Sonntag (II)
Am Nachmittag hatte es aufgehört zu regnen und die Sonne sich
wieder durchgesetzt. Unten auf dem Petersplatz verschwanden die lustigen bunten Tupfer der Regenschirme nach und nach und man konnte wieder menschliche Gestalten erkennen, die sich in langgezogenen Formationen bewegten oder in Grüppchen verharrten. Lorenzo und ich hatten es uns auf der Loggia gemütlich gemacht, über uns gurrten die Tauben. Offensichtlich hatte ihm Ratzinger heute Mittag nicht mit Exkommunikation gedroht, denn er war in ausnehmend gelöster Stimmung.
Wir plauderten über den Präfekten der Glaubenskongregation und ich war erstaunt zu hören, dass Lorenzo große Stücke auf ihn hielt. Ein brillanter Theologe, einer der besten Wissenschaftler, den die Kirche habe, ein gelehrter und dabei sehr gütiger Mann – mein Gastgeber verfiel fast ins Schwärmen. Ich fragte mich, wie groß Ratzingers Güte wirklich war, für den Fall, dass Lorenzos Identität als „Anonymus“ auffliegen würde. Seine Eminenz würde mindestens „not amused“ sein. Dabei fiel mir ein, dass ich Lorenzo gegenüber unbedingt das Thema zur Sprache bringen musste, egal wie, damit er den unseligen offline-Beitrag löschen konnte. Immerhin stand er im Netz, zwar passwortgeschützt, aber dennoch: ein großes Risiko und pure Schlamperei. Zunächst aber ging eine SMS von Leitmayr ein, der mir mitteilte, dass er einen Tisch für zwei Personen bestellt habe und mich gegen Acht abholen wolle.
Lorenzo hatte sich interessiert vorgebeugt. „Sie gehen also tatsächlich heute Abend mit dem deutschen Kommissar essen?“
„Gibt es Einwände?“, versetzte ich kurz angebunden und tippte meine Antwort ein.
„Überhaupt nicht. Sie haben sich etwas Abwechslung verdient. Das alles“, er machte ein vage kreisförmige Bewegung mit der rechten Hand, die sowohl ganz Rom, den Petersplatz, die Loggia und auch seine eigene Person einschließen konnte, „ist bestimmt sehr anstrengend für Sie. Leitmayr ist privat ganz sicher ein amüsanter Bursche, und er ist Polizist, wird Sie also schützen können, wenn es nötig ist.“
Ich nahm ihn mit zusammengekniffenen Augen ins Visier, aber er beachtete mich nicht, sondern pflückte selbstzufrieden einen Rosmarinzweig und schnupperte lächelnd daran.
Für einen Mann besaß er ganz außerordentlich schön geschwungene Brauen, fiel mir beim Anblick seines Profils auf, das durchaus edel zu nennen war. Ich fuhr mir ungeduldig über die Augen und sendete meine SMS ab. Etwas Abwechslung würde mir wirklich gut tun, überlegte ich, während ich mich bei der Betrachtung seiner feinnervigen Hände ertappte. Wohlgeformte Beine hatte er auch. Wir waren schon viel zu lange zusammen, die Situation war kompliziert genug. Vielleicht sollte ich mit Leitmayr ins Bett gehen? Nicht, dass das die Situation entzerren würde. Ich rief mich innerlich zur Ordnung.
„Die Situation ist kompliziert genug“, hörte ich Lorenzo sagen. „Mir ist durchaus bewusst, dass der Umgang mit mir nicht immer die reine Freude ist. Wenn wir ehrlich sind, es ist gar nicht auszuhalten: Ich neige zu Unzufriedenheit und schlechter Laune, und besitze noch dazu eine kräftezehrende Familie mit der Tendenz zu typisch italienischer Theatralik.“ Er gab das Spiel mit dem Rosmarinzweig auf, legte die linke Handfläche an die linke Wange und stützte den Arm auf, um mich betrübt anzuschauen – kurz, er kokettierte nach allen Regeln der Kunst.
