtern und nur Menschen, die ihn sehr gut und schon so lange kannten wie er, Zeno Aurel, wüssten darüber Bescheid. Für alle anderen, er nickte mir zu und griff sich das Pralineschälchen, präsentiere Lorenzo Emilio sich als charmanten und liebenswerten Burschen, in Wirklichkeit sei er ein geisteskranker Unhold, eh, ein Mann, der zu allen Schandtaten, die man sich überhaupt nur ausdenken konnte, fähig sei, doch doch. Mit spitzen Fingern durchwühlte Zeno den Goldpapierberg und schob das Schälchen dann enttäuscht wieder an seinen Platz zurück.
Beh, allora, eine verwerfliche Person, ein Mensch, der keinerlei Moral und Gewissen besitze, ein pervertierter eh Sadist, ein ... Tierquäler! Ich zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Zeno, der den Faden seiner Ansprache verloren hatte, rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.
„Ich erzähle Ihnen die reine Wahrheit, Signora. Als er ein kleiner Junge war, hat er einmal hm, die Katze, die Katze ...“ Mein Gegenüber schielte fast vor Anstrengung. „Nun, was auch immer, es war grauenhaft. Ich möchte Sie vor Lorenzo warnen, Sie wiegen sich vielleicht in Illusionen, was ihn betrifft, das ist natürlich schmerzhaft, aber hm ...“
Die Worte gingen ihm schließlich aus und er starrte unglücklich vor sich hin.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, lieber Zeno, wie Sie ja wissen und in Anbetracht des Ernstes der Umstände-“
Er riss schockiert die Augen auf, stieß eine Reihe wüster Flüche und Verwünschungen sämtlicher Heiligen sowie der Muttergottes aus und ging dann nahtlos dazu über, seinen besten Freund mit den übelsten Schimpfnamen zu belegen, die ich bis dato vernommen hatte. Während ich noch verwirrt darüber nachgrübelte, was ihn so aufgebracht haben könnte, stand er auf, strich sich die Haare glatt, überprüfte den Sitz seiner Hose und fiel ächzend vor mir auf die Knie. „Liebe Elsa, ich verspreche, Sie zu ehren und zu achten und das Kind zu behandeln, als wäre es mein eigen Fleisch und Blut. Ich werde Ihnen ein guter Ehemann sein und dem Kind ein verantwortungsvoller Vater, das schwöre ich bei dem Leben meiner Mutter! Sagen Sie Ja!“
„Das ist eh, kommt jetzt etwas unerwartet, ich bin, fühle mich sehr geehrt, wenn ich auch...“ Ich schlug mir gegen die Stirn. Natürlich, ich hatte gravità, den Ernst, mit gravidanza, Schwangerschaft, verwechselt und der treue Zeno bot mir ritterlich die Rettung aus einer, wie er glaubte, unehrenhaften und kompromittierenden Situation, in die dieser bastardo von Freund mich hineingebracht hatte. Ich beeilte mich, den Irrtum aufzuklären. Wir hielten uns fast fünf Minuten die Bäuche vor Lachen, wischten uns die Tränen aus den Augen und konnten uns kaum wieder beruhigen. „Sie müssen mich für einen kompletten Volltrottel halten!“, meinte er, als er endlich wieder Luft bekam.
Ich hatte ihm von Anfang an kein einziges Wort geglaubt.
„Es ist nur so, ich bin fast verrückt vor Sorge wegen-“ Ich legte ihm beschwichtigend den Finger auf die Lippen. Wir umarmten uns in aller Freundschaft.
Als ich die Augen wieder öffnete, konnte ich über seine Schulter hinweg Lorenzo im Türrahmen stehen sehen. Er murmelte eine erstickte Entschuldigung und ging mit langen Schritten weiter in Richtung Küche. Zeno bedeutete mir, zu warten, bevor er ihm aufseufzend folgte.
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ElsaLaska - 16. Apr, 21:54
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