Hildegard Gosebrink: Hildegard von Bingen begegnen
Hildegard Gosebrink, die mit einer Doktorarbeit über Maria in der Theologie der hl. Hildegard promoviert hat, stellt in ihrem schmalen, doch äußerst profunden Band in der Reihe "Zeugen des Glaubens" des Sankt Ulrich Verlags die neue Kirchenlehrerin in einem erfrischend klaren und fokussierten Licht dar.
Teil Eins des Buches präsentiert Hildegard in ihrer Zeit: Das 12. Jahrhundert mit seinen kirchlichen Missständen, die Bedeutung der Klöster, die Stellung der Frau, die Bewegung der Katharer als Antwort auf den häufig verlotterten Klerus, die Struktur der damaligen Gesellschaft, die Bedeutung der Kreuzzüge als spirituellen Aufbruch. Gosebrink versteht es besser als so manch anderer Hildegard-Biograf, einen sachlich-nüchternen Blick auf die Phänomene dieser Zeit zu werfen, diese Zeit aus sich heraus zu verstehen. Dabei bleiben ihre Ausführungen straff und lesbar. Ein gutes Beispiel ist die Passage über die Kreuzzüge:
"Für uns heute wollen Christentum und Kreuzzüge nicht mehr so recht zusammenpassen, zur Zeit Hildegards aber stehen gerade die Kreuzzüge für eine spirituelle Rückbesinnung in der abendländischen Christenheit. Jahrhundertwenden vermögen eine gleichzeitig von Weltuntergangs- und Aufbruchstimmung geschwängerte Atmosphäre zu verbreiten, diese und die schon genannten Missstände führen nicht nur bei den Katharern, sondern auch innerkirchlich zu einer Rückbesinnung auf die Ursprünge dese Christentums, verbunden mit einer großen Sehnsucht nach dem Menschen Jesus und dem Land, in dem er lebte, litt, starb und auferstand (und das sich mit seinen heiligen Stätten unrechtmäßig in heidnischer Hand befindet.) Die Kreuzzüge werden zur Zeit Hildegards als Pilgerreisen unter der geistlichen Schirmherrschaft des Papstes verstanden, die auf dem Weg erlittenen Qualen bringen den Pilger dem leidenden Jesus ein Stück näher."
Nach dieser Einführung in das Jahrhundert Hildegards wendet sich die Autorin der Heiligen selbst zu. In chronologischer Folge werden die wichtigsten Lebensstationen und Arbeiten vorgestellt - und wie es mit dem Erbe der heiligen Äbtissin in Bingen und Eibingen weiterging. Dabei fehlt auch nicht ein Abschnitt über die modernen Tendenzen im Umgang mit Hildegard und ihrem Werk. Gosebrink konstatiert hier völlig zu Recht eine weit verbreitete Unsachgemäßheit in der Rezeption: Etliche moderne Darstellungen, übrigens auch die von Männern verfassten, beklagt Gosebrink, tendierten in ihrem Hildegard-Bild zu einer frühen Frauenrechtlerin, die den Aufstand gegen die unterdrückende Männerkirche gewagt habe. Dabei, so Gosebrink, habe die mittelalterliche Adelige Hildegard kaum die frauenfeindlichen Systeme ihrer Zeit revolutioniert, sondern es im Gegenteil verstanden, patriarchale Strukturen zu ihren Gunsten zu nutzen.
Teil Zwei des Bandes ist übertitelt mit "Gott wird sichtbar in Schöpfung und Geschichte" und beschäftigt sich insbesondere mit Qualität und Inhalt der Visionen, geordnet nach Themen wie "Schöpfung und Mensch", "Leib und Seele, Mann und Frau", "Der Alte Bund", "Christus und die Kirche", "Das Ende als Vollendung". Jedes Themenkapitel bietet einen ebenso dichten wie fundierten Einblick in die Theologie Hildegards, die aus ihren Visionen spricht, macht anschaulich, warum Hildegard nicht nur offiziell heilig gesprochen, sondern nun auch zur Kirchenlehrerin erhoben worden ist.
Dass Hildegard weder eine erste Feministin noch mittelalterliche Sufragette war, wird nochmals ganz besonders deutlich, ich zitiere aus dem Kapitel "Leib und Seele, Mann und Frau":
>>Letztlich umfasst aber Christus als der Inbegriff des Menschen Männliches und Weibliches, Mann und Frau. [Es folgt ein Zitat aus Hildegards "Wirken Gottes", das ich hier gekürzt wiedergebe - Anm. Elsa]. "... Daher gab Gott ihm eine Hilfe, die Spiegelgestalt der Frau. In ihr war das gesamte Menschengeschlecht verborgen, das in der Schöpferkraft Gottes hervorgebracht werden sollte, wie er auch den ersten Menschen in der Macht seiner Schöpferkraft vollendet hatte. Mann und Frau sind miteinander so eng verbunden, wie es ein Werk durch das andere ist [opus alterum per alterum]. Denn der Mann würde ohne die Frau nicht Mann heißen, und die Frau würde ohne den Mann nicht Frau genannt. Die Frau ist nämlich Werk des Mannes und der Mann Anblick des Trostes für die Frau; und keiner von beiden könnte ohne den anderen sein. Der Mann bezeichnet die Gottheit des Gottessohnes, die Frau aber seine Menschheit. [Wirken Gottes, S. 229 f.]
Wohltuend an dieser Darstellung ist das wechselseitige Aufeinander-Angewiesen- und Aufeinander-Bezogen-Sein von Mann und Frau: Wie Gott in sich einer ist, der wirkt, so soll der Mensch mit Gott zusammenwirken, aber er soll auch als Mann und Frau mit und in der Schöpfung zusammenwirken. Christus ist das große Ja Gottes zur Schöpfung und zum Menschen - und insofern auch zur menschlichen Geschlechterdifferenz.<<
Wohltuend ist auch diese kompetente und tiefe Einsicht in das Werk Hildegards, das Gosebrink hier auf kaum 200 Seiten darzulegen vermag. Das Buch empfiehlt sich insbesondere als Einstieg für diejenigen, die Hildegards Theologie verstehen möchten, in den letzten Kapiteln geht Gosebrink aber auch auf Naturkunde und Medizin und insbesondere Hildegards Verhältnis zu den Edelsteinen ein. Abgerundet wird der Band durch weitere Lesehinweise und Empfehlungen zu Interpretationen von Hildegards musikalischem Werk.
Hildegard Gosebrink:
Hildegard von Bingen begegnen.
Erschienen im Sankt-Ulrich-Verlag.
Bestellbar hier.
ISBN 978-3-929246-76-7
12,90 EUR
ElsaLaska - 15. Okt, 14:40
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@Luika
Johannes Paul I