Sonntag
Zeno bestand darauf, in dieser Minute noch zum Dom hinüber zu gehen und den Zugang zur Kuppel zu inspizieren, aber Lorenzo weigerte sich. Mit einer eleganten Bewegung des Handgelenkes ließ er den letzten Schluck caffè in seiner Tasse kreisen, bevor er den Rest hinunter kippte. Es käme überhaupt nicht in Frage, sich den schönen Abend verderben zu lassen wegen eines solchen, solchen ...
„Cazzo di maiale“, schlug Zeno hilfreich vor, was seinen Freund dazu veranlasste, mit Duldermiene die Augen zu schließen. Dann klatschte er aufmunternd in die Hände: Er, Lorenzo, habe außerordentlich frische Seezunge im Kühlschrank - wofür er Gott danke - und die er trotz aller widrigen Umstände mit Estragonbutter zu zubereiten gedenke, alles andere habe Zeit bis morgen.
Bei den Worten „frische Seezunge“ verdrehte Zeno die Augen und ließ sich ohne weiteren Widerstand in den Stuhl zurücksinken. Ich machte lächelnd Platz am Herd, entkorkte noch eine Flasche Weißwein und setzte mich wieder an den Tisch, wo ich, das Kinn in die Hand gestützt, die nächsten zehn Minuten damit zubrachte, den Anblick eines vollkommen konzentrierten, bestens gelaunten Lorenzo zu genießen, der nach allen Regeln der Kunst zu zaubern begann.
Er hatte Recht, es war idiotisch, sich den Abend verderben zu lassen, der mit so vielen Missverständnissen angefangen hatte. Um das leidige Fax konnten wir uns auch noch morgen kümmern. Vielleicht war mir der Spumante schon zu Kopf gestiegen, weil ich mir keine Sekunde lang Gedanken über die Drohung machte, die gegen mich ausgesprochen worden war. Vielleicht lag es auch an dem vergnügten Zwinkern, das Lorenzo mir zuwarf, als er bemerkte, wie ich ihn beim Zubereiten der Seezunge beobachtete – ich wusste ganz genau, dass er sich daran erinnerte, was ich über seine Hingabe beim Kochen gesagt hatte und verstrickte mich verlegen in eine Diskussion mit Zeno, der davon überzeugt war, dass der einzige Weißwein, der perfekt zu Fisch passe, Verdicchio-Wein sei.
Selbst als das Gespräch in so gefährliche Untiefen wie die Weinkarte einer eventuell zu führenden Trattoria in Urbino geriet - Zeno war der Ansicht, man könne sich bei der gebotenen Speiseauswahl durchaus auf lediglich zwei Weine von anständiger Qualität beschränken, plus einen vernünftigen Prosecco und eine kleine, aber feine Auswahl von Grappe, - gab es keinerlei Einwände von Lorenzos Seite, im Gegenteil, er stellte stillvergnügt die Teller mit den Seezungenfilets vor uns hin, von denen der aromatisch feine Duft der Estragonbutter aufstieg. Die Filets waren auf den Punkt gebraten, saftig und sahnig weich. Zeno schob sich mit geschlossenen Lidern den ersten Bissen in den Mund, riss dann die Augen weit auf und erklärte Gott und allen Heiligen, dass dies die allerbeste Seezunge sei, die er je habe kosten dürfen. Lorenzo lobte den Händler, der ihm diese sagenhafte Qualität verkauft hatte und die wunderbaren Eigenschaften frischen Estragons.
Ich aß meine ganze Portion auf und wischte den Teller mit Weißbrot aus, was Lorenzos Zufriedenheit noch weiter steigerte. Zum krönenden Abschluss stellte er drei geeiste Gläser auf den Tisch und schenkte uns gekühlten Zitronenlikör ein.
„Das war – eine Offenbarung. Sie haben sich selbst übertroffen“, seufzte ich, stand auf und wollte mich daran machen, das Schlachtfeld aufzuräumen, das er hinterlassen hatte.
„Lassen Sie nur, dafür ist morgen nach der Messe noch Zeit genug“, winkte er ab. Ich drehte mich langsam wieder um und stützte beide Hände auf die Tischplatte, um ihn eindringlich anzusehen. „Sie werden doch nicht tatsächlich zur Frühmesse in den Petersdom gehen?“, fragte ich mit vielsagendem Blick auf das Fax.
„Nichts anderes habe ich vor“, bestätigte er. Zeno griff sich stöhnend an die Stirn.
„Tun Sie das nicht, tun Sie das – bitte – nicht!“ Ich schaute ihm flehend in die Augen, die mit einem Mal den harten, silbrigen Glanz von Obsidian annahmen. Ich spürte noch, wie mir die Knie weich wurden, wie sich Myriaden von fliegenden Funken wie Glühwürmchen in meinem Gesichtsfeld erhoben, bevor ich mich in meinem Alptraum wiederfand: Eine Kirche voller Blut. Verrat, Meuchelmord und Tod. Er wird sterben, schoss es mir durch den Kopf, dann war da nur noch ein Rauschen in meinen Ohren, als hielte ich meinen Kopf an eine riesige Muschel gepresst.
Plötzlich Stille, wie in großer Höhe.
„Nein!“, hörte ich mich rufen, merkwürdig leise, als stände ich auf einem Gipfel und versuchte, den Leuten im Tal etwas Wichtiges zu sagen. Meine Lider flatterten, meine Knie- und Ellbogengelenke gaben nach, der silbrige Widerschein von Obsidian verlosch und nur noch pure Schwärze blieb übrig.
