Mittwoch
Clarice Orsini hatte bei ihrem wohlmeinenden Rat allerdings eine Kleinigkeit übersehen - und die hieß Zeno Aurel. Der Vice-Questore war, ausgerüstet mit einem Stapel Zeitungen, zum Sonntagsfrühstück erschienen und hatte es sich auf der Loggia bequem gemacht, um mir Gesellschaft zu leisten, bis Lorenzo wieder zurück käme. Im Gegensatz zu mir machte er sich überhaupt keine Sorgen: die Securityleute der Schweizer Garde – eine hochmotivierte und vorzüglich ausgebildete Spezialtruppe! Mit modernstem Gerät! Der Petersdom? Niemand käme heute hinein, ohne von diesen fähigen Spezialisten mit Metalldetektoren gescannt zu werden, im übrigen patrouilliere noch dazu italienische Polizei auf dem Petersplatz. Nein, Lorenzo wäre im Petersdom so sicher wie in Abrahams Schoß, daran bestünde überhaupt kein Zweifel, wahrscheinlich sicherer noch als auf seiner eigenen Loggia nachts um halb Drei, merkte er mit unterdrücktem Hüsteln an. Außerdem habe er seinen Freund eingehend instruiert und in eine spezielle Fragetechnik eingeweiht, die er in der Questura von Urbino schon seit einiger Zeit erfolgreich dazu verwende, um verdächtigen Subjekten relevante Informationen zu entlocken, ich solle mich also endlich entspannen, aber ob vielleicht noch etwas caffè in der Kanne sei? – an dieser Stelle entfaltete er seine Zeitung und legte behaglich die Füße auf die Brüstung.
Ich nahm seine Tasse auf, ging durch mein Zimmer, das Bad und Lorenzos Zimmer in die Küche, stellte die Tasse in die Spüle, kehrte wieder um, betrat Lorenzos Zimmer erneut, schloss die Badezimmertür leise von dieser Seite her ab und verließ im Laufschritt die Wohnung. Im Laufen umfasste ich das Ankh-Amulett, kämpfte mein schlechtes Gewissen nieder, weil ich Zeno eingesperrt hatte und konzentrierte mich schließlich auf die Aufgabe, mir irgendwie einen Weg durch das Gewühl auf dem Petersplatz zu bahnen und dabei gleichzeitig auszusehen wie eine ganz normale Touristin. Nur, dass ganz normale Touristinnen sich nicht mit aufgelösten Haaren, hochroten Wangen und schweißbedeckter Stirn in den Petersdom hineindrängten, den Sicherheitsbeamten mit dem Metalldetektor anfauchten, er solle sich gefälligst beeilen und dann mit irrem Blick das Hauptschiff in Richtung Apsis durchquerten, ohne auch nur einen Hauch von Aufmerksamkeit an die Kunstwerke oder die pompösen Papstgräber ringsum zu verschwenden.
Über Lautsprecher wurde das Hochamt übertragen, ich überlegte gerade, ob ich die Absperrung, die die Touristenmenge von den Teilnehmern der Messe teilte, einfach ignorieren sollte, als ich - inmitten der Menge, endlich, Lorenzo entdeckte, der, zusammen mit einem sehr blonden, groß gewachsenen Mann in der Nähe der Statue der Heiligen Veronika stand. Ich schob und drängte mich durch die Massen, während aus den Lautsprechern die Lesung aus der Offenbarung des Johannes erscholl.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie ein Sicherheitsbeamter auf mich aufmerksam wurde und versuchte, mir unauffällig den Weg zur Veronikastatue abzuschneiden. Gleichzeitig, ich hatte endlich freie Sicht auf Lorenzo und seinen Begleiter, konnte ich sehen, wie der Blonde Lorenzo herzlich umarmte und an sich drückte. Ich setzte zu einem Sprint an. Mit einer einzigen, fließenden Handbewegung griff der Blonde sich ins Genick. Zückte ein Keramikmesser, das er zwischen seinen Schulterblättern verborgen getragen hatte. Bereitete einen tödlichen Stoß hinterrücks in Lorenzos Herz vor, während er ihn weiter mit der Linken an sich gepresst hielt.
„... und warf ihn in den Abgrund und verschloß ihn und setzte ein Siegel oben darauf ...“, schallte es aus den Lautsprechern.
„L O R E N Z O!“, schrie ich aus voller Kehle, während ich Kinder, Greise, Mütter, Väter, Nonnen zur Seite stieß. Ich war dazu übergegangen zu beten, laut oder leise, ich kann mich nicht mehr erinnern.
Obwohl die Lautsprecher meinen Schrei übertönt haben mussten, geschah etwas Merkwürdiges: Über die ganze Distanz hinweg, die jetzt nur noch an die fünf Meter betragen konnte, fing ich Lorenzos Blick auf – er hatte mich gesehen! Noch in denselbem Bruchteil einer Sekunde stürzte er nach vorn, ließ sich noch weiter in die Arme seines Angreifers fallen und warf ihn mit seinem ganzen Gewicht zu Boden. Wäre er zurückgewichen, hätte ihn der Messerstich in den Rücken durchs Herz auf der Stelle getötet.
