Das Farnese-Komplott [150]
Die Tage vergingen. Eingebunden in den strikten Ablauf von Gebets- und Arbeitszeit im klösterlichen Rhythmus verlor ich ein Ziel nicht aus den Augen: Zu fliehen. Wenn es mir doch nur gelingen würde, eine Nachricht zu schicken, eine SMS, ein Fax, einen Brief - aber daran war nicht einmal zu denken. Das Kloster verfügte weder über Festnetztelefon noch Internet. Um einen Brief heraus zu schmuggeln, brauchte ich eine Verbündete - und die hatte ich nicht. Meine Arbeit bestand darin, in einem formlosen grauen Gewand, dessen Stoff mir juckende Ekzeme auf den Schulterblättern und Hüften verschaffte, die Böden zu wischen.
Über die geografische Lage des Klosters wusste ich immer noch nicht genau Bescheid, vermutete aber, dass es sich in einem Unterkreis des Infernos befinden musste, den Dante vergessen hatte, zu beschreiben. Je länger ich darüber nachdachte, desto plausibler schien mir diese Vorstellung. Erklärte sie doch schließlich auch, warum Bianca, die große strega, mächtigste Seherin, die die Familie Farnese je hervor brachte, nicht längst schon meinen Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatte. Wenn nicht sogar Konsens im Hause Farnese bestand, mich hier auf ewig verrotten zu lassen. Wieso man mir überhaupt eine solche Wichtigkeit beimaß, versuchte ich vergeblich zu begreifen. Gut, wenn Micheles Plan aufgehen und Lorenzo erst zum Kardinal erhoben, danach der nächste Santissimo Padre auf dem Heiligen Stuhl werden sollte, müsste er zunächst Estefanio aus dem Weg räumen. Doch nicht mich! Für mich gab es in dieser Zeit keinen Zweifel: Vielleicht spielte Lorenzo tatsächlich mit dem Gedanken, seine Ämter und Würden niederzulegen, aber während dem Anschlag auf den verstorbenen Papst und die Krise danach hatte sich doch deutlich abgezeichnet, dass er immer nur im Interesse seiner Familie und der Kirche handeln würde.
Auf derlei Art drehten sich meine Gedanken während dieser Tage und Wochen im Kreis.
Es wurde auch nicht besser, als ich schließlich, ich war gerade in der Bibliothek beschäftigt und unbeobachtet, in den verstaubten Regalen einen historischen Adelsalmanach entdeckte. Verfasst von einem gewissen Luca della Torre im Jahre 1898.
Ich warf den Putzlappen in den Eimer, wischte mir die Hände an meiner Schürze ab und öffnete den Wälzer unter dem Buchstaben F.
Der Eintrag über die Farnese befand sich dort an erster Stelle.
... in der männlichen Linie (dokumentiert) zurückgehend auf das 11. Jahrhundert, Stammsitz Castrum Farneti, bei Orvieto. Die Farnese nehmen für sich in Anspruch, ihre Abstammung von der weiblichen Seite her bis auf das altrömische Patriziergeschlecht der Claudier zurückverfolgen zu können (Familienlegende, nicht verlässlich dokumentiert). Weiter soll eine wenig bekannte Sibylla - neben den zehn berühmten - , die eine Felsgrotte in den Abruzzen bewohnte, zu den weiblichen Ahninnen zählen. Das Geschlecht der Farnese hat, bemerkenswerterweise ohne über all zu vielen Landbesitz zu verfügen, nicht nur mächtige Inquisitoren, berühmte Kardinäle und einige Päpste gestellt, sondern auch zahlreiche Seherinnen, Hebammen und weise Frauen hervorgebracht. Man sagt den Farnese, sowohl den Männern wie Frauen, große Verführungskraft nach, gepaart mit einem gehörigen Maß an Skrupellosigkeit und der Bereitschaft, für die Ziele der Familie, die oft genug im Laufe der Jahrhunderte mit dem römischen Klerus verknüpft waren, nicht nur das eigene Schicksal, sondern auch dasjenige anderer preiszugeben ...
