Samstag
Rogler hatte am Portal Stellung bezogen. Die Wohnung schien verändert, hatte ihren Glanz verloren. In den Ecken, unter der Decke, sammelten sich Schatten, ich konnte sie aus den Augenwinkeln sehen, aber wenn ich meinen Blick nach oben richtete, war alles wie immer. Der einzige Ort, an dem ich es aushielt, war Lorenzos Zimmer. Zunächst war ich unruhig auf und ab gelaufen, hatte mir ein gerahmtes Foto aus seinem Regal genommen und es lange betrachtet: es zeigte ihn auf einer Bühne mit der E-Gitarre; er lachte verwegen, so ein zigeunerhaftes Little-Steven-Lachen. Giulia hatte es gemacht verriet die Widmung darunter. Nur wenige Tage, bevor wir uns kennen lernten. Merkwürdig, dass ich ihn nie hatte spielen sehen, richtig spielen sehen.
Ich stellte das Bild beklommen wieder zurück, setzte mich auf sein Bett, nahm das Kopfkissen in meinen Schoß und blieb ganz still, ohne mich zu regen.
So fand mich schließlich Giulia. Es war das erste Mal, dass ich sie ungeschminkt sah, die Haare nachlässig zusammengebunden, mit einer riesigen Sonnenbrille im Gesicht, hinter der sie ihre verweinten Augen verbarg.
„Wie geht es ihm?“, krächzte ich statt einer Begrüßung. Sie ließ sich neben mich auf das Bett sinken.
„Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, cara ...“
„Die gute bitte zuerst“, flehte ich.
„Das Rückenmark ist unverletzt, er hat zwar viel Blut verloren, aber nach den Transfusionen ist sein Zustand zumindest stabil.“
„Stabil“, ich nickte mehrmals, um es mir selbst zu bestätigen: Stabil. „Und die schlechte?“
„Er wacht einfach nicht – auf!“ Giulia vergrub ihr Gesicht in beide Hände und schluchzte trocken.
„Wie? Er wacht einfach nicht auf?“
„Er kommt nicht zu sich, er liegt nur da, mit all diesen Schläuchen im Gesicht und an den Armen.“
„Und was sagen die Ärzte?“
„Was Ärzte halt sagen ... Bianca hat schon allen möglichen Brimborium angestellt, wenn Estefanio nicht ein gutes Wort für sie eingelegt hätte, hätten sie sie schon rausgeschmissen ... Jetzt wechseln sie sich ab mit der Krankenwache.“ Dass es immer auf Leben und Tod gehen musste, damit verfeindete Familienmitglieder plötzlich an einem Strang zogen.
„Ich muss zu ihm! Ich muss einfach, Giulia.“
Sie legte mir die Hand auf die Schulter. „Dasselbe hat Tante Bianca auch schon gesagt. Du sollst so schnell du kannst in die Klinik kommen ... Estefanio ist einverstanden.“ Also käme ich in die Intensivstation hinein, Estefanio würde das irgendwie durchsetzen können.
„Das Problem ist nur, der Kommandant der Schweizer Garde hat mir die Ausreise untersagt!“, rief ich verzweifelt.
Giulia nagte nervös am Nagelbett ihres Daumens herum.
„Dann soll Estefanio sich an den Heiligen Vater wenden, wir hinterlegen deine Papiere oder so etwas. Irgendeine Lösung muss es geben!“
„Wo willst du hin?“
„Zurück ins Gemelli-Krankenhaus, ich muss mit Onkel Estefanio sprechen!“ Sie stand auf, ich beneidete sie. Giulia konnte irgendetwas tun, während ich zum Warten verurteilt war wie Estefanio, Oberst Seltzmann oder meinetwegen auch der Heilige Vater entschieden. Ich durfte nicht zu lange darüber nachdenken, sonst wäre ich wieder in Tränen ausgebrochen. Wenn nur Zeno endlich käme ... Wenn ich etwas über die Identität des Attentäters erführe, den Stand der Ermittlungen ... Ich war aufgestanden und hatte das Bild wieder in die Hand genommen: Lorenzo lachte unter seinem buntgemusterten Rockerkopftuch. Ich erinnerte mich an den Klang dieses Lachens.
