Donnerstag
„Was ist, schmeckt dir der Kuchen nicht?“, fragte ich Giulia, die nachdenklich in ihrem Teller herumstocherte und überhaupt sehr still geworden war.
„Ich denke nur darüber nach, wie es kommt, dass ich meinen Bruder nicht halb so gut kenne wie du. Du hast absolut Recht mit allem, er würde es hassen, und sich selbst noch dazu. Wie lange kennt ihr euch jetzt?“
„Vielleicht zwei, drei Wochen?“
„Erstaunlich. Und mit welcher Bestimmtheit du das gesagt hast, entweder machst du dir nicht viel aus ihm-“
Mein Handy klingelte und eine vertraute Nummer erschien im Display. „Lorenzo!“, ließ ich Giulia aufgeregt wissen und meldete mich erfreut. „Aber nein, Sie stören überhaupt nicht, nein, Giulia und ich haben viel Spaß miteinander. Und bei Ihnen? Hoffentlich kein anstrengender Termin beim stellvertretenden ... Ach, gottseidank, wie schön für Sie. Eine Überraschung? Aber das wäre doch nicht nötig ... Das klingt zauberhaft. Ich kann es kaum erwarten. Bis nachher, ja, für Sie auch! Buona giornata!“
Ich lächelte dem Display noch einmal zu, was sicher befremdlich gewirkt haben muss und legte es wieder auf den Tisch zurück. Seufzend wandte ich mich wieder zu Giulia. „Was hattest du gerade gesagt?“
„Oder er bedeutet dir so viel, dass du auf ihn verzichten würdest, um ihn nicht unglücklich zu machen. Un amore grande! Mamma mia!“
„Was redest du da? Langsam geht mir dieses pathetische Primavera-Amore-Gesinge, das in der Luft liegt, gehörig auf die Nerven. Amore Amore! Ich bin gerne mit deinem Bruder zusammen, er ist amüsant und wir haben uns angefreundet, das ist wirklich alles. Wie läuft es denn mit Francesco? Er hat mir neulich von dir vorgeschwärmt!“
„Er ist amüsant und wir haben uns angefreundet, das ist wirklich alles“, gab Giulia hämisch zurück. „Andiamo! Wenn wir rechtzeitig bei Anastasio sein wollen, müssen wir uns sputen.
Anastasio, der stockschwule Friseur und begnadete Bingospieler entstammte, wie konnte es anders sein, einer uralten Dynastie römischer Haarkünstler. Wir betraten seinen Salon über einen abgerissenen Hinterhof. Die Einrichtung kündete von blankem Understatement, das an Askese grenzte. Der Bodenbelag fehlte, Sessel und Waschbecken von edelstem Design standen auf dem blanken Estrich. Die Wände waren unverschalt und völlig kahl, im Großen und Ganzen erinnerte mich sein Etablissement an eine Mischung aus Garage und Kokainküche. Der Maestro selbst trug eine Wildlederreithose und – tatsächlich – ein Kettenhemd, das sich erstaunlich leger an die knabenhafte Gestalt schmiegte. Seine schwarzgefärbten Haare waren zu einer exakten Prinz-Eisenherz-Frisur geschnitten, das Gesicht unter dem strengen Pony von ausgesprochen androgyner Natur. Irgendwie erinnerte mich sein Äußeres an Jean d’Arc, und es kontrastierte auffällig seine barock-opulente Seele.
„Ist sie das?“, begrüßte er Giulia und deutete mit spitzem Zeigefinger auf meinen Hals. Während uns zofenhaft gekleidete dienstbare Geister mit Champagner und Kaviarhäppchen versorgten, nötigte er mich in einen Sessel, löste mein Haar und umschlich mich, den Finger an den Mund gelegt, mit zusammengezogenen Brauen.
„Ich brauche andere Musik, besseres Licht, andere Farben. Raum, Inspiration, eine bessere Welt. Zur Hölle, so kann ich nicht arbeiten!“ Ich drückte mich tiefer in den Sessel und beglückwünschte mich, dass er nicht noch eine andere Kundin mit anderem Haar verlangt hatte. Eine Gehilfin drapierte ein Stück maulbeerfarbenen Samt um mich, entzündete drei mächtige Altarkerzen und legte Renaissance-Musik auf. Anastasio wirkte einen Hauch zufriedener und prüfte mit geschmeidigen Bewegungen die Qualität meines Haars.
„In desolatem Zustand, warum hast du sie nicht früher zu mir gebracht, Ju-Ju?“, keifte er Giulia an, die sich behaglich ihrem Champagner gewidmet hatte.