Ich klappte das Buch mit einem Knall zu, öffnete das bleiverglaste Fenster und warf es mit weitem Schwung hinunter in den Kräutergarten.
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< Das Farnese-Komplott [149]
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Über die geografische Lage des Klosters wusste ich immer noch nicht genau Bescheid, vermutete aber, dass es sich in einem Unterkreis des Infernos befinden musste, den Dante vergessen hatte, zu beschreiben. Je länger ich darüber nachdachte, desto plausibler schien mir diese Vorstellung. Erklärte sie doch schließlich auch, warum Bianca, die große strega, mächtigste Seherin, die die Familie Farnese je hervor brachte, nicht längst schon meinen Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatte. Wenn nicht sogar Konsens im Hause Farnese bestand, mich hier auf ewig verrotten zu lassen. Wieso man mir überhaupt eine solche Wichtigkeit beimaß, versuchte ich vergeblich zu begreifen. Gut, wenn Micheles Plan aufgehen und Lorenzo erst zum Kardinal erhoben, danach der nächste Santissimo Padre auf dem Heiligen Stuhl werden sollte, müsste er zunächst Estefanio aus dem Weg räumen. Doch nicht mich! Für mich gab es in dieser Zeit keinen Zweifel: Vielleicht spielte Lorenzo tatsächlich mit dem Gedanken, seine Ämter und Würden niederzulegen, aber während dem Anschlag auf den verstorbenen Papst und die Krise danach hatte sich doch deutlich abgezeichnet, dass er immer nur im Interesse seiner Familie und der Kirche handeln würde.
Auf derlei Art drehten sich meine Gedanken während dieser Tage und Wochen im Kreis.
Es wurde auch nicht besser, als ich schließlich, ich war gerade in der Bibliothek beschäftigt und unbeobachtet, in den verstaubten Regalen einen historischen Adelsalmanach entdeckte. Verfasst von einem gewissen Luca della Torre im Jahre 1898.
Ich warf den Putzlappen in den Eimer, wischte mir die Hände an meiner Schürze ab und öffnete den Wälzer unter dem Buchstaben F.
Der Eintrag über die Farnese befand sich dort an erster Stelle.
... in der männlichen Linie (dokumentiert) zurückgehend auf das 11. Jahrhundert, Stammsitz Castrum Farneti, bei Orvieto. Die Farnese nehmen für sich in Anspruch, ihre Abstammung von der weiblichen Seite her bis auf das altrömische Patriziergeschlecht der Claudier zurückverfolgen zu können (Familienlegende, nicht verlässlich dokumentiert). Weiter soll eine wenig bekannte Sibylla - neben den zehn berühmten - , die eine Felsgrotte in den Abruzzen bewohnte, zu den weiblichen Ahninnen zählen. Das Geschlecht der Farnese hat, bemerkenswerterweise ohne über all zu vielen Landbesitz zu verfügen, nicht nur mächtige Inquisitoren, berühmte Kardinäle und einige Päpste gestellt, sondern auch zahlreiche Seherinnen, Hebammen und weise Frauen hervorgebracht. Man sagt den Farnese, sowohl den Männern wie Frauen, große Verführungskraft nach, gepaart mit einem gehörigen Maß an Skrupellosigkeit und der Bereitschaft, für die Ziele der Familie, die oft genug im Laufe der Jahrhunderte mit dem römischen Klerus verknüpft waren, nicht nur das eigene Schicksal, sondern auch dasjenige anderer preiszugeben ...
Ich klappte das Buch mit einem Knall zu, öffnete das bleiverglaste Fenster und warf es mit weitem Schwung hinunter in den Kräutergarten.
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ElsaLaska - 2. Mai, 00:53