Sanguis martyrum - Die Situation in Mali
Ein Gastbeitrag von Olaf Tannenberg.
Die Fastenzeit und die daran anschließenden Kar- und Osterfeiertage sind für Christen von besonderer Bedeutung. Wir erleben Wochen des Besinnens, des Gefühls banger Vorahnungen, Hoffnungen und Erwartungen, die aus dem Tal tiefer Traurigkeit wegen des Kreuzgangs des Erlösers in die triumphale Hochstimmung seiner Auferstehung führen. Für mich war es dieses Mal eine Zeit wertvoller Erfahrungen: Ich habe binnen weniger Tage erleben dürfen, wie bedrückend sich der Anblick von Tod, Zerstörung, Armut und Leid auf die Seele eines Menschen auswirkt - und wie schnell wohlgesonnene Menschen mit friedfertiger Freundlichkeit und erwartungsfroher Hoffnung diese Verzweiflung zu heilen vermögen, so dass man daran wachsend zugleich demütiger wird.
Unsere heutige gedankliche Reise durch die Länder, in denen Christen verfolgt und diskriminiert, getötet und geschunden, verschleppt und vertrieben werden, führt uns in die westafrikanische Republik Mali. Dass dieses Land urplötzlich nach den üblich gelisteten Staaten Nordkorea, Saudi-Arabien, Afghanistan und Irak, zwischen den Malediven und dem Iran, auf Platz 7 auf dem Weltverfolgungsindex des christlichen Hilfswerks ›Open Doors‹ auftaucht, hätte zu Beginn des Jahres 2012 niemand vorhersagen können. Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit verwandelte sich eine vorzeigbare Demokratie mit säkularer Verfassung in ein zerrissenes, konfliktbeladenes Land, in dem Politiker in dem Maß an Macht verloren wie islamistische Hassprediger an Einfluss gewannen. Mit dem Aufstand der Tuareg im Norden des Landes und der Einmischung islamistischer Gruppen begann ein blutiger Bürgerkrieg. Der Putsch von Teilen des Militärs verschärfte die Situation. Und wie so oft geriet die religiöse Minderheit der Christen zwischen alle Fronten.
Eigentlich ist Mali ein zauberhaftes Land, in dem sich karge Wüstenlandschaften und blühende Oasen abwechseln, in denen Felsmassive wie vergessene Spielzeugbausteine von längst ausgestorbenen Riesen ein wenig Schatten spenden, in dem die Menschen trotz ihrer Armut sehr freundlich und tolerant sind. Der islamische Glaube der Mehrheitsgesellschaft ist äußerst moderat, Christen und Angehörige animistischer Religionen (wie etwa die Dogon) wurden geduldet, sie konnten ihren Glauben weitestgehend ungestört ausüben und hatten einen festen Platz in der Gesellschaft.
Von den etwa 15 Millionen Maliern bekennen sich etwa zwei Prozent zum Christentum, rund 200.000 Einwohner gehören der römisch-katholischen Kirche an.
Seit April 2012 herrscht Krieg im Norden Malis. Opfer dieses Krieges sind die moderaten Muslime ebenso wie die Christen. Mit den Islamisten kam die Scharia, Menschen wurden wegen angeblicher Verbrechen ausgepeitscht, verstümmelt, hingerichtet. Christliche Kirchen wurden zerstört wie auch islamische Heiligtümer, die zum Weltkulturerbe zählten. Der von den separatistischen Tuareg ausgerufene Staat Azawad im Norden Malis hatte nicht lange Bestand; die islamistischen Gruppen vertrieben ihre einstigen Verbündeten und errichteten Terrorregimes, insbesondere in den Oasenstädten, wie Gao, Kidal und Timbuktu. Die Christen, deren Leben plötzlich bedroht war, flohen in den Süden des Landes, nach Niger, Burkina Faso oder andere Nachbarländer. Nur einige wenige Christen leben noch im Norden; sie praktizieren ihren Glauben im Verborgenen.
Diese rasende Welle der Gewalt gehört zu den wenig glücklichen Folgen des ›Arabischen Frühlings‹ und dem damit verbundenen Vormarsch des radikalen Islam im afrikanischen Norden. So befindet sich Mali im Operationsgebiet der sogenannten ›Al-Qaida im Maghreb‹. Die in Mali agierenden Islamisten sind selten Malier, sondern hauptsächlich Araber, insbesondere aus Algerien, Libyen und anderen Staaten des Maghreb. Von säkularen Kräften vertrieben, fanden sie in Mali ein neues Schlachtfeld für ihren ›heiligen Krieg‹. Ihre Methoden: Bürgerkrieg, Terror, Attentate, Folter und Mord. Auch die Tuareg mussten erkennen, wie wenig fruchtbringend ein Bündnis mit Dschihadisten ist, denn der Dschihad kennt keine Regeln. Aus der Sicht der ›Gotteskrieger‹ sind Heimtücke, Verrat und Lüge erlaubte Mittel.
Erst nach einigem Zögern konnte Mali Hilfe erfahren. Nach einer im Oktober 2012 erlassenen UN-Resolution griffen Frankreich und die Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsunion (ECOWAS) ein. Am 11. Januar begann die ›Operation Serval‹. Soldaten aus Frankreich, ausgezeichnete Wüstenkämpfer aus dem Tschad und Truppen der ECOWAS-Staaten befreiten endlich die Menschen in Nordmali aus dem Würgegriff der Extremisten und arbeiten nun an der Sicherung der Gebiete. Noch immer sind die Terrorgruppen stark genug für brutale Überfälle, besonders auf Gao und Kidal, wobei sie keinerlei Rücksicht auf das Leben der Zivilbevölkerung nehmen.