„Besinn dich auf dein Handwerk und mach keine Szenen, Anastasio. Der Champagner ist zu warm“, entgegnete Giulia mit Grandezza. Ich schloss gottergeben die Augen und fügte mich in mein Schicksal. Anastasio kontrollierte die Temperatur des Getränkes und ließ es mit einer unwirschen Handbewegung zurückgehen.
„Schlamperei. Vergebung! Bei einem solchen Anlass warmen Champagner zu servieren ist in der Tat unverzeihlich!“ Giulia nickte huldvoll.
„Es ist über dreihundert Jahre her, dass einer meiner Vorfahren die Favoritin eines Farnese frisieren durfte, keiner soll mir nachsagen, dass ich heute warmen Champagner gereicht habe! Zu Ihnen, Madame!“
„Ich bin nicht-“ Verdammt noch mal! Anastasio legte mir die Hände von hinten auf die Schultern und beugte sich zu mir hinunter.
„Solches Haar wie das Ihre ist ausgesprochen unmodern. Seine Fülle ist fast obszön, an der Farbe werden wir etwas ändern, oh nein, es wird eine Nuance intensiver sein, das ist alles. Ich bin kein Stümper, der Ihnen lila Strähnen einzieht, das wird Ihnen Ju-Ju sicher bestätigen. Wir wollen Ihren Nacken zur Geltung bringen, außerordentlich exquisit, wie er ist“, schmeichelte er an meinem Ohr. Dann wurde seine Stimme schriller.
„Ich werde Ihnen eine Frisur machen, die Sie aussehen lässt, als kämen Sie frisch aus dem Bett, lasziv, eine entfesselte Nymphe, ich kann den Moschus riechen, der aus dieser Kreation emporsteigt – und e r wird es auch können, das garantiere ich Ihnen!“
Giulias Nasenflügel blähten sich vor unterdrückter Lachlust und ich erwägte kurz, den Spiegel zu zertrümmern und ihr eine Scherbe in den Hals zu rammen.
Zwei Stunden später verließ ich das Studio des Meisters mit der kunstvollsten Hochsteckfrisur, die ich je getragen hatte und der Hoffnung, dass Lorenzo sich nicht viel aus Frisuren machte.
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„Ich denke nur darüber nach, wie es kommt, dass ich meinen Bruder nicht halb so gut kenne wie du. Du hast absolut Recht mit allem, er würde es hassen, und sich selbst noch dazu. Wie lange kennt ihr euch jetzt?“
„Vielleicht zwei, drei Wochen?“
„Erstaunlich. Und mit welcher Bestimmtheit du das gesagt hast, entweder machst du dir nicht viel aus ihm-“
Mein Handy klingelte und eine vertraute Nummer erschien im Display. „Lorenzo!“, ließ ich Giulia aufgeregt wissen und meldete mich erfreut. „Aber nein, Sie stören überhaupt nicht, nein, Giulia und ich haben viel Spaß miteinander. Und bei Ihnen? Hoffentlich kein anstrengender Termin beim stellvertretenden ... Ach, gottseidank, wie schön für Sie. Eine Überraschung? Aber das wäre doch nicht nötig ... Das klingt zauberhaft. Ich kann es kaum erwarten. Bis nachher, ja, für Sie auch! Buona giornata!“
Ich lächelte dem Display noch einmal zu, was sicher befremdlich gewirkt haben muss und legte es wieder auf den Tisch zurück. Seufzend wandte ich mich wieder zu Giulia. „Was hattest du gerade gesagt?“
„Oder er bedeutet dir so viel, dass du auf ihn verzichten würdest, um ihn nicht unglücklich zu machen. Un amore grande! Mamma mia!“
„Was redest du da? Langsam geht mir dieses pathetische Primavera-Amore-Gesinge, das in der Luft liegt, gehörig auf die Nerven. Amore Amore! Ich bin gerne mit deinem Bruder zusammen, er ist amüsant und wir haben uns angefreundet, das ist wirklich alles. Wie läuft es denn mit Francesco? Er hat mir neulich von dir vorgeschwärmt!“
„Er ist amüsant und wir haben uns angefreundet, das ist wirklich alles“, gab Giulia hämisch zurück. „Andiamo! Wenn wir rechtzeitig bei Anastasio sein wollen, müssen wir uns sputen.
