Ein Lied zu Ehren der mutigen Kangal-Hunde
Ein Kangalrüde aus der Provinz Sivas in Anatolien erinnert sich:
Meine Mutter hat mich alles gelehrt, was ich wissen musste.
"Wir haben schon immer an der Seite der Menschen gekämpft, Sohn, deine Vorfahren zogen mit ihnen in die Schlacht wenn Krieg war, im Frieden beschützten sie ihre Herden", lehrte sie mich. "Du stammst von einer edlen Linie, dein Großvater war berühmt für seine tapferen Taten. Wir entscheiden allein darüber, ob wir einen Angreifer verjagen oder ihn verfolgen und töten. Den Kindern und Lämmern aber darf nie etwas geschehen, keinen Wolfsatem sollen sie riechen, keine Klaue sie ritzen, kein Reißzahn sie streifen: Dafür stehst du mit deinem Leben ein. Wie jeder von uns."
Mein Großvater hat es mit den Berglöwen aufgenommen und meine Mutter einen Bären getötet. Es war ihre Pflicht und Ehre, das zu tun; aber die Menschen machten ein großes Aufhebens darum. Von weit her kamen Hirten, um meine Mutter und meine kleinen Geschwister zu sehen, von denen kein Einziges vor dem Wolfspelz zurückschrak, den sie ihnen zeigten, um ihren Mut zu prüfen.
Mich allein ließen sie bei ihr, um sie nicht zu bekümmern. Aber meine Mutter war stolz, dass ihre Kinder nun den Ruhm der Linie weiter ins Land hineintragen würden.
Sie ging mit mir hinaus zu den Herden und zeigte mir ihre Lieblinge, die neu geborenen Lämmer, die schutzbedürftigsten unter allen. Bei Tagesanbruch und in der Abenddämmerung liefen wir in großen Kreisen um die Herde herum und achteten auf die Witterung, die wir regelmäßig aufnahmen, mit unseren Nasen im Wind - denn dies waren die Zeiten der Räuber.
Bei Tage lagen wir ruhig an einer Stelle, von der aus wir die Herde überblicken konnten und schonten unsere Kräfte. Die Menschen, die uns vertrauten, ließen uns allein. Mutter schätzte dieses Gebaren, aber ich war froh, wenn sie einmal kamen, um nach der Herde zu sehen. Denn dann durfte ich ausgelassen sein, auch wenn es mir ganz verboten war, mit ihnen zu spielen. Doch allzu schnell brach die Dämmerung herein und wir mussten das Gebiet sichern, auf der Hut sein, immer in Bewegung bleiben.
Wenn die Zeit eines der Mutterschafe kam, dann hieß sie mich still neben die Gebärende zu liegen, während sie den Platz sicherte. Ich durfte das Schaf nicht stören, aber es sollte wissen, dass einer von uns dabei war und es ohne Furcht sein konnte. Wenn das Lamm da war, schaute ich zu Mutter hinüber und wenn sie mir zunickte, dann beugte ich mich stolz hinunter zu dem Kleinen und begrüßte es mit Schnuppern und Lecken. Die Mutterschafe, die sich schnell erholten, stupste ich aufmunternd an. Es waren schöne Momente, die schönsten überhaupt in der Herde.
Wenn die Lagerfeuer brannten und die Hirten auf den kargen Weiden übernachteten, gab es auch für uns eine kleine Atempause. Die Räuber scheuen das Feuer und so konnten wir uns in respektvollem Abstand niederlegen und ruhen. Mutter rügte mich, wenn ich den Gesang der Menschen nicht respektierte und so übernahm ich ihre Gepflogenheit, schweigend in die Flammen zu schauen bis mir die Augen zufielen; doch manches Mal erwachte ich von lauten Träumen, in denen sie verzweifelt heulte und japste. Sie kämpfte oft im Schlaf mit dem Bären, den sie damals besiegt hatte, und ich ließ sie jedes Mal zu Ende träumen, damit sie nach dem Schrecken des Kampfes, den sie immer wieder durchleben musste, auch den Sieg wieder und wieder erfuhr. Ich merkte es daran, dass sie ruhiger wurde und ihr Geheul in ein sanftes, ruhiges Murren überging, was seine Zeit brauchte.
