Trauminsel
Die Purpurinsel ist immer in Sichtweite, aber so weit entfernt, dass man selbst bei Ebbe nicht hinwaten kann. Sie betreten zu wollen wird ein ernsthaftes Unterfangen, deshalb benötigt man ein Boot und einen Bootsführer, der übersetzt; auch den Schein einer beliebigen Behörde, den man erst bekommt, wenn man zu irgendeiner unmöglichen Tageszeit in einem nach Pisse stinkenden Büro mit Alufenstern erschienen ist und eine angemessene Weile gewartet hat. Während des Wartens kann man die Aktenordner betrachten, die sich stapeln, betreffend aller möglichen Dinge, die bereits geregelt worden sind. Ein Stapel auf dem Schreibtisch des Amtsinhabers bezeugt diejenige Menge der Sachverhalte, die noch geregelt werden sollte. Es ist schlechterdings unmöglich, den begehrten Schein zu erhalten und am gleichen Tag noch die Insel zu betreten, dafür ist gesorgt. Sofern man seine Ungeduld nicht allzu offensichtlich zeigt, erhält man um die Mittagsstunde seines Besuchs eine zierliche Porzellantasse mit gewürztem Mokka angeboten, während der Scheinaussteller zu Tisch geht. Auch das dauert seine Zeit. Als Antragsteller durchläuft man während dessen bestimmte und festgelegte Gemütszustände, die vorgegeben sind, wann immer man sich in der Situation befindet, einen Antrag stellen zu müssen.
Man hatte das Büro zuversichtlich betreten, sicher würde es nicht allzu lange dauern, schon bald würde man das begehrte Papier in der Hand halten und es bei einem Omelette mit Oliven und Tomatensalat begutachten können.
Es ist eine sinnvolle Einrichtung, auf diese Art dafür zu sorgen, dass nicht Hinz und Kunz die Insel betreten darf, die, seit sie nicht mehr als Gefängnis dient, unbewohnt ist und deshalb Lebensgebiet für seltene Tierarten geworden ist. Zufrieden öffnet man Portemonnaie oder Handtasche, um zu überprüfen, ob man auch wirklich alle geforderten Unterlagen für die Antragstellung dabei hat. Es wäre ärgerlich an dieser Stelle der Prozedur zu merken, dass man etwa ein wichtiges Dokument vergessen hat. Manchmal scheint es, als ob tatsächlich etwas fehlen würde, dann blättert man hektischer als sonst durch die Papiere, obzwar man sie schon zu Hause geprüft hatte. Immer erweist sich dann, dass etwa das dringend benötigte Passbild nur unter einem anderen Dokument versteckt war. Nie fehlt es. Deshalb lehnt man sich zufrieden zurück. Es war auch niemand vor einem da, so dass man weiterhin zuversichtlich sein kann, was das Vorankommen in dieser Angelegenheit betrifft.
Die Purpurinsel - am nächsten Morgen sollte es losgehen, sofern das Wetter mitspielte. Ich kann mich noch genau daran entsinnen, wie ich sie das erste Mal sah. Die Sonne ging gerade unter und warf über alles, die Küste, die Stadt und den Strand ein dunkelleuchtendes Gewebe aus altem Licht. Ich saß mit ein paar Freunden in einem dieser Fischlokale am Hafen, um einmal etwas anders zu essen als Omelett oder Oliven. Das Lokal lag auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens; bis man es zu Fuß erreicht hatte, mit angehaltenem Atem wegen des Gestanks nach verwesendem Meeresgetiers im ganzen Hafen, war uns der Appetit verloren gegangen. Eine Flasche Weißwein sollte Abhilfe schaffen, das Restaurant hatte glücklicherweise eine Lizenz für den Alkoholausschank, so dass wir den importierten französischen Sancerres nicht aus Teetassen trinken mussten. Die Zugehfrau hatte mir am Nachmittag Hennaornamente auf die Handflächen gemalt und ich langte gierig nach meinem Glas, mit diesen fast afrikanischen Mustern in meiner Hand, die die Farbe von getrocknetem Blut hatten. Es gab fritierten Fisch und es gab gebackenen Fisch, auch Seezunge oder Tintenfisch, und es gab Oliven dazu und