Das Farnese-Komplott (141)
Wann immer ich in der Nähe von Granada bin, besuche ich meinen Freund Jokub, der in einer Höhlenwohnung im Zigeunerviertel El Sacromonte lebt. In El Sacromonte kursieren viele Lügengeschichten, Märchen, Sagen und Legenden und Jokub kennt sie alle. Meine Lieblingsgeschichte, die ich immer wieder von ihm hören will, ist die von Tara Emahar, deren Mutter, Proserpina, noch in der Nacht ihrer Niederkunft die uralte zambra tanzte, in einer der Höhlen, die sich zur Alhambra hin öffnen. Proserpinas Mann, der Sargmacher von El Sacromonte, hatte auf seine eigene Art vorgesorgt und zwei Särge gezimmert, einen großen und einen winzigen. Dann ging er in die nächste Kneipe und kehrte erst zurück, als Tara ihren ersten Schrei tat. Der kleine Sarg war ihr Geburtstagsgeschenk und den großen konnte er nachher an den Bürgermeister verkaufen, dessen Frau ebenfalls im Kindbett gelegen hatte, aber nicht mehr aufgestanden war. Nachdem er seine Tochter und einziges Kind gesegnet hatte, ging er schnurstracks wieder zum Wirt zurück, um sich von den Anstrengungen der letzten Tage zu erholen.
Taras Mutter stand alsbald vom Kindbett wieder auf, denn die Zigeunerhochzeit, auf der sie getanzt hatte, ging über drei Tage, und so blieb Tara mitsamt ihrer Wiege und dem kleinen Sarg, den der umsichtige Vater daneben platziert hatte, in der Obhut ihrer Großtante Serena und deren bester Freundin, einer Zigeunerin.
Die schüttelte nach zwei Gläsern Brandy den Kopf und verscheuchte die Wolken von Glühwürmchen, die nachts über Taras Wiege kreisten. Die Zigeunerin segnete das Kind, ließ sich schwer in den Sessel fallen und zündete sich eine Zigarre an. Schließlich seufzte sie tief und erklärte Serena, dass die kleine Tara im Besitz der Worte sei.
„Welcher Worte?“, fragte Serena irritiert, denn Tara lag friedlich da und gluckerte ab und an nach Art der Babies.
„Aller Worte, die es je gegeben hat und je geben wird“, entgegnete ihre Freundin und sog behaglich an ihrer Zigarre.
Serena blickte unsicher auf das von den Glühwürmchen beleuchtete Gesichtchen ihres Schützlings. „Aber was ist mit Männern? Wird sie schön werden? Einen reichen Mann heiraten? Viele Söhne bekommen?“ Sie schenkte erwartungsvoll Brandy nach.
“Tara wird jeden Mann haben können, den sie möchte, und von jedem Mann einen Sohn, wenn sie möchte. Sie ist im Besitz der Worte und dies vermag mehr auszurichten als alles andere in den Herzen der Menschen.“
Jetzt war es an Serena, tief aufzuseufzen. Was für eine Prophezeiung!
„Was seufzt du? Ihre Worte werden sein wie der Tanz, den ihre Mutter mit Hibiskusblüten im Haar tanzt und sie werden sein wie die Särge, die ihr Vater an nebligen Montagen zimmert. Nicht alle Menschen werden ihre Worte verstehen, weil nicht alle Menschen eine Seele haben.“
Hier schnäuzte sich die Zigeunerin kräftig und Serena beeilte sich, ihr ein Taschentuch anzubieten. „Nimm die Kleine, die ebenfalls vor ein paar Tagen geboren wurde, die Tochter des Bürgermeisters.“
„Was ist mit ihr?“, wollte Serena wissen.
„Sie liegt in einer Wiege aus Ebenholz, drei Ammen sind bestellt und ihr Vater geht schon wieder auf Brautschau, kaum, dass der Leib ihrer Mutter kalt geworden ist. Die Tochter des Bürgermeisters hat keine Worte. Sie hat keine Ohren, um zu hören und kein Herz, um zu verstehen – manche werden so geboren.“
Serena lachte und winkte ab. „Bah! Du und ich, wir wissen, dass es Schlimmeres auf dieser Welt gibt!“ Aber ihre Freundin stimmte nicht mit ein.
Tara lag in ihrer Wiege und träumte, es regne Mandelblüten, es dufte nach Honigmilch und es fächle ihr ein Pfau mit seinen Perlmuttfedern Luft zu.
Großtante Serena wartete in all den Jahren auf die Worte, die die Zigeunerin angekündigt hatte.
Doch Tara sprach nicht. Statt dessen bemalte sie ihren kleinen Sarg mit Blumen und Fischen und Schmetterlingen. Wenn sie etwas sagte, war es unverständlich - so als höre man dem Dorfdeppen zu, wenn er speichelblasenwerfend vor sich hin brabbelte.