„Ihre Menüfolgen entschädigen mich für die reichlich erlittene Unbill“, grinste ich. Den Teufel würde ich tun und ihm in Bezug auf seine Launen und seine Familie widersprechen. Das war so ungefähr der letzte klare Gedanke, den ich noch hatte, bevor ich wie eine Bescheuerte weiterplapperte:
„Außerdem bieten Sie einen hinreißenden Anblick, wenn Sie kochen.“ Was zwar stimmte, aber vielleicht einer näheren Erläuterung bedurfte. Lorenzo schien das ähnlich zu sehen, er schaute mich weiter gespannt an.
„Sie sind dann von einer ungeheuren Präsenz, so konzentriert, so-“
Ich schnickte ungeduldig mit den Fingern, weil mir einerseits das richtige Wort fehlte, andererseits klar wurde, dass ich zwar etwas sehr Kluges dachte, aber leider nur ziemlich dumme Worte dafür finden würde. In der Tat.
„So voller Hingabe!“ Ich nickte zufrieden, genau dieses Wort hatte ich gesucht. Eigentlich. Lorenzo schwieg geduldig. Was mich irgendwie anspornte:
„Von einer Hingabe, wie sie die meisten Männer nicht einmal im Bett aufbringen!“ Die Stille hätte fast vollkommen sein können, wenn über uns nicht ein paar verrückte Tauben wieder mit ihrer Gurrerei angefangen hätten. Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Offensichtlich hatte ich einen Sonnenstich erlitten. Vielleicht würde mich gleich eine gnädige Ohnmacht umfangen, aber nichts dergleichen geschah. Um Lorenzos Mundwinkel zuckte es verräterisch. Es bestand noch die Möglichkeit, mich von der Loggia zu stürzen, die ich halbherzig erwog, als ich hörte, wie er in herzhaftes Lachen ausbrach.
„Sie haben eine originelle Art, Komplimente zu machen. Das war sehr poetisch, nein wirklich, schauen Sie doch nicht so unglücklich drein.“
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wieder durchgesetzt. Unten auf dem Petersplatz verschwanden die lustigen bunten Tupfer der Regenschirme nach und nach und man konnte wieder menschliche Gestalten erkennen, die sich in langgezogenen Formationen bewegten oder in Grüppchen verharrten. Lorenzo und ich hatten es uns auf der Loggia gemütlich gemacht, über uns gurrten die Tauben. Offensichtlich hatte ihm Ratzinger heute Mittag nicht mit Exkommunikation gedroht, denn er war in ausnehmend gelöster Stimmung.
Wir plauderten über den Präfekten der Glaubenskongregation und ich war erstaunt zu hören, dass Lorenzo große Stücke auf ihn hielt. Ein brillanter Theologe, einer der besten Wissenschaftler, den die Kirche habe, ein gelehrter und dabei sehr gütiger Mann – mein Gastgeber verfiel fast ins Schwärmen. Ich fragte mich, wie groß Ratzingers Güte wirklich war, für den Fall, dass Lorenzos Identität als „Anonymus“ auffliegen würde. Seine Eminenz würde mindestens „not amused“ sein. Dabei fiel mir ein, dass ich Lorenzo gegenüber unbedingt das Thema zur Sprache bringen musste, egal wie, damit er den unseligen offline-Beitrag löschen konnte. Immerhin stand er im Netz, zwar passwortgeschützt, aber dennoch: ein großes Risiko und pure Schlamperei. Zunächst aber ging eine SMS von Leitmayr ein, der mir mitteilte, dass er einen Tisch für zwei Personen bestellt habe und mich gegen Acht abholen wolle.
Lorenzo hatte sich interessiert vorgebeugt. „Sie gehen also tatsächlich heute Abend mit dem deutschen Kommissar essen?“
„Gibt es Einwände?“, versetzte ich kurz angebunden und tippte meine Antwort ein.