Ich wollte es wieder hören.
Um jeden Preis dieser verfluchten, verdammt schönen Welt.
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Ich stellte das Bild beklommen wieder zurück, setzte mich auf sein Bett, nahm das Kopfkissen in meinen Schoß und blieb ganz still, ohne mich zu regen.
So fand mich schließlich Giulia. Es war das erste Mal, dass ich sie ungeschminkt sah, die Haare nachlässig zusammengebunden, mit einer riesigen Sonnenbrille im Gesicht, hinter der sie ihre verweinten Augen verbarg.
„Wie geht es ihm?“, krächzte ich statt einer Begrüßung. Sie ließ sich neben mich auf das Bett sinken.
„Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, cara ...“
„Die gute bitte zuerst“, flehte ich.
„Das Rückenmark ist unverletzt, er hat zwar viel Blut verloren, aber nach den Transfusionen ist sein Zustand zumindest stabil.“
„Stabil“, ich nickte mehrmals, um es mir selbst zu bestätigen: Stabil. „Und die schlechte?“
„Er wacht einfach nicht – auf!“ Giulia vergrub ihr Gesicht in beide Hände und schluchzte trocken.
„Wie? Er wacht einfach nicht auf?“
„Er kommt nicht zu sich, er liegt nur da, mit all diesen Schläuchen im Gesicht und an den Armen.“
„Und was sagen die Ärzte?“
„Was Ärzte halt sagen ... Bianca hat schon allen möglichen Brimborium angestellt, wenn Estefanio nicht ein gutes Wort für sie eingelegt hätte, hätten sie sie schon rausgeschmissen ... Jetzt wechseln sie sich ab mit der Krankenwache.“ Dass es immer auf Leben und Tod gehen musste, damit verfeindete Familienmitglieder plötzlich an einem Strang zogen.
„Ich muss zu ihm! Ich muss einfach, Giulia.“
Sie legte mir die Hand auf die Schulter. „Dasselbe hat Tante Bianca auch schon gesagt. Du sollst so schnell du kannst in die Klinik kommen ... Estefanio ist einverstanden.“ Also käme ich in die Intensivstation hinein, Estefanio würde das irgendwie durchsetzen können.
„Das Problem ist nur, der Kommandant der Schweizer Garde hat mir die Ausreise untersagt!“, rief ich verzweifelt.
Giulia nagte nervös am Nagelbett ihres Daumens herum.
„Dann soll Estefanio sich an den Heiligen Vater wenden, wir hinterlegen deine Papiere oder so etwas. Irgendeine Lösung muss es geben!“
„Wo willst du hin?“
„Zurück ins Gemelli-Krankenhaus, ich muss mit Onkel Estefanio sprechen!“ Sie stand auf, ich beneidete sie. Giulia konnte irgendetwas tun, während ich zum Warten verurteilt war wie Estefanio, Oberst Seltzmann oder meinetwegen auch der Heilige Vater entschieden. Ich durfte nicht zu lange darüber nachdenken, sonst wäre ich wieder in Tränen ausgebrochen. Wenn nur Zeno endlich käme ... Wenn ich etwas über die Identität des Attentäters erführe, den Stand der Ermittlungen ... Ich war aufgestanden und hatte das Bild wieder in die Hand genommen: Lorenzo lachte unter seinem buntgemusterten Rockerkopftuch. Ich erinnerte mich an den Klang dieses Lachens.
Ich wollte es wieder hören.
Um jeden Preis dieser verfluchten, verdammt schönen Welt.
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ElsaLaska - 6. Mai, 21:35
Die Blognovela - - 0 Trackbacks - 2214x gelesen
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