Liebe Dorothea,
und natürlich auch, lieber Hans. Wir sind uns bisher einmal begegnet und ich habe euch auf Anhieb ins Herz geschlossen. Es war eine Begegnung, an die ich immer gerne zurückdenke. Seit einiger Zeit bangen wir mit euch - und beten mit euch - für eure Enkeltochter Victoria, die mit äußerst gravierenden Behinderungen auf die Welt gekommen ist. Wenn man sich die Einzelheiten durchliest, dann muss man sagen, es ist ein Wunder, dass dieses kleine tapfere Mädchen überhaupt lebt. Übrigens geschuldet der Liebe, das wisst ihr. Und es ist ein Wunder, was die Ärzte heute alles machen können - und dass ein so kleiner, zarter Körper solche Operationen überhaupt durchsteht. Es gab gute Nachrichten, es gibt aktuell wieder schlechte Nachrichten.
Eben lese ich Deinen Eintrag "Hadern mit Gott", Dorothea.
Ich selbst bin eine ganz ganz große Freundin des Haderns mit Gott, aus dem einfachen Grunde, weil mich das als kleines Kind schon so bezaubert hat bei Tevje, dem Milchmann. In Anatevka. Durch den guten Tevje ist mir nämlich klar geworden, dass Gott nicht irgendwo ehrfurchtsgebietend in unzugänglichen Höhen weilt, sondern dass man mit ihm debattieren, zanken, streiten, verhandeln soll. Wer das ungehörig findet - der soll mal drüber nachdenken, was in einer Liebesbeziehung eigentlich anderes geschieht. Auch nicht immer eitel Harmonie. Und was den Handel betrifft: Im Zusammenleben sagt man wirklich auch einmal: Okay, wenn Du das und das änderst, dann werde ich im Gegenzug auch Dinge ändern, die Dich stören. Ehrlich, das ist ganz normal. Und zeigt, dass einem der andere nicht einfach gleichgültig ist.
Du stellst heute die Frage, warum das alles passiert. Warum diese Schmerzen. Warum wird nicht alles heil und gut, wo wir doch glauben, dass Er die Macht hätte, das zu bewirken.
Es ist eine uralte, aber nicht abgedroschene, Frage. Sie ist immer brandaktuell. Für jeden einzelnen von uns, dem so etwas oder ein anderes Unglück widerfährt.
Über diese Frage haben sich schon die begabtesten Schriftsteller, die klügsten Theologen und die schärfsten Denker den Kopf zerbrochen. Sie haben keine dezidierten Antworten geben können. Aber die schönsten Versuche, zu antworten, hat sicher die Literatur gefunden - und darunter, also unter Literatur, fällt für mich absolut das Buch Hiob. Das Buch Hiob ist nun aber keine Literatur, sondern streng genommen Bestandteil der Heiligen Schrift, aber ich möchte jetzt nicht Haarspalterei betreiben. Die Gottesrede an Hiob, nach der er nur noch imstande ist, schweigend sein Haupt zu verhüllen, ist einer der gewaltigsten Texte der Menschheitsgeschichte überhaupt. Wer auch immer sie verfasst hat, muss der außerordentlichste Mensch gewesen sein, der auf Erden je gelebt hat. Vielleicht war er auch der kleinste, demütigste, unauffälligste Mensch, gar nichts Besonderes. Gar nicht außerordentlich. Und gerade deshalb konnte er sie dann schreiben. Ich weiß es nicht.
Ich will Dir nur jetzt sagen, dass das Leiden eines Unschuldigen - und das ist Victoria weiß Gott - so unbegreiflich und unfasslich es ist, so kaum erträglich und mitanzusehen, immer nur ein einziges Ziel hat: In uns die Liebe zu erwecken. Nicht, weil sie vorher nicht dagewesen wäre. Natürlich nicht. Sondern um sie noch weiter zu läutern und zu kultivieren. Der unschuldigste Mensch, der je furchtbar gelitten hatte, war Jesus Christus selbst. Sein Leiden scheint auf den ersten Blick auch irgendwie sinnlos. Man hätte das alles anders machen können, Gott hätte das nicht gar so schrecklich gestalten müssen in allen Details - gut, es waren Menschen, die sich die schrecklichen Details haben einfallen lassen, aber Gott hat es ja immerhin zugelassen. Und er lässt auch heute noch die irrsten, die abscheulichsten und perversesten Dinge zu, die sich Menschen gegenüber anderen Menschen einfallen lassen können. Das hat manchmal durchaus Potential, einen in die schlimmsten Glaubenszweifel zu treiben, wenn man nicht sowieso resigniert und den Glauben gleich verweigert deswegen - wie es einigen Prominenten und auch vielen unbekannten Menschen immer wieder passiert.
