Sechs Thesen über den Fortschritt der Lyrik
von Michael Braun zum Welttag der Poesie:
>>
[Eins]
Es geht um "ganz kleine Verschiebungen", hat Ernst Jandl einmal gesagt.
Wenn es noch lyrische Virtuosen gibt, dann sind es Virtuosen der Übermalung, der traditionsbewussten Überschreibung der Tradition.
[Zwei]
Man darf es sich nicht so leicht machen wie Michael Lentz, der in seinen "Thesen zur Poesie" 2004 der ganzen Gattung das komplette Fehlen von "Sprachüberraschungen" und "verqueren Inhalten" attestierte. Laut Lentz herrsche eine fürchterliche Bravheit, die sich im "Anschauen alter Postkarten" oder in der "Kumpanei mit der Antike" erschöpfe.
>Auffällig sei die neue Begeisterung für das Sonett und den Sonettenkranz.
Die Antwort des Dichters Jan Wagner auf Lentz lautet: Fortschritt ist das, was man aus dem Rückgriff macht.
[Drei]
Was machen junge Lyriker aus dem Rückgriff?
Beispiel Ron Winkler, der die ironische Entzauberung romantischer Naturpoesie zelebriere.
Beispiel Nico Bleutge mit seinen "lyrischen Wahrnehmungsexerzitien", die um die Möglichkeiten und Grenzen sinnlicher Anschauung kreisen.
[Vier]
Die FAZ sprach von einer "Sturm-und-Drang-Phase einer neuen deutschen Dichtung von internationalem Rang". Hier ist vor allem der außergewöhnliche Lyrik-Verlag Kookbooks Berlin zu nennen, dort versammeln sich lt. Braun die Autoren, die sehr viel aus den "kleinen Verschiebungen" des lyrischen Sprechens gemacht haben. Als Beispiel nennt er Steffen Popp, dessen alten Bilder des Erhabenen mit ironischen Widerhaken und Brechungen versehen seien.
[Fünf]
Braun konstatiert das Comeback des politischen Gedichts, zum Beispiel das Gedicht über Osama bin Laden von Hendrik Jackson (kookbook) und der Schweizer Lyriker Armin Senser mit seinem neuen Gedichtbuch "Kalte Kriege" (Hanser) und den darin enthaltenen "problematischen Erkenntnisblitzen":
"In Abu Ghraib prügeln die USA Namenlose weich./Beim Foltern, Töten oder beten macht man höchstens schlapp, /oder wird gestoppt."
(Mann oh Mann oh Mann ... Mann oh Mann oh Mann - Anm. Elsa)
[Sechs]
Am genauesten hat es Ibsen formuliert: "Dichten heißt Gerichtstag halten über das eigene Ich". Daran habe sich auch in der Ära der lyrischen Montage-Künstler und ihrer Medien-Zitate, raschen Blickwechsel und schnellen Schnitte nichts geändert.
Eine verbindliche Poetik gebe es nicht mehr.
Michael Braun schließt sich Harald Hartung an, der im Fischer-Jubiläumsjahrbuch Lyrik schreibt:
"Ich weiß immer weniger, was ein Gedicht ist."
Ausblick Brauns: Hoffen wir auf ganz kleine Verschiebungen.>>
("Wer weiß schon, was ein Gedicht ist? Heute ist der Welttag der Poesie: Sechs Thesen über den Fortschritt der Lyrik von Michael Braun in der Rheinpfalz Nr 68 vom 21.3.2007)
Gekürzte Fassung von mir.
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[Eins]
Es geht um "ganz kleine Verschiebungen", hat Ernst Jandl einmal gesagt.
Wenn es noch lyrische Virtuosen gibt, dann sind es Virtuosen der Übermalung, der traditionsbewussten Überschreibung der Tradition.
[Zwei]
Man darf es sich nicht so leicht machen wie Michael Lentz, der in seinen "Thesen zur Poesie" 2004 der ganzen Gattung das komplette Fehlen von "Sprachüberraschungen" und "verqueren Inhalten" attestierte. Laut Lentz herrsche eine fürchterliche Bravheit, die sich im "Anschauen alter Postkarten" oder in der "Kumpanei mit der Antike" erschöpfe.
>Auffällig sei die neue Begeisterung für das Sonett und den Sonettenkranz.
Die Antwort des Dichters Jan Wagner auf Lentz lautet: Fortschritt ist das, was man aus dem Rückgriff macht.
[Drei]
Was machen junge Lyriker aus dem Rückgriff?
Beispiel Ron Winkler, der die ironische Entzauberung romantischer Naturpoesie zelebriere.
Beispiel Nico Bleutge mit seinen "lyrischen Wahrnehmungsexerzitien", die um die Möglichkeiten und Grenzen sinnlicher Anschauung kreisen.
[Vier]
Die FAZ sprach von einer "Sturm-und-Drang-Phase einer neuen deutschen Dichtung von internationalem Rang". Hier ist vor allem der außergewöhnliche Lyrik-Verlag Kookbooks Berlin zu nennen, dort versammeln sich lt. Braun die Autoren, die sehr viel aus den "kleinen Verschiebungen" des lyrischen Sprechens gemacht haben. Als Beispiel nennt er Steffen Popp, dessen alten Bilder des Erhabenen mit ironischen Widerhaken und Brechungen versehen seien.
[Fünf]
Braun konstatiert das Comeback des politischen Gedichts, zum Beispiel das Gedicht über Osama bin Laden von Hendrik Jackson (kookbook) und der Schweizer Lyriker Armin Senser mit seinem neuen Gedichtbuch "Kalte Kriege" (Hanser) und den darin enthaltenen "problematischen Erkenntnisblitzen":
"In Abu Ghraib prügeln die USA Namenlose weich./Beim Foltern, Töten oder beten macht man höchstens schlapp, /oder wird gestoppt."
[Sechs]
Am genauesten hat es Ibsen formuliert: "Dichten heißt Gerichtstag halten über das eigene Ich". Daran habe sich auch in der Ära der lyrischen Montage-Künstler und ihrer Medien-Zitate, raschen Blickwechsel und schnellen Schnitte nichts geändert.
Eine verbindliche Poetik gebe es nicht mehr.
Michael Braun schließt sich Harald Hartung an, der im Fischer-Jubiläumsjahrbuch Lyrik schreibt:
"Ich weiß immer weniger, was ein Gedicht ist."
Ausblick Brauns: Hoffen wir auf ganz kleine Verschiebungen.>>
("Wer weiß schon, was ein Gedicht ist? Heute ist der Welttag der Poesie: Sechs Thesen über den Fortschritt der Lyrik von Michael Braun in der Rheinpfalz Nr 68 vom 21.3.2007)
Gekürzte Fassung von mir.
ElsaLaska - 21. Mär, 19:40