Sanguis martyrum - Sr. Leonella Sgorbati
Ein Gastbeitrag von Olaf Tannenberg
Mein letzter Gastbeitrag auf diesem Blog behandelte die ›Regensburger Rede‹ Papst Benedikt XVI. vom 12. September 2006, deren inhaltliche Aussage und historische Bedeutung, die positiven und negativen Resonanzen sowie die durch islamistische Hassprediger hervorgerufenen Unruhen und Gewalttaten. Der heutige Beitrag knüpft nahtlos an eben jene letztgenannten Auswirkungen an. Denn zwischen dieser Rede und dem hier geschilderten Blutzeugnis sollten nur fünf Tage vergehen.
Eine schreckliche Bluttat, die sich am 17. September 2006 in der somalischen Hauptstadt Mogadischu zutrug, trägt eine einzigartige und wundervolle Frau aus der Vergessenheit ins Licht, die dort das Martyrium erlitt: die italienische Ordensschwester Leonella Sgorbati.
Schwester Leonella wurde am 9. Dezember 1940 in der Nähe von Piacenza Gazzola in der italienischen Provinz Emilia Romagna unter dem bürgerlichen Namen Rosa Maria Sgorbati geboren. Schon als junges Mädchen entschied sie sich, später als Missionsschwester tätig zu sein, doch ihre Mutter bat sie, bis zu ihrem 20. Geburtstag zu warten. Sehnsüchtig geduldete sie sich, bis sie 23. war, aber nichts änderte ihren Entschluss. Im Mai 1963 trat sie dem Orden der Consolata-Missionsschwestern im norditalienischen Sanfrè, Provinz Cuneo, bei, nahm den Ordensnamen Leonella an und legte im November 1972 die ewigen Gelübde ab.
Zwischen 1966 und 1968 absolvierte Sr. Leonella einen Pflegekurs in England. Schon im Herbst 1970 wurde sie nach Kenia entsendet. Bis 1983 diente sie Gott, den Menschen und ihrem Orden abwechselnd am Consolata-Krankenhaus in Nyeri und im Nazareth-Hospital in Kiambu am Stadtrand von Nairobi. Mitte 1983 begann Sr. Leonella ein Aufbaustudium im Pflegebereich und wurde 1985 zur verantwortlichen Lehrerin für Krankenpflege am Nkubu-Hospital im kenianischen Meru.
Ihre Mitschwestern der Consolata-Mission wählten Sr. Leonella im November 1993 zur Provinzoberin in Kenia. Dies blieb sie die nächsten sechs Jahre und zeichnete sich durch ein Höchstmaß an Pflichterfüllung aus. Nach einem Sabbatjahr 2001 ging sie nach Mogadischu in Somalia, um dort - in einem der gefährlichsten Länder der Welt - die Möglichkeiten zur Errichtung einer Krankenpflegeschule im Rahmen des Krankenhauses der SOS-Kinderdorf-Organisation zu prüfen.
Als Leiterin einer Hermann-Gmeiner-Schule (H. Gmeiner begründete die SOS-Kinderdörfer), die 2002 eröffnete, bildete sie künftig Krankenschwestern aus. In ersten Jahr erlangten 34 Schwestern die nötigen Zertifikate, die mangels einer somalischen Regierung von der Weltgesundheitsorganisation ausgestellt wurden.
Mit drei Schwestern kehrte sie alsbald nach Kenia zurück, um eine weitere Ausbildung an einer medizinischen Hochschule zu absolvieren. Als sie sich am 13. September 2006 erneut nach Somalia begab, hatten die dortigen Verhältnisse sich verändert. In dem seit 1988 tobenden Bürgerkrieg herrschte nun die Scharia.
Nur vier Tage sollte ihr zweiter Aufenthalt in Somalia dauern. Am 17. September 2006 wurde sie am helllichten Tag und auf offener Straße von zwei Islamisten angeschossen. Vier Schüsse bekam sie in den Rücken; neben ihr starb ein einheimischer Personenschützer zwischen Kiosken und einem Taxistand. Eilig ins Krankenhaus gebracht, erlag sie dort ihren schweren Verletzungen. Ihre letzten Worte kennzeichnen Sr. Leonella, die dreißig Jahre in Afrika tätig gewesen war, als eine außergewöhnliche, unendlich gläubige und gottergebene Frau.