Die Antwort auf alle Schrecken, alle Qual, auf alle Abgründe, die sich auftun können, ist aber immer die Liebe. Eine bessere kenne ich nicht, eine glaubwürdigere habe ich nie gefunden. Die kleine Victoria ist geschickt worden, damit ihr sie liebt. Das tätet ihr freilich sowieso, Gott müsste euch dazu jedenfalls nicht unnötig quälen. Victoria schon gar nicht.
Die Frage ist natürlich: Tut Er das überhaupt? Auf den ersten Blick empfindet man es so. Denn er könnte ja auch alles heil machen, wenn er nur wollte. Warum will Er nicht?
Nun, ich kenne mindestens eine wunderschöne Geschichte, in der alles zunächst auch sehr aussichtslos erschien, und nachher - nach unseren menschlichen Maßstäben gerechnet - alles sehr gut wurde. Aber unsere Maßstäbe sind nicht Seine. Und es hat keinen Sinn, über Seine Wege nachzugrübeln, denn es sind nicht die unsrigen.
Es gibt nur eine einzige Gewissheit - und die finde ich zumindest schon mal sehr viel wert: Er hat euch Victoria aus Liebe geschickt. Er hat sie euch anvertraut.
Er hat darauf gebaut, dass ihr sie so annehmen und lieben werdet, wie sie ist.
Ich finde das keine Kleinigkeit, je länger ich darüber nachdenke. Gerade wenn ich all die schrecklichen Meldungen von Lieblosigkeiten gegenüber Kindern, Babies vor der Geburt, nach der Geburt so ansehe.
Bleibt also treu in der Hoffnung, stark in der Liebe und fest im Glauben.
Ich umarme euch.
Eben lese ich Deinen Eintrag "Hadern mit Gott", Dorothea.
Ich selbst bin eine ganz ganz große Freundin des Haderns mit Gott, aus dem einfachen Grunde, weil mich das als kleines Kind schon so bezaubert hat bei Tevje, dem Milchmann. In Anatevka. Durch den guten Tevje ist mir nämlich klar geworden, dass Gott nicht irgendwo ehrfurchtsgebietend in unzugänglichen Höhen weilt, sondern dass man mit ihm debattieren, zanken, streiten, verhandeln soll. Wer das ungehörig findet - der soll mal drüber nachdenken, was in einer Liebesbeziehung eigentlich anderes geschieht. Auch nicht immer eitel Harmonie. Und was den Handel betrifft: Im Zusammenleben sagt man wirklich auch einmal: Okay, wenn Du das und das änderst, dann werde ich im Gegenzug auch Dinge ändern, die Dich stören. Ehrlich, das ist ganz normal. Und zeigt, dass einem der andere nicht einfach gleichgültig ist.
Du stellst heute die Frage, warum das alles passiert. Warum diese Schmerzen. Warum wird nicht alles heil und gut, wo wir doch glauben, dass Er die Macht hätte, das zu bewirken.
Es ist eine uralte, aber nicht abgedroschene, Frage. Sie ist immer brandaktuell. Für jeden einzelnen von uns, dem so etwas oder ein anderes Unglück widerfährt.
Über diese Frage haben sich schon die begabtesten Schriftsteller, die klügsten Theologen und die schärfsten Denker den Kopf zerbrochen. Sie haben keine dezidierten Antworten geben können. Aber die schönsten Versuche, zu antworten, hat sicher die Literatur gefunden - und darunter, also unter Literatur, fällt für mich absolut das Buch Hiob. Das Buch Hiob ist nun aber keine Literatur, sondern streng genommen Bestandteil der Heiligen Schrift, aber ich möchte jetzt nicht Haarspalterei betreiben. Die Gottesrede an Hiob, nach der er nur noch imstande ist, schweigend sein Haupt zu verhüllen, ist einer der gewaltigsten Texte der Menschheitsgeschichte überhaupt. Wer auch immer sie verfasst hat, muss der außerordentlichste Mensch gewesen sein, der auf Erden je gelebt hat. Vielleicht war er auch der kleinste, demütigste, unauffälligste Mensch, gar nichts Besonderes. Gar nicht außerordentlich. Und gerade deshalb konnte er sie dann schreiben. Ich weiß es nicht.