„Überhaupt nicht. Sie haben sich etwas Abwechslung verdient. Das alles“, er machte ein vage kreisförmige Bewegung mit der rechten Hand, die sowohl ganz Rom, den Petersplatz, die Loggia und auch seine eigene Person einschließen konnte, „ist bestimmt sehr anstrengend für Sie. Leitmayr ist privat ganz sicher ein amüsanter Bursche, und er ist Polizist, wird Sie also schützen können, wenn es nötig ist.“
Ich nahm ihn mit zusammengekniffenen Augen ins Visier, aber er beachtete mich nicht, sondern pflückte selbstzufrieden einen Rosmarinzweig und schnupperte lächelnd daran.
Für einen Mann besaß er ganz außerordentlich schön geschwungene Brauen, fiel mir beim Anblick seines Profils auf, das durchaus edel zu nennen war. Ich fuhr mir ungeduldig über die Augen und sendete meine SMS ab. Etwas Abwechslung würde mir wirklich gut tun, überlegte ich, während ich mich bei der Betrachtung seiner feinnervigen Hände ertappte. Wohlgeformte Beine hatte er auch. Wir waren schon viel zu lange zusammen, die Situation war kompliziert genug. Vielleicht sollte ich mit Leitmayr ins Bett gehen? Nicht, dass das die Situation entzerren würde. Ich rief mich innerlich zur Ordnung.
„Die Situation ist kompliziert genug“, hörte ich Lorenzo sagen. „Mir ist durchaus bewusst, dass der Umgang mit mir nicht immer die reine Freude ist. Wenn wir ehrlich sind, es ist gar nicht auszuhalten: Ich neige zu Unzufriedenheit und schlechter Laune, und besitze noch dazu eine kräftezehrende Familie mit der Tendenz zu typisch italienischer Theatralik.“ Er gab das Spiel mit dem Rosmarinzweig auf, legte die linke Handfläche an die linke Wange und stützte den Arm auf, um mich betrübt anzuschauen – kurz, er kokettierte nach allen Regeln der Kunst.
„Ihre Menüfolgen entschädigen mich für die reichlich erlittene Unbill“, grinste ich. Den Teufel würde ich tun und ihm in Bezug auf seine Launen und seine Familie widersprechen. Das war so ungefähr der letzte klare Gedanke, den ich noch hatte, bevor ich wie eine Bescheuerte weiterplapperte:
„Außerdem bieten Sie einen hinreißenden Anblick, wenn Sie kochen.“ Was zwar stimmte, aber vielleicht einer näheren Erläuterung bedurfte. Lorenzo schien das ähnlich zu sehen, er schaute mich weiter gespannt an.
„Sie sind dann von einer ungeheuren Präsenz, so konzentriert, so-“
Ich schnickte ungeduldig mit den Fingern, weil mir einerseits das richtige Wort fehlte, andererseits klar wurde, dass ich zwar etwas sehr Kluges dachte, aber leider nur ziemlich dumme Worte dafür finden würde. In der Tat.
„So voller Hingabe!“ Ich nickte zufrieden, genau dieses Wort hatte ich gesucht. Eigentlich. Lorenzo schwieg geduldig. Was mich irgendwie anspornte:
„Von einer Hingabe, wie sie die meisten Männer nicht einmal im Bett aufbringen!“ Die Stille hätte fast vollkommen sein können, wenn über uns nicht ein paar verrückte Tauben wieder mit ihrer Gurrerei angefangen hätten. Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Offensichtlich hatte ich einen Sonnenstich erlitten. Vielleicht würde mich gleich eine gnädige Ohnmacht umfangen, aber nichts dergleichen geschah. Um Lorenzos Mundwinkel zuckte es verräterisch. Es bestand noch die Möglichkeit, mich von der Loggia zu stürzen, die ich halbherzig erwog, als ich hörte, wie er in herzhaftes Lachen ausbrach.
„Sie haben eine originelle Art, Komplimente zu machen. Das war sehr poetisch, nein wirklich, schauen Sie doch nicht so unglücklich drein.“
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ElsaLaska - 17. Apr, 02:13
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