Ja, man kann Militäreinsätze differenziert bewerten - in Mali ist er sinnvoll und richtig. Die freundlichen und liebenswürdigen Menschen in Mali wollen nicht unter einem Terrordiktat von rücksichtslosen Islamisten leben, die sie ›les diables‹, die Teufel, nennen. Sie haben jede nur mögliche Unterstützung verdient, um wieder ein friedliches Leben in einem ruhigen, stabilen Land zu führen. Denn nur in der Ordnung gedeiht der Friede. Mali kann wieder ein Staat werden, in dem Muslime, Christen und andere wie zuvor ohne größere Konflikte zusammenleben. Dazu müssen alle Teile der Gesellschaft, die gemeinsam den Weg des Friedens gehen wollen, eingebunden werden.
Dann - und nur dann - wird das Christentum in Mali einen dauerhaften Bestand haben. Denn seine Infrastruktur ist innerhalb weniger Monate der Terrorherrschaft fast vollständig zerstört worden. Es mag unfassbar klingen, welch schreckliche Verheerungen eine gewalttätige Rotte von 2.000 bewaffneten Extremisten anrichten kann. Es wird lange dauern, bis alles wieder aufgebaut sein wird, aber die Vorzeichen sind besser als anderswo. Wenn alle Beteiligten jetzt umsichtig handeln, wird es wieder Frieden und Demokratie, Ruhe und Stabilität geben. Manchmal muss all dies leider erzwungen werden, damit der Weltfriede gedeihen kann und die Völker miteinander wachsen können. Besonders für uns als Angehörige der Religion des Friedens und der Versöhnung ergibt sich daraus eine Mitverantwortung.
Erinnern wir uns an den emeritierten Papst Benedikt XVI. und seine Botschaft zum Weltfriedenstag 2013: »Die Verwirklichung des Friedens hängt vor allem davon ab anzuerkennen, dass in Gott alle eine einzige Menschheitsfamilie bilden.« Der erst vor wenigen Wochen gewählte Papst Franziskus flehte anlässlich des großen Friedensgebets beim ›Urbi et Orbi‹ 2013 auch für Mali: »Unser Frieden ist Christus und durch ihn flehen wir um Frieden für die ganze Welt. [...] Um Frieden in Mali, dass es wieder Einheit und Stabilität erlange.«
Gott schütze Mali. Beten wir für die friedliebenden Menschen in diesem fernen Land, dessen Nachthimmel das Kreuz des Südens erstrahlen lässt. Beten wir für alle Menschen guten Willens, die sich - als Soldaten oder Zivilisten - in einer Liga der Anständigen und Vernünftigen für Land und Leute engagieren, ohne dabei ihre Gesundheit zu schonen, und ihr Leben dafür einsetzen. Dank ihnen muss ich vielleicht nicht eines Tages über malische Märtyrer schreiben. Und ein ganz persönlicher Wunsch: Herr, behüte besonders auch jenen tapferen tschadischen Offizier, der mir ein Freund geworden ist.
»Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden« (Mt 5,9)
Weiterführende Links:
http://www.opendoors.de/verfolgung/laenderprofile/mali/
http://www.kathweb.at/site/nachrichten/database/53810.html
Bildnachweis: AFP PHOTO / KAMBOU SIAKAMBOU SIA/AFP/Getty Images
ElsaLaska - 2. Apr, 00:49
Hintergrund: Die Akteure I
Ziel der Gruppe ist die Einführung der Scharia in ganz Mali. Dazu Ag Ghaly: »Ich will keine Unabhängigkeit, ich will die Scharia für mein Volk. Wir sind gegen Revolutionen, die nicht im Namen des Islam sind.« Letztere Aussage führte auch zum Verrat an den anfänglichen Verbündeten, den Tuareg der MNLA, die für einen autonomen Staat Azawad eintreten.
Im Juni 2012 befanden sich die drei nordmalischen Regionen Gao, Kidal und Timbuktu in der Hand der Islamisten und ihrer Verbündeten. Unter deren Herrschaft mussten Frauen sich verschleiern, Dieben wurde ohne Gerichtsverfahren die Hand abgehackt, Alkohol und internationale Musik wurden verboten. Es kam zu Gefechten zwischen Ansar Dine und der säkularen MNLA, da letztere die Scharia nicht anerkennen wollten. Sie endeten mit der Vertreibung der Tuareg aus den Städten. Zwischen Mai und Juli 2012 zeichneten Kämpfer von Ansar Dine für die Zerstörung von zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Mausoleen muslimischer Heiliger verantwortlich.
Es sollten mehr als sechs Monate vergeben, bis die Menschen in Nordmali von ihren Bedrückern befreit wurden.
Die Ostermarschierer
>>Die Teilnehmer des Rhein-Ruhr-Ostermarsches demonstrierten dieses Jahr vor allem gegen Rüstungsexporte und forderten den Rückzug deutscher Soldaten aus Afghanistan und Mali. <<
Ich fordere, mehr Ostermärsche von deutschen Zivilisten in Krisengebieten.
Obwohl, das Ruhrgebiet .... ;-)
Last not least: Vielen Dank für die kompakten und aufschlussreichen Informationen!
Zwei 'Hintergründe' kommen noch, vielleicht kommen einige Begriffe auch den Rhein-Ruhr-Ostermarschierern bekannt vor ...
Wenn man dem nicht mal ein "Al Quaida raus aus Mali, Taliban raus aus Afghanistan" hinzusetzt, sagt man dann nicht implizit mit: Malis und Afghanen, unterwerft euch der Scharia, oder zieht eben zusammen mit den deutschen (oder westlichen) Truppen ab aus eurer Heimat?
Merkwürdiges "Pazifismus" - Verständnis. *find*
»Lokal denken, global labern!«