Ich will Dir nur jetzt sagen, dass das Leiden eines Unschuldigen - und das ist Victoria weiß Gott - so unbegreiflich und unfasslich es ist, so kaum erträglich und mitanzusehen, immer nur ein einziges Ziel hat: In uns die Liebe zu erwecken. Nicht, weil sie vorher nicht dagewesen wäre. Natürlich nicht. Sondern um sie noch weiter zu läutern und zu kultivieren. Der unschuldigste Mensch, der je furchtbar gelitten hatte, war Jesus Christus selbst. Sein Leiden scheint auf den ersten Blick auch irgendwie sinnlos. Man hätte das alles anders machen können, Gott hätte das nicht gar so schrecklich gestalten müssen in allen Details - gut, es waren Menschen, die sich die schrecklichen Details haben einfallen lassen, aber Gott hat es ja immerhin zugelassen. Und er lässt auch heute noch die irrsten, die abscheulichsten und perversesten Dinge zu, die sich Menschen gegenüber anderen Menschen einfallen lassen können. Das hat manchmal durchaus Potential, einen in die schlimmsten Glaubenszweifel zu treiben, wenn man nicht sowieso resigniert und den Glauben gleich verweigert deswegen - wie es einigen Prominenten und auch vielen unbekannten Menschen immer wieder passiert.
Die Antwort auf alle Schrecken, alle Qual, auf alle Abgründe, die sich auftun können, ist aber immer die Liebe. Eine bessere kenne ich nicht, eine glaubwürdigere habe ich nie gefunden. Die kleine Victoria ist geschickt worden, damit ihr sie liebt. Das tätet ihr freilich sowieso, Gott müsste euch dazu jedenfalls nicht unnötig quälen. Victoria schon gar nicht.
Die Frage ist natürlich: Tut Er das überhaupt? Auf den ersten Blick empfindet man es so. Denn er könnte ja auch alles heil machen, wenn er nur wollte. Warum will Er nicht?
Nun, ich kenne mindestens eine wunderschöne Geschichte, in der alles zunächst auch sehr aussichtslos erschien, und nachher - nach unseren menschlichen Maßstäben gerechnet - alles sehr gut wurde. Aber unsere Maßstäbe sind nicht Seine. Und es hat keinen Sinn, über Seine Wege nachzugrübeln, denn es sind nicht die unsrigen.
Es gibt nur eine einzige Gewissheit - und die finde ich zumindest schon mal sehr viel wert: Er hat euch Victoria aus Liebe geschickt. Er hat sie euch anvertraut.
Er hat darauf gebaut, dass ihr sie so annehmen und lieben werdet, wie sie ist.
Ich finde das keine Kleinigkeit, je länger ich darüber nachdenke. Gerade wenn ich all die schrecklichen Meldungen von Lieblosigkeiten gegenüber Kindern, Babies vor der Geburt, nach der Geburt so ansehe.
Bleibt also treu in der Hoffnung, stark in der Liebe und fest im Glauben.
Ich umarme euch.
ElsaLaska - 11. Mär, 21:52
Danke,
Für mich einer Deiner schönsten Beiträge - und mit großartiger Tiefe.
Vielleicht hat ER es gefügt dass ich diesen Beitrag habe lesen dürfen ;-)
Damit auch ich für Dorothea und Victoria und Sarah beten kann ... So wie ich jeden Tag für mein schwerstbehinderter Patenkind Monica bete.
"Es geht weit über unser Denken, dass der Schmerz Geschenk der Liebe wird ..." (Die Perlensammlung, S. 241 f)
Als ich dies schrieb lernte ich jenen Ijob in seiner ganzen Tiefe kennen!
Die letztlich einzige plausible, sinngebende und sinnvolle Antwort finden wir nur in Seinem Kreuz. Denn es ist das Zeichen Seiner unendlichen Liebe: "Wenn ich am Kreuz erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen."
Francesco
@Francesco
Liebe Grüße!