An diesem Maßstab gemessen entwickelte sich Lucia, des Bürgermeisters Tocher, allerdings prächtig. Sie redete ohne Unterlass. Am liebsten über Dinge, die besser ungesagt geblieben wären. Als sei ein maurischer Dschinn in sie gefahren, plapperte sie den lieben langen Tag. Es war ohrenbetäubend.
Tara Emahar dagegen tanzte mit den Fischen.
Alejandro, dem Sohn des Notars, dröhnte der Kopf von Lucias Versuchen, sein Herz herbeizureden. Ihre beiden Familien betrachteten diese Verbindung mit Wohlwollen. Er für seinen Teil wollte das Beste aus der Verlobung machen, die in Kürze bekannt gegeben werden sollte, allerdings hoffte er inständig, in der Zwischenzeit zu ertauben.
Für einen Moment war er sogar davon überzeugt, dass dieses Ereignis bereits eingetreten sei, denn er sah Tara Emahar durchs nächtliche Granada dahin gleiten, die umgebende Luft wie Meereswasser, ihr Schritt ein Tanz mit einem Schwarm unsichtbarer Fische. Alejandro hielt den Atem an und hüpfte auf einem Bein mit schief gelegtem Kopf. Aber er hatte gar kein Wasser in den Ohren, er schaute nur Tara Emahar, die Dichterin, wie sie die Straße hinauf zu El Sacromonte ging - und sie schaute ihn.
Zu Hause angekommen legte er sich ins Bett, drehte sein Gesicht zur Wand und kündigte an, nie wieder aufzustehen.
Der Bader kam und ließ ihn zur Ader, der Priester kam und nahm ihm die Beichte ab, Lucia kam und drückte seine kalte Hand, doch niemand konnte Alejandro wieder herstellen. Schließlich gab seine besorgte Familie einen Sarg bei Senor Emahar in Auftrag.
Taras Vater jedoch hatte eigene Sorgen. Seit einigen Tagen schlich sich seine Tochter in die Werkstatt und bedeckte die Wände, die Arbeitsfläche, die Fenster, die Holzplatten, selbst die vorbestellten Särge mit ihren Gedichten über Alejandro, so dass er dem gramzerfurchten Notar schließlich einen Sarg präsentieren musste, dessen Wände, Boden und Deckel über und über mit Lobpreisungen und Huldigungen von Alejandros Haar, Alejandros Augenbrauen, Alejandros regenwolkenfarbenen Augen und Alejandros Körper bedeckt waren.
Der Notar geriet außer sich, Alejandro jedoch wurde auf der Stelle wieder gesund, als er den für ihn bestimmten Sarg sah. Niemand anders als Tara Emahar hatte diese Verse verfasst, soviel war klar, und wie er für sie Mond und Gestirne war, so war sie für ihn Wermut und Süßkirsche, Bittermandel und Orangenblüte.
Sie gingen zusammen fort und zeugten ein großes Geschlecht von Sängern und Dichtern. Ihre Nachkommen sind heute über die ganze Erde verstreut.
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Taras Mutter stand alsbald vom Kindbett wieder auf, denn die Zigeunerhochzeit, auf der sie getanzt hatte, ging über drei Tage, und so blieb Tara mitsamt ihrer Wiege und dem kleinen Sarg, den der umsichtige Vater daneben platziert hatte, in der Obhut ihrer Großtante Serena und deren bester Freundin, einer Zigeunerin.
Die schüttelte nach zwei Gläsern Brandy den Kopf und verscheuchte die Wolken von Glühwürmchen, die nachts über Taras Wiege kreisten. Die Zigeunerin segnete das Kind, ließ sich schwer in den Sessel fallen und zündete sich eine Zigarre an. Schließlich seufzte sie tief und erklärte Serena, dass die kleine Tara im Besitz der Worte sei.
„Welcher Worte?“, fragte Serena irritiert, denn Tara lag friedlich da und gluckerte ab und an nach Art der Babies.
„Aller Worte, die es je gegeben hat und je geben wird“, entgegnete ihre Freundin und sog behaglich an ihrer Zigarre.
Serena blickte unsicher auf das von den Glühwürmchen beleuchtete Gesichtchen ihres Schützlings. „Aber was ist mit Männern? Wird sie schön werden? Einen reichen Mann heiraten? Viele Söhne bekommen?“ Sie schenkte erwartungsvoll Brandy nach.
“Tara wird jeden Mann haben können, den sie möchte, und von jedem Mann einen Sohn, wenn sie möchte. Sie ist im Besitz der Worte und dies vermag mehr auszurichten als alles andere in den Herzen der Menschen.“
Jetzt war es an Serena, tief aufzuseufzen. Was für eine Prophezeiung!