»Perdono, perdono«, sagte sie, bevor der Herr sie zu sich nahm, »ich vergebe, ich vergebe.«
Ob diese Bluttat im unmittelbaren Zusammenhang mit der ›Regensburger Rede‹ Papst Benedikts steht, konnte nie umfassend geklärt werden. Die beiden festgenommenen Tatverdächtigen, radikale Islamisten, hüllten sich über ihr Motiv in Schweigen. Viele Beobachter und Kenner der somalischen Verhältnisse sehen allerdings eine Verbindung.
Somalia ist für Christen ein sehr gefährliches Land. Sr. Leonellas Ermordung war kein Einzelfall:
.:: Im Jahr 1989 wurde der italienische Bischof Salvatore Colombo, der dem Bistum Mogadischu vorstand, erschossen, während er in Mogadischu die heilige Messe feierte.
.:: Sechs Jahre später, im Jahr 1995, töteten Islamisten die italienische Ärztin Graziella Fumagalli, die ein Anti-TBC-Zentrum leitete.
.:: 2003 wurde die mit dem Nansen-Flüchtlingspreis des UN-Hilfswerks UNHCR ausgezeichnete Leiterin des Fürsorgezentrum in Borama, Annalena Tonelli, ermordet - nach 33 Jahren vorbildlichem Dienst für die Ärmsten.
.:: Im gleichen Jahr fiel auch das für ein Bildungsprojekt tätige, britische Ehepaar Richard und Enid Eyeington einem Hassverbrechen zum Opfer.
In Somalia tobt seit 1988 ein blutiger Bürgerkrieg. Zehn bewaffnete Gruppen kämpfen um die Macht über das Land, es gab Interventionen durch die UN, äthiopische und kenianische Truppen, doch meist mit geringem Erfolg. Weiterhin beherrschen Milizen die einzelnen Regionen, die 2012 eingesetzte Regierung ist machtlos in den teilautonomen Teilstaaten. Nach wie vor haben die Clans das Sagen, verüben aneinander Verbrechen und führen Fehden um Weide- und Wasserrechte. Es gilt die Scharia, weit verbreitet sind die Beschneidung von Mädchen und Prügelstrafen für den Abfall vom Islam. Einzelne Gruppierungen unterhalten enge Kontakte zu Al-Qaida und anderen dschihadistischen Organisationen.
Fast einhundert Prozent der Somalis sind sunnitische Muslime. Daneben gibt es nur einige hundert Christen, die fast allesamt ausländischer Herkunft sind. Sie gehören meist der äthiopisch-orthodoxen Kirche an. Die beiden einzigen katholischen Sakralbauten, eine Kathedrale und ein angeschlossenes Kloster in Mogadischu, wurden während des Bürgerkrieges restlos zerstört. Damit löste sich das katholische Bistum Mogadischu auf, dessen Bischof, wie oben erwähnt, in seiner Kathedrale erschossen wurde.
In diesem Umfeld war die bewundernswerte Schwester Leonella über Jahre hinweg tätig. Welch eine großartige Frau! Wie mächtig war ihre Liebe zu Gott und den Menschen, wie tief ihr Glaube, um all das Töten und Leiden ertragen zu können. Was bleibt angesichts ihres aufopferungsvolles Lebens zu sagen?
Tragen wir das Gedenken an die so bescheidene, so gütige und furchtlose Schwester Leonella, die Märtyrerin von Mogadischu, in unseren Herzen. Beten wir mit ihr für die Christen in Somalia und in ganz Afrika, die treu und standhaft, wider alle Bosheit und Grausamkeit ihren Glauben leben und dem Wort des Herrn treu bleiben. Und vergessen wir trotz verständlicher Trauer und Bestürzung über die Gewalt, dieses Hassverbrechen, nie Sr. Leonellas letzte, vorbildhafte Worte, die uns als Beispiel dienen sollen und die wie ein starkes Vermächtnis klingen:
»Ich vergebe!«
ElsaLaska - 17. Sep, 10:00