Zum morgigen Gedenktag des heiligen Bernhard von Clairvaux [II]
Meine kleine Arbeit über den hl. Bernhard und die zisterziensische Spiritualität.
Zur Einleitung zurück geht es hier.
2. Die drei Stufen der Gotteserfahrung bei Bernhard
2.1 Die erste Stufe: consideratio
Für Bernhard geht der Weg zur Gotteserfahrung über drei Stufen: am Beginn steht die consideratio, darauf folgt contemplatio und als dritte und höchste Stufe die Ekstase: „Auf diesem Weg unterscheidet Bernhard drei Stufen, die consideratio, wo der Mensch sammelt und sucht; die contemplatio, in der man in vertrauender Hingabe und Schauung das Wahre ergreift; und die Ekstase, in der wir aus unserem Ich heraustreten und in mystischer Vereinigung uns in Gott verlieren wie ein Tropfen Wasser im Wein.“ (5)
Wir müssen diese drei Stufen näher betrachten, um zu erkennen, dass es Bernhard bei dem, was er unter Gotteserfahrung versteht, nicht um außerordentliche religiöse Verzückung bis hin zu körperlichen Ekstasen geht – etwas, das für die wenigsten Christen erfahr- und erlebbar sein dürfte; und woran sie vielleicht zunächst denken, wenn von „Mystik“ die Rede ist – sondern vielmehr um ein spirituellen Weg, der für jeden gangbar ist, der sich über die conditio humana bewusst geworden, innerlich gekämpft, an der menschlichen Endlichkeit gelitten und angesichts dieser Erfahrung demütig geworden ist (6) .
Dies ist die erste Stufe, consideratio genannt.
„Man muss jedoch diese Deutung weiter fassen: Die religiöse Erfahrung erstreckt sich auch auf das Bewusstsein, das der Mensch von sich selbst und seiner Armseligkeit hat, von seiner ‚Distanz in der Beziehung zu Gott’. Es ist nämlich dieser grundlegende Bewusstwerdungsprozess, der den Ruf nach Gott weckt und der uns für seine Antwort, seinen ‚Besuch’ empfänglich macht. [...] Seine [Bernhard v. Clairvaux’] ganze Theologie ist eine Reflexion [...] über die Grundsituation, über die Erfahrung, die er in sich macht und die sich in jedem Menschen vollzieht.“ (7)
Am Ende dieser ersten Stufe steht aber nicht Verzweiflung über die eigene Unfähigkeit und Armseligkeit, sondern Bußfertigkeit, Demut und Hoffnung – wobei die Demut für Bernhard an erster Stelle steht – auf die Barmherzigkeit und Gnade Gottes. Ist dieser innere Kampf ausgetragen worden, so ist das menschliche Herz bereit, auf der zweiten Stufe, der contemplatio zu verweilen.
(5) Hirschberger, Bd. II, S. 422
(6)„Es gibt kaum etwas Wirksameres und Entsprechenderes, um der Seele diese rechte Demut beizubringen, als dass sie sich einfach im Licht der Wahrheit sieht. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie sich nichts vormacht und keinen Betrug im Sinne hat, sondern sich ganz nüchtern selbst in den Blick nimmt und sich nicht von sich ablenken lässt. [...] Denn wie sollte sie nicht in dieser wahren Selbsterkenntnis demütig werden, wenn ihr aufgeht, wie sie von Sünden belastet, von der Schwere ihres sterblichen Leibes niedergedrückt, in irdische Sorgen verstrickt, vom Schmutz fleischlicher Sünde befleckt, blind, gebeugt, schwach, in viele Irrtümer verfangen, tausend Gefahren ausgesetzt, tausend Ängsten ausgeliefert, von tausend Schwierigkeiten beengt, von tausenderlei Argwohn umgeben, von tausend Nöten gepeinigt, zu Fehltritten geneigt und zu Tugenden unfähig ist? [...] Sie wird sich bekehren, sage ich, zu den Tränen, sie wird sich bekehren zum Weinen und Stöhnen, sie wird sich bekehren zum Herrn und sie wird voll Demut rufen: „Heile mich, denn ich habe vor dir gesündigt!“ (Ps 41,5). Und wenn sie sich hinkehrt zum Herrn, wird sie Trost empfangen, weil er der Vater der Erbarmungen und der Gott allen Trostes ist.“ Aus der 36. Predigt über das Hohelied (Cant.) in Bernhard von Clairvaux: Rückkehr zu Gott, S 80+81