„Was seufzt du? Ihre Worte werden sein wie der Tanz, den ihre Mutter mit Hibiskusblüten im Haar tanzt und sie werden sein wie die Särge, die ihr Vater an nebligen Montagen zimmert. Nicht alle Menschen werden ihre Worte verstehen, weil nicht alle Menschen eine Seele haben.“
Hier schnäuzte sich die Zigeunerin kräftig und Serena beeilte sich, ihr ein Taschentuch anzubieten. „Nimm die Kleine, die ebenfalls vor ein paar Tagen geboren wurde, die Tochter des Bürgermeisters.“
„Was ist mit ihr?“, wollte Serena wissen.
„Sie liegt in einer Wiege aus Ebenholz, drei Ammen sind bestellt und ihr Vater geht schon wieder auf Brautschau, kaum, dass der Leib ihrer Mutter kalt geworden ist. Die Tochter des Bürgermeisters hat keine Worte. Sie hat keine Ohren, um zu hören und kein Herz, um zu verstehen – manche werden so geboren.“
Serena lachte und winkte ab. „Bah! Du und ich, wir wissen, dass es Schlimmeres auf dieser Welt gibt!“ Aber ihre Freundin stimmte nicht mit ein.
Tara lag in ihrer Wiege und träumte, es regne Mandelblüten, es dufte nach Honigmilch und es fächle ihr ein Pfau mit seinen Perlmuttfedern Luft zu.
Großtante Serena wartete in all den Jahren auf die Worte, die die Zigeunerin angekündigt hatte.
Doch Tara sprach nicht. Statt dessen bemalte sie ihren kleinen Sarg mit Blumen und Fischen und Schmetterlingen. Wenn sie etwas sagte, war es unverständlich - so als höre man dem Dorfdeppen zu, wenn er speichelblasenwerfend vor sich hin brabbelte.
An diesem Maßstab gemessen entwickelte sich Lucia, des Bürgermeisters Tocher, allerdings prächtig. Sie redete ohne Unterlass. Am liebsten über Dinge, die besser ungesagt geblieben wären. Als sei ein maurischer Dschinn in sie gefahren, plapperte sie den lieben langen Tag. Es war ohrenbetäubend.
Tara Emahar dagegen tanzte mit den Fischen.
Alejandro, dem Sohn des Notars, dröhnte der Kopf von Lucias Versuchen, sein Herz herbeizureden. Ihre beiden Familien betrachteten diese Verbindung mit Wohlwollen. Er für seinen Teil wollte das Beste aus der Verlobung machen, die in Kürze bekannt gegeben werden sollte, allerdings hoffte er inständig, in der Zwischenzeit zu ertauben.
Für einen Moment war er sogar davon überzeugt, dass dieses Ereignis bereits eingetreten sei, denn er sah Tara Emahar durchs nächtliche Granada dahin gleiten, die umgebende Luft wie Meereswasser, ihr Schritt ein Tanz mit einem Schwarm unsichtbarer Fische. Alejandro hielt den Atem an und hüpfte auf einem Bein mit schief gelegtem Kopf. Aber er hatte gar kein Wasser in den Ohren, er schaute nur Tara Emahar, die Dichterin, wie sie die Straße hinauf zu El Sacromonte ging - und sie schaute ihn.
Zu Hause angekommen legte er sich ins Bett, drehte sein Gesicht zur Wand und kündigte an, nie wieder aufzustehen.
Der Bader kam und ließ ihn zur Ader, der Priester kam und nahm ihm die Beichte ab, Lucia kam und drückte seine kalte Hand, doch niemand konnte Alejandro wieder herstellen. Schließlich gab seine besorgte Familie einen Sarg bei Senor Emahar in Auftrag.
Taras Vater jedoch hatte eigene Sorgen. Seit einigen Tagen schlich sich seine Tochter in die Werkstatt und bedeckte die Wände, die Arbeitsfläche, die Fenster, die Holzplatten, selbst die vorbestellten Särge mit ihren Gedichten über Alejandro, so dass er dem gramzerfurchten Notar schließlich einen Sarg präsentieren musste, dessen Wände, Boden und Deckel über und über mit Lobpreisungen und Huldigungen von Alejandros Haar, Alejandros Augenbrauen, Alejandros regenwolkenfarbenen Augen und Alejandros Körper bedeckt waren.
Der Notar geriet außer sich, Alejandro jedoch wurde auf der Stelle wieder gesund, als er den für ihn bestimmten Sarg sah. Niemand anders als Tara Emahar hatte diese Verse verfasst, soviel war klar, und wie er für sie Mond und Gestirne war, so war sie für ihn Wermut und Süßkirsche, Bittermandel und Orangenblüte.
Sie gingen zusammen fort und zeugten ein großes Geschlecht von Sängern und Dichtern. Ihre Nachkommen sind heute über die ganze Erde verstreut.
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ElsaLaska - 4. Aug, 21:25