"Siegt eigentlich manchmal der Bär in deinem Traum?", habe ich sie einmal gefragt.
Sie schaute mich lange an, dachte nach, wie sie über jede meiner Fragen nachdachte, damit ich sah, dass sie mich ernst nahm.
"Nein, Sohn, das tut er nie", sagte sie mit einem Gähnen, um sich Zeit zu verschaffen. "Du wirst das erst verstehen, wenn du selbst einen Räuber getötet hast. Du gehst in einen solchen Kampf mit der Gewissheit, zu siegen. Andernfalls wirst du verlieren. Und wenn ich damals verloren und überlebt hätte, dann würden mich jetzt diese Träume plagen, von denen du sprichst. Das aber wäre schlimmer als der Tod. Du siehst also, ein Sieg bedeutet nicht nur, mit heiler Haut davonzukommen und den Jäger zu vernichten, ein Sieg bedeutet, dass du zu allererst deine Herde rettest, dann deine Träume, und am Ende auch dein Leben. Ohne deine Herde bist du nicht mehr der, der du bist, denn was ist ein Wächter wert, der nichts zu bewachen hat? Und ohne deine guten Träume bist du schlimmer dran als tot, mein Sohn."
"Wie ist es, tot zu sein?", frage ich sie, nachdem ich lange geschwiegen und den Gesängen der Menschen gelauscht hatte.
Die kampferprobte Hündin warf prüfend den Kopf in die Höhe, sog Luft ein und blickte dann lange zum Vollmond über den Hügeln empor.
"Gefällt es dir, am Feuer auszuruhen, den Menschen zuzuhören, in die Flammen zu schauen und ab und an nach dem Mond zu sehen?"
"Ja, meine Mutter, das tut es- sehr."
"Wenn du tot bist, einmal, wird es das alles nicht mehr für dich geben. Deshalb, Sohn, kämpfe mit all deiner Kraft, mit deinem ganzen Mut und mit all deiner Macht. Und in der Gewissheit, dass du nach deinem Sieg mit mir am Lagerfeuer der Menschen liegen wirst."
Dann schwieg sie. Als ich nach einiger Zeit zu ihr hinüberspähte, sah ich, dass ihr der Kopf zwischen die Pfoten gesunken war.
Ich habe die Nächte mit ihr, unseren Schafen und Menschen nie vergessen. Und einmal kam die Zeit, da war sie nicht mehr an den Feuern und auch nicht mehr auf den Weiden. Diese Zeit dauerte lange und ich bin alt darüber geworden. Wenn ich gesiegt hatte, dann lag ich am Feuer der Menschen, doch ich lag allein.
Sie führten mir Gefährtinnen zu, damit ich meine stolze Linie fortsetzte, doch am Ende haben sie sie mir alle wieder genommen.
"Was", so fragte ich sie in den zahllosen mondlosen Nächten, in denen ich die Feuer der Hirten vermisste, denn sie kamen nur noch selten, um nach mir zu schauen, "Was trennt mich nun noch vom Tod?"
Ich gab mir selbst die Antwort: es war die Herde und vor allem waren es die Lämmer, die in jedem Jahr geboren wurden. Denn den Lämmern, so hat man mich gelehrt, den Lämmern und Kindern darf nie etwas geschehen: keinen Wolfsatem sollen sie riechen noch dürfen Klauen sie ritzen, kein Reißzahn sie streifen. Dafür stehe ich, Sohn der Bärentöterin, mit meinem eigenen Leben ein.