<[97]
>[99]
„Cazzo di maiale“, schlug Zeno hilfreich vor, was seinen Freund dazu veranlasste, mit Duldermiene die Augen zu schließen. Dann klatschte er aufmunternd in die Hände: Er, Lorenzo, habe außerordentlich frische Seezunge im Kühlschrank - wofür er Gott danke - und die er trotz aller widrigen Umstände mit Estragonbutter zu zubereiten gedenke, alles andere habe Zeit bis morgen.
Bei den Worten „frische Seezunge“ verdrehte Zeno die Augen und ließ sich ohne weiteren Widerstand in den Stuhl zurücksinken. Ich machte lächelnd Platz am Herd, entkorkte noch eine Flasche Weißwein und setzte mich wieder an den Tisch, wo ich, das Kinn in die Hand gestützt, die nächsten zehn Minuten damit zubrachte, den Anblick eines vollkommen konzentrierten, bestens gelaunten Lorenzo zu genießen, der nach allen Regeln der Kunst zu zaubern begann.
Er hatte Recht, es war idiotisch, sich den Abend verderben zu lassen, der mit so vielen Missverständnissen angefangen hatte. Um das leidige Fax konnten wir uns auch noch morgen kümmern. Vielleicht war mir der Spumante schon zu Kopf gestiegen, weil ich mir keine Sekunde lang Gedanken über die Drohung machte, die gegen mich ausgesprochen worden war. Vielleicht lag es auch an dem vergnügten Zwinkern, das Lorenzo mir zuwarf, als er bemerkte, wie ich ihn beim Zubereiten der Seezunge beobachtete – ich wusste ganz genau, dass er sich daran erinnerte, was ich über seine Hingabe beim Kochen gesagt hatte und verstrickte mich verlegen in eine Diskussion mit Zeno, der davon überzeugt war, dass der einzige Weißwein, der perfekt zu Fisch passe, Verdicchio-Wein sei.
Selbst als das Gespräch in so gefährliche Untiefen wie die Weinkarte einer eventuell zu führenden Trattoria in Urbino geriet - Zeno war der Ansicht, man könne sich bei der gebotenen Speiseauswahl durchaus auf lediglich zwei Weine von anständiger Qualität beschränken, plus einen vernünftigen Prosecco und eine kleine, aber feine Auswahl von Grappe, - gab es keinerlei Einwände von Lorenzos Seite, im Gegenteil, er stellte stillvergnügt die Teller mit den Seezungenfilets vor uns hin, von denen der aromatisch feine Duft der Estragonbutter aufstieg. Die Filets waren auf den Punkt gebraten, saftig und sahnig weich. Zeno schob sich mit geschlossenen Lidern den ersten Bissen in den Mund, riss dann die Augen weit auf und erklärte Gott und allen Heiligen, dass dies die allerbeste Seezunge sei, die er je habe kosten dürfen. Lorenzo lobte den Händler, der ihm diese sagenhafte Qualität verkauft hatte und die wunderbaren Eigenschaften frischen Estragons.
Ich aß meine ganze Portion auf und wischte den Teller mit Weißbrot aus, was Lorenzos Zufriedenheit noch weiter steigerte. Zum krönenden Abschluss stellte er drei geeiste Gläser auf den Tisch und schenkte uns gekühlten Zitronenlikör ein.
„Das war – eine Offenbarung. Sie haben sich selbst übertroffen“, seufzte ich, stand auf und wollte mich daran machen, das Schlachtfeld aufzuräumen, das er hinterlassen hatte.
„Lassen Sie nur, dafür ist morgen nach der Messe noch Zeit genug“, winkte er ab. Ich drehte mich langsam wieder um und stützte beide Hände auf die Tischplatte, um ihn eindringlich anzusehen. „Sie werden doch nicht tatsächlich zur Frühmesse in den Petersdom gehen?“, fragte ich mit vielsagendem Blick auf das Fax.
„Nichts anderes habe ich vor“, bestätigte er. Zeno griff sich stöhnend an die Stirn.
„Tun Sie das nicht, tun Sie das – bitte – nicht!“ Ich schaute ihm flehend in die Augen, die mit einem Mal den harten, silbrigen Glanz von Obsidian annahmen. Ich spürte noch, wie mir die Knie weich wurden, wie sich Myriaden von fliegenden Funken wie Glühwürmchen in meinem Gesichtsfeld erhoben, bevor ich mich in meinem Alptraum wiederfand: Eine Kirche voller Blut. Verrat, Meuchelmord und Tod. Er wird sterben, schoss es mir durch den Kopf, dann war da nur noch ein Rauschen in meinen Ohren, als hielte ich meinen Kopf an eine riesige Muschel gepresst.
Plötzlich Stille, wie in großer Höhe.
„Nein!“, hörte ich mich rufen, merkwürdig leise, als stände ich auf einem Gipfel und versuchte, den Leuten im Tal etwas Wichtiges zu sagen. Meine Lider flatterten, meine Knie- und Ellbogengelenke gaben nach, der silbrige Widerschein von Obsidian verlosch und nur noch pure Schwärze blieb übrig.
<[97]
>[99]
ElsaLaska - 30. Apr, 00:25
Die Blognovela - - 0 Trackbacks - 1832x gelesen
Trackback URL:
https://elsalaska.twoday.net/stories/1895274/modTrackback