Kartoffeln, auch Fladenbrot. Meine Tischgesellschaft war nicht sehr anregend und die Seezunge war fade und fantasielos zubereitet. Einzig der Wein war ein Lichtblick und ich bestellte schnell noch eine zweite Flasche. Was für ein trostloses Land am Meer, in dem man nicht einmal ein leckeres Fischgericht zu stande brachte. Wehmütig dachte ich an die exquisite Küche Malaysias und Indonesiens. Meine Begleiter standen kurz vom Tisch auf, um auf der Holzveranda des Lokals eine Zigarette zu rauchen und da fiel mein Blick auf die vorgelagerte Insel, in Reichweite war sie, wie es schien, und sie war in das purpurrote Licht der Abenddämmerung getaucht, ein dunkelvioletter schwerer Schattenriss vor dem schwarzen Horizont. Ich habe die Inseln immer geliebt. Besonders die in Küstennähe, oder die, die wie mit einem schmalen Haltegurt noch ans Land verankert waren, die Halbinseln, die einen merkwürdigen Status innehatten, zwielichtig, nicht fest und klar, nicht Binnenland, nicht Insel. Die Bewohner solcher Gebilde bewegen sich sehr sicher auf der Welt, aber ihnen fehlt der Stolz. Nicht verloren gehen zu können, ist der Preis, den sie zahlen: die Gewissheit, an der Leine des Binnenlandes zu liegen wie ein verwahrloster Köter auf einem Hinterhof. Da war sie also, die Purpurinsel, und die Herkunft ihres Namens schien mir auf der Hand zu liegen, während mich der Dungduft der einheimischen Zigaretten umhüllte. Niemand konnte mir sagen, was es mit dieser Insel auf sich hatte, nur einer meiner Begleiter, der sympathischste, mit einem goldenen Nasenring - er rauchte Winston-Zigaretten - glaubte zu wissen, dass 1968 Jimi Hendrix hier an diesem von gottvergessenen Ende der Welt, auf der vorgelagerten Felseninsel, ein fulminantes, von Öffentlichkeit unbeachtet gebliebenes Open-Air-Konzert veranstaltet hatte, und ja, das konnte ich mir vorstellen: Der gute alte Jimi auf die Insel, mit seiner Gitarre und einem ziegelgroßen schwarzen Stück Hasch aus dem Rif, wie man es hier bekam, und dann Losjammen dass Allah, Jahwe oder Jesus, oder vielleicht auch die vergessenen Meeresgötter dieser Gegend mit den Fingern snippten und groovten, was das Zeug hielt, und dabei vor lauter Spaß und good vibrations einen purpurfarben lodernden Sonnenuntergang (Jesus verbrennt seine Gitarre!) nach dem anderen hinpinseln würden. Oder auch granatrot, wie den Cabernet, den sie hier anpflanzten und bei diesem Gedanken kehrte ich an den Tisch zurück, um noch eine Flasche Rotwein und einen Mokka zu bestellen.
Man hatte das Büro zuversichtlich betreten, sicher würde es nicht allzu lange dauern, schon bald würde man das begehrte Papier in der Hand halten und es bei einem Omelette mit Oliven und Tomatensalat begutachten können.
Es ist eine sinnvolle Einrichtung, auf diese Art dafür zu sorgen, dass nicht Hinz und Kunz die Insel betreten darf, die, seit sie nicht mehr als Gefängnis dient, unbewohnt ist und deshalb Lebensgebiet für seltene Tierarten geworden ist. Zufrieden öffnet man Portemonnaie oder Handtasche, um zu überprüfen, ob man auch wirklich alle geforderten Unterlagen für die Antragstellung dabei hat. Es wäre ärgerlich an dieser Stelle der Prozedur zu merken, dass man etwa ein wichtiges Dokument vergessen hat. Manchmal scheint es, als ob tatsächlich etwas fehlen würde, dann blättert man hektischer als sonst durch die Papiere, obzwar man sie schon zu Hause geprüft hatte. Immer erweist sich dann, dass etwa das dringend benötigte Passbild nur unter einem anderen Dokument versteckt war. Nie fehlt es. Deshalb lehnt man sich zufrieden zurück. Es war auch niemand vor einem da, so dass man weiterhin zuversichtlich sein kann, was das Vorankommen in dieser Angelegenheit betrifft.