Meine Mutter hat mich alles gelehrt, was ich wissen musste.
"Wir haben schon immer an der Seite der Menschen gekämpft, Sohn, deine Vorfahren zogen mit ihnen in die Schlacht wenn Krieg war, im Frieden beschützten sie ihre Herden", lehrte sie mich. "Du stammst von einer edlen Linie, dein Großvater war berühmt für seine tapferen Taten. Wir entscheiden allein darüber, ob wir einen Angreifer verjagen oder ihn verfolgen und töten. Den Kindern und Lämmern aber darf nie etwas geschehen, keinen Wolfsatem sollen sie riechen, keine Klaue sie ritzen, kein Reißzahn sie streifen: Dafür stehst du mit deinem Leben ein. Wie jeder von uns."
Mein Großvater hat es mit den Berglöwen aufgenommen und meine Mutter einen Bären getötet. Es war ihre Pflicht und Ehre, das zu tun; aber die Menschen machten ein großes Aufhebens darum. Von weit her kamen Hirten, um meine Mutter und meine kleinen Geschwister zu sehen, von denen kein Einziges vor dem Wolfspelz zurückschrak, den sie ihnen zeigten, um ihren Mut zu prüfen.
Mich allein ließen sie bei ihr, um sie nicht zu bekümmern. Aber meine Mutter war stolz, dass ihre Kinder nun den Ruhm der Linie weiter ins Land hineintragen würden.
Sie ging mit mir hinaus zu den Herden und zeigte mir ihre Lieblinge, die neu geborenen Lämmer, die schutzbedürftigsten unter allen. Bei Tagesanbruch und in der Abenddämmerung liefen wir in großen Kreisen um die Herde herum und achteten auf die Witterung, die wir regelmäßig aufnahmen, mit unseren Nasen im Wind - denn dies waren die Zeiten der Räuber.
Bei Tage lagen wir ruhig an einer Stelle, von der aus wir die Herde überblicken konnten und schonten unsere Kräfte. Die Menschen, die uns vertrauten, ließen uns allein. Mutter schätzte dieses Gebaren, aber ich war froh, wenn sie einmal kamen, um nach der Herde zu sehen. Denn dann durfte ich ausgelassen sein, auch wenn es mir ganz verboten war, mit ihnen zu spielen. Doch allzu schnell brach die Dämmerung herein und wir mussten das Gebiet sichern, auf der Hut sein, immer in Bewegung bleiben.
Wenn die Zeit eines der Mutterschafe kam, dann hieß sie mich still neben die Gebärende zu liegen, während sie den Platz sicherte. Ich durfte das Schaf nicht stören, aber es sollte wissen, dass einer von uns dabei war und es ohne Furcht sein konnte. Wenn das Lamm da war, schaute ich zu Mutter hinüber und wenn sie mir zunickte, dann beugte ich mich stolz hinunter zu dem Kleinen und begrüßte es mit Schnuppern und Lecken. Die Mutterschafe, die sich schnell erholten, stupste ich aufmunternd an. Es waren schöne Momente, die schönsten überhaupt in der Herde.
Wenn die Lagerfeuer brannten und die Hirten auf den kargen Weiden übernachteten, gab es auch für uns eine kleine Atempause. Die Räuber scheuen das Feuer und so konnten wir uns in respektvollem Abstand niederlegen und ruhen. Mutter rügte mich, wenn ich den Gesang der Menschen nicht respektierte und so übernahm ich ihre Gepflogenheit, schweigend in die Flammen zu schauen bis mir die Augen zufielen; doch manches Mal erwachte ich von lauten Träumen, in denen sie verzweifelt heulte und japste. Sie kämpfte oft im Schlaf mit dem Bären, den sie damals besiegt hatte, und ich ließ sie jedes Mal zu Ende träumen, damit sie nach dem Schrecken des Kampfes, den sie immer wieder durchleben musste, auch den Sieg wieder und wieder erfuhr. Ich merkte es daran, dass sie ruhiger wurde und ihr Geheul in ein sanftes, ruhiges Murren überging, was seine Zeit brauchte.