Aus den Lautsprechern schrillte mittlerweile ein hässliches Rückkopplungsgeräusch, ein Ring von Sicherheitsbeamten hatte sich zusammengezogen und im Petersdom brach die nackte Panik aus. Ich war nur noch vier fünf Schritte von Lorenzo entfernt, der aus einer Wunde am Hals blutete. Sein Angreifer, halb unter ihm liegend, machte eine winzige Handbewegung, führte sich einen Anhänger, den er um eine Kette am Hals trug an die Lippen und biss hinein. Das war das letzte, was ich wahrnahm, bevor ich von einem Schweizer Gardisten niedergeschlagen wurde und zum zweiten Mal innerhalb von einem Tag das Bewusstsein verlor.
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Ich nahm seine Tasse auf, ging durch mein Zimmer, das Bad und Lorenzos Zimmer in die Küche, stellte die Tasse in die Spüle, kehrte wieder um, betrat Lorenzos Zimmer erneut, schloss die Badezimmertür leise von dieser Seite her ab und verließ im Laufschritt die Wohnung. Im Laufen umfasste ich das Ankh-Amulett, kämpfte mein schlechtes Gewissen nieder, weil ich Zeno eingesperrt hatte und konzentrierte mich schließlich auf die Aufgabe, mir irgendwie einen Weg durch das Gewühl auf dem Petersplatz zu bahnen und dabei gleichzeitig auszusehen wie eine ganz normale Touristin. Nur, dass ganz normale Touristinnen sich nicht mit aufgelösten Haaren, hochroten Wangen und schweißbedeckter Stirn in den Petersdom hineindrängten, den Sicherheitsbeamten mit dem Metalldetektor anfauchten, er solle sich gefälligst beeilen und dann mit irrem Blick das Hauptschiff in Richtung Apsis durchquerten, ohne auch nur einen Hauch von Aufmerksamkeit an die Kunstwerke oder die pompösen Papstgräber ringsum zu verschwenden.
Über Lautsprecher wurde das Hochamt übertragen, ich überlegte gerade, ob ich die Absperrung, die die Touristenmenge von den Teilnehmern der Messe teilte, einfach ignorieren sollte, als ich - inmitten der Menge, endlich, Lorenzo entdeckte, der, zusammen mit einem sehr blonden, groß gewachsenen Mann in der Nähe der Statue der Heiligen Veronika stand. Ich schob und drängte mich durch die Massen, während aus den Lautsprechern die Lesung aus der Offenbarung des Johannes erscholl.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie ein Sicherheitsbeamter auf mich aufmerksam wurde und versuchte, mir unauffällig den Weg zur Veronikastatue abzuschneiden. Gleichzeitig, ich hatte endlich freie Sicht auf Lorenzo und seinen Begleiter, konnte ich sehen, wie der Blonde Lorenzo herzlich umarmte und an sich drückte. Ich setzte zu einem Sprint an. Mit einer einzigen, fließenden Handbewegung griff der Blonde sich ins Genick. Zückte ein Keramikmesser, das er zwischen seinen Schulterblättern verborgen getragen hatte. Bereitete einen tödlichen Stoß hinterrücks in Lorenzos Herz vor, während er ihn weiter mit der Linken an sich gepresst hielt.
„... und warf ihn in den Abgrund und verschloß ihn und setzte ein Siegel oben darauf ...“, schallte es aus den Lautsprechern.
„L O R E N Z O!“, schrie ich aus voller Kehle, während ich Kinder, Greise, Mütter, Väter, Nonnen zur Seite stieß. Ich war dazu übergegangen zu beten, laut oder leise, ich kann mich nicht mehr erinnern.
Obwohl die Lautsprecher meinen Schrei übertönt haben mussten, geschah etwas Merkwürdiges: Über die ganze Distanz hinweg, die jetzt nur noch an die fünf Meter betragen konnte, fing ich Lorenzos Blick auf – er hatte mich gesehen! Noch in denselbem Bruchteil einer Sekunde stürzte er nach vorn, ließ sich noch weiter in die Arme seines Angreifers fallen und warf ihn mit seinem ganzen Gewicht zu Boden. Wäre er zurückgewichen, hätte ihn der Messerstich in den Rücken durchs Herz auf der Stelle getötet.
Aus den Lautsprechern schrillte mittlerweile ein hässliches Rückkopplungsgeräusch, ein Ring von Sicherheitsbeamten hatte sich zusammengezogen und im Petersdom brach die nackte Panik aus. Ich war nur noch vier fünf Schritte von Lorenzo entfernt, der aus einer Wunde am Hals blutete. Sein Angreifer, halb unter ihm liegend, machte eine winzige Handbewegung, führte sich einen Anhänger, den er um eine Kette am Hals trug an die Lippen und biss hinein. Das war das letzte, was ich wahrnahm, bevor ich von einem Schweizer Gardisten niedergeschlagen wurde und zum zweiten Mal innerhalb von einem Tag das Bewusstsein verlor.
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ElsaLaska - 3. Mai, 01:30
Die Blognovela - - 0 Trackbacks - 1198x gelesen
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