(7) Leclerq, Bernhard von Clairvaux, S. 172
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2. Die drei Stufen der Gotteserfahrung bei Bernhard
2.1 Die erste Stufe: consideratio
Für Bernhard geht der Weg zur Gotteserfahrung über drei Stufen: am Beginn steht die consideratio, darauf folgt contemplatio und als dritte und höchste Stufe die Ekstase: „Auf diesem Weg unterscheidet Bernhard drei Stufen, die consideratio, wo der Mensch sammelt und sucht; die contemplatio, in der man in vertrauender Hingabe und Schauung das Wahre ergreift; und die Ekstase, in der wir aus unserem Ich heraustreten und in mystischer Vereinigung uns in Gott verlieren wie ein Tropfen Wasser im Wein.“ (5)
Wir müssen diese drei Stufen näher betrachten, um zu erkennen, dass es Bernhard bei dem, was er unter Gotteserfahrung versteht, nicht um außerordentliche religiöse Verzückung bis hin zu körperlichen Ekstasen geht – etwas, das für die wenigsten Christen erfahr- und erlebbar sein dürfte; und woran sie vielleicht zunächst denken, wenn von „Mystik“ die Rede ist – sondern vielmehr um ein spirituellen Weg, der für jeden gangbar ist, der sich über die conditio humana bewusst geworden, innerlich gekämpft, an der menschlichen Endlichkeit gelitten und angesichts dieser Erfahrung demütig geworden ist (6) .
Dies ist die erste Stufe, consideratio genannt.
„Man muss jedoch diese Deutung weiter fassen: Die religiöse Erfahrung erstreckt sich auch auf das Bewusstsein, das der Mensch von sich selbst und seiner Armseligkeit hat, von seiner ‚Distanz in der Beziehung zu Gott’. Es ist nämlich dieser grundlegende Bewusstwerdungsprozess, der den Ruf nach Gott weckt und der uns für seine Antwort, seinen ‚Besuch’ empfänglich macht. [...] Seine [Bernhard v. Clairvaux’] ganze Theologie ist eine Reflexion [...] über die Grundsituation, über die Erfahrung, die er in sich macht und die sich in jedem Menschen vollzieht.“ (7)
Am Ende dieser ersten Stufe steht aber nicht Verzweiflung über die eigene Unfähigkeit und Armseligkeit, sondern Bußfertigkeit, Demut und Hoffnung – wobei die Demut für Bernhard an erster Stelle steht – auf die Barmherzigkeit und Gnade Gottes. Ist dieser innere Kampf ausgetragen worden, so ist das menschliche Herz bereit, auf der zweiten Stufe, der contemplatio zu verweilen.
(5) Hirschberger, Bd. II, S. 422
(6)„Es gibt kaum etwas Wirksameres und Entsprechenderes, um der Seele diese rechte Demut beizubringen, als dass sie sich einfach im Licht der Wahrheit sieht. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie sich nichts vormacht und keinen Betrug im Sinne hat, sondern sich ganz nüchtern selbst in den Blick nimmt und sich nicht von sich ablenken lässt. [...] Denn wie sollte sie nicht in dieser wahren Selbsterkenntnis demütig werden, wenn ihr aufgeht, wie sie von Sünden belastet, von der Schwere ihres sterblichen Leibes niedergedrückt, in irdische Sorgen verstrickt, vom Schmutz fleischlicher Sünde befleckt, blind, gebeugt, schwach, in viele Irrtümer verfangen, tausend Gefahren ausgesetzt, tausend Ängsten ausgeliefert, von tausend Schwierigkeiten beengt, von tausenderlei Argwohn umgeben, von tausend Nöten gepeinigt, zu Fehltritten geneigt und zu Tugenden unfähig ist? [...] Sie wird sich bekehren, sage ich, zu den Tränen, sie wird sich bekehren zum Weinen und Stöhnen, sie wird sich bekehren zum Herrn und sie wird voll Demut rufen: „Heile mich, denn ich habe vor dir gesündigt!“ (Ps 41,5). Und wenn sie sich hinkehrt zum Herrn, wird sie Trost empfangen, weil er der Vater der Erbarmungen und der Gott allen Trostes ist.“ Aus der 36. Predigt über das Hohelied (Cant.) in Bernhard von Clairvaux: Rückkehr zu Gott, S 80+81
(7) Leclerq, Bernhard von Clairvaux, S. 172
ElsaLaska - 19. Aug, 20:14
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