"Siegt eigentlich manchmal der Bär in deinem Traum?", habe ich sie einmal gefragt.
Sie schaute mich lange an, dachte nach, wie sie über jede meiner Fragen nachdachte, damit ich sah, dass sie mich ernst nahm.
"Nein, Sohn, das tut er nie", sagte sie mit einem Gähnen, um sich Zeit zu verschaffen. "Du wirst das erst verstehen, wenn du selbst einen Räuber getötet hast. Du gehst in einen solchen Kampf mit der Gewissheit, zu siegen. Andernfalls wirst du verlieren. Und wenn ich damals verloren und überlebt hätte, dann würden mich jetzt diese Träume plagen, von denen du sprichst. Das aber wäre schlimmer als der Tod. Du siehst also, ein Sieg bedeutet nicht nur, mit heiler Haut davonzukommen und den Jäger zu vernichten, ein Sieg bedeutet, dass du zu allererst deine Herde rettest, dann deine Träume, und am Ende auch dein Leben. Ohne deine Herde bist du nicht mehr der, der du bist, denn was ist ein Wächter wert, der nichts zu bewachen hat? Und ohne deine guten Träume bist du schlimmer dran als tot, mein Sohn."
"Wie ist es, tot zu sein?", frage ich sie, nachdem ich lange geschwiegen und den Gesängen der Menschen gelauscht hatte.
Die kampferprobte Hündin warf prüfend den Kopf in die Höhe, sog Luft ein und blickte dann lange zum Vollmond über den Hügeln empor.
"Gefällt es dir, am Feuer auszuruhen, den Menschen zuzuhören, in die Flammen zu schauen und ab und an nach dem Mond zu sehen?"
"Ja, meine Mutter, das tut es- sehr."
"Wenn du tot bist, einmal, wird es das alles nicht mehr für dich geben. Deshalb, Sohn, kämpfe mit all deiner Kraft, mit deinem ganzen Mut und mit all deiner Macht. Und in der Gewissheit, dass du nach deinem Sieg mit mir am Lagerfeuer der Menschen liegen wirst."
Dann schwieg sie. Als ich nach einiger Zeit zu ihr hinüberspähte, sah ich, dass ihr der Kopf zwischen die Pfoten gesunken war.
Ich habe die Nächte mit ihr, unseren Schafen und Menschen nie vergessen. Und einmal kam die Zeit, da war sie nicht mehr an den Feuern und auch nicht mehr auf den Weiden. Diese Zeit dauerte lange und ich bin alt darüber geworden. Wenn ich gesiegt hatte, dann lag ich am Feuer der Menschen, doch ich lag allein.
Sie führten mir Gefährtinnen zu, damit ich meine stolze Linie fortsetzte, doch am Ende haben sie sie mir alle wieder genommen.
"Was", so fragte ich sie in den zahllosen mondlosen Nächten, in denen ich die Feuer der Hirten vermisste, denn sie kamen nur noch selten, um nach mir zu schauen, "Was trennt mich nun noch vom Tod?"
Ich gab mir selbst die Antwort: es war die Herde und vor allem waren es die Lämmer, die in jedem Jahr geboren wurden. Denn den Lämmern, so hat man mich gelehrt, den Lämmern und Kindern darf nie etwas geschehen: keinen Wolfsatem sollen sie riechen noch dürfen Klauen sie ritzen, kein Reißzahn sie streifen. Dafür stehe ich, Sohn der Bärentöterin, mit meinem eigenen Leben ein.
ElsaLaska - 6. Jul, 23:59
Literarisches Blog - - 0 Trackbacks - 1500x gelesen
Trackback URL:
https://elsalaska.twoday.net/stories/444865331/modTrackback