Die Purpurinsel - am nächsten Morgen sollte es losgehen, sofern das Wetter mitspielte. Ich kann mich noch genau daran entsinnen, wie ich sie das erste Mal sah. Die Sonne ging gerade unter und warf über alles, die Küste, die Stadt und den Strand ein dunkelleuchtendes Gewebe aus altem Licht. Ich saß mit ein paar Freunden in einem dieser Fischlokale am Hafen, um einmal etwas anders zu essen als Omelett oder Oliven. Das Lokal lag auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens; bis man es zu Fuß erreicht hatte, mit angehaltenem Atem wegen des Gestanks nach verwesendem Meeresgetiers im ganzen Hafen, war uns der Appetit verloren gegangen. Eine Flasche Weißwein sollte Abhilfe schaffen, das Restaurant hatte glücklicherweise eine Lizenz für den Alkoholausschank, so dass wir den importierten französischen Sancerres nicht aus Teetassen trinken mussten. Die Zugehfrau hatte mir am Nachmittag Hennaornamente auf die Handflächen gemalt und ich langte gierig nach meinem Glas, mit diesen fast afrikanischen Mustern in meiner Hand, die die Farbe von getrocknetem Blut hatten. Es gab fritierten Fisch und es gab gebackenen Fisch, auch Seezunge oder Tintenfisch, und es gab Oliven dazu und Kartoffeln, auch Fladenbrot. Meine Tischgesellschaft war nicht sehr anregend und die Seezunge war fade und fantasielos zubereitet. Einzig der Wein war ein Lichtblick und ich bestellte schnell noch eine zweite Flasche. Was für ein trostloses Land am Meer, in dem man nicht einmal ein leckeres Fischgericht zu stande brachte. Wehmütig dachte ich an die exquisite Küche Malaysias und Indonesiens. Meine Begleiter standen kurz vom Tisch auf, um auf der Holzveranda des Lokals eine Zigarette zu rauchen und da fiel mein Blick auf die vorgelagerte Insel, in Reichweite war sie, wie es schien, und sie war in das purpurrote Licht der Abenddämmerung getaucht, ein dunkelvioletter schwerer Schattenriss vor dem schwarzen Horizont. Ich habe die Inseln immer geliebt. Besonders die in Küstennähe, oder die, die wie mit einem schmalen Haltegurt noch ans Land verankert waren, die Halbinseln, die einen merkwürdigen Status innehatten, zwielichtig, nicht fest und klar, nicht Binnenland, nicht Insel. Die Bewohner solcher Gebilde bewegen sich sehr sicher auf der Welt, aber ihnen fehlt der Stolz. Nicht verloren gehen zu können, ist der Preis, den sie zahlen: die Gewissheit, an der Leine des Binnenlandes zu liegen wie ein verwahrloster Köter auf einem Hinterhof. Da war sie also, die Purpurinsel, und die Herkunft ihres Namens schien mir auf der Hand zu liegen, während mich der Dungduft der einheimischen Zigaretten umhüllte. Niemand konnte mir sagen, was es mit dieser Insel auf sich hatte, nur einer meiner Begleiter, der sympathischste, mit einem goldenen Nasenring - er rauchte Winston-Zigaretten - glaubte zu wissen, dass 1968 Jimi Hendrix hier an diesem von gottvergessenen Ende der Welt, auf der vorgelagerten Felseninsel, ein fulminantes, von Öffentlichkeit unbeachtet gebliebenes Open-Air-Konzert veranstaltet hatte, und ja, das konnte ich mir vorstellen: Der gute alte Jimi auf die Insel, mit seiner Gitarre und einem ziegelgroßen schwarzen Stück Hasch aus dem Rif, wie man es hier bekam, und dann Losjammen dass Allah, Jahwe oder Jesus, oder vielleicht auch die vergessenen Meeresgötter dieser Gegend mit den Fingern snippten und groovten, was das Zeug hielt, und dabei vor lauter Spaß und good vibrations einen purpurfarben lodernden Sonnenuntergang (Jesus verbrennt seine Gitarre!) nach dem anderen hinpinseln würden. Oder auch granatrot, wie den Cabernet, den sie hier anpflanzten und bei diesem Gedanken kehrte ich an den Tisch zurück, um noch eine Flasche Rotwein und einen Mokka zu bestellen.
ElsaLaska - 15. Feb, 22:10
Was - so ein toller Text und keine Kommentare?