Unheilige Wasser [2]
Im Übrigen dachte er, dass Henk ein prima Spurensicherer, aber ein ziemlich unfähiger Aufklärer war. Für die schlechte Spurenlage konnte er ja nichts. Um das Aspersorium wimmelte es von Fußspuren, darunter seinen eigenen, und natürlich waren Jungklaus’ Abdrücke am Deckel, er hatte ihn herunternehmen müssen, um nachzusehen, warum statt heiligem Wasser eklige Brühe heraussiffte. Dann noch die Todesursache Pentobarbital