Anastasio, der stockschwule Friseur und begnadete Bingospieler entstammte, wie konnte es anders sein, einer uralten Dynastie römischer Haarkünstler. Wir betraten seinen Salon über einen abgerissenen Hinterhof. Die Einrichtung kündete von blankem Understatement, das an Askese grenzte. Der Bodenbelag fehlte, Sessel und Waschbecken von edelstem Design standen auf dem blanken Estrich. Die Wände waren unverschalt und völlig kahl, im Großen und Ganzen erinnerte mich sein Etablissement an eine Mischung aus Garage und Kokainküche. Der Maestro selbst trug eine Wildlederreithose und – tatsächlich – ein Kettenhemd, das sich erstaunlich leger an die knabenhafte Gestalt schmiegte. Seine schwarzgefärbten Haare waren zu einer exakten Prinz-Eisenherz-Frisur geschnitten, das Gesicht unter dem strengen Pony von ausgesprochen androgyner Natur. Irgendwie erinnerte mich sein Äußeres an Jean d’Arc, und es kontrastierte auffällig seine barock-opulente Seele.
„Ist sie das?“, begrüßte er Giulia und deutete mit spitzem Zeigefinger auf meinen Hals. Während uns zofenhaft gekleidete dienstbare Geister mit Champagner und Kaviarhäppchen versorgten, nötigte er mich in einen Sessel, löste mein Haar und umschlich mich, den Finger an den Mund gelegt, mit zusammengezogenen Brauen.
„Ich brauche andere Musik, besseres Licht, andere Farben. Raum, Inspiration, eine bessere Welt. Zur Hölle, so kann ich nicht arbeiten!“ Ich drückte mich tiefer in den Sessel und beglückwünschte mich, dass er nicht noch eine andere Kundin mit anderem Haar verlangt hatte. Eine Gehilfin drapierte ein Stück maulbeerfarbenen Samt um mich, entzündete drei mächtige Altarkerzen und legte Renaissance-Musik auf. Anastasio wirkte einen Hauch zufriedener und prüfte mit geschmeidigen Bewegungen die Qualität meines Haars.
„In desolatem Zustand, warum hast du sie nicht früher zu mir gebracht, Ju-Ju?“, keifte er Giulia an, die sich behaglich ihrem Champagner gewidmet hatte.
„Besinn dich auf dein Handwerk und mach keine Szenen, Anastasio. Der Champagner ist zu warm“, entgegnete Giulia mit Grandezza. Ich schloss gottergeben die Augen und fügte mich in mein Schicksal. Anastasio kontrollierte die Temperatur des Getränkes und ließ es mit einer unwirschen Handbewegung zurückgehen.
„Schlamperei. Vergebung! Bei einem solchen Anlass warmen Champagner zu servieren ist in der Tat unverzeihlich!“ Giulia nickte huldvoll.
„Es ist über dreihundert Jahre her, dass einer meiner Vorfahren die Favoritin eines Farnese frisieren durfte, keiner soll mir nachsagen, dass ich heute warmen Champagner gereicht habe! Zu Ihnen, Madame!“
„Ich bin nicht-“ Verdammt noch mal! Anastasio legte mir die Hände von hinten auf die Schultern und beugte sich zu mir hinunter.
„Solches Haar wie das Ihre ist ausgesprochen unmodern. Seine Fülle ist fast obszön, an der Farbe werden wir etwas ändern, oh nein, es wird eine Nuance intensiver sein, das ist alles. Ich bin kein Stümper, der Ihnen lila Strähnen einzieht, das wird Ihnen Ju-Ju sicher bestätigen. Wir wollen Ihren Nacken zur Geltung bringen, außerordentlich exquisit, wie er ist“, schmeichelte er an meinem Ohr. Dann wurde seine Stimme schriller.
„Ich werde Ihnen eine Frisur machen, die Sie aussehen lässt, als kämen Sie frisch aus dem Bett, lasziv, eine entfesselte Nymphe, ich kann den Moschus riechen, der aus dieser Kreation emporsteigt – und e r wird es auch können, das garantiere ich Ihnen!“
Giulias Nasenflügel blähten sich vor unterdrückter Lachlust und ich erwägte kurz, den Spiegel zu zertrümmern und ihr eine Scherbe in den Hals zu rammen.
Zwei Stunden später verließ ich das Studio des Meisters mit der kunstvollsten Hochsteckfrisur, die ich je getragen hatte und der Hoffnung, dass Lorenzo sich nicht viel aus Frisuren machte.
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ElsaLaska - 20. Apr, 01:29
Die Blognovela - - 0 Trackbacks - 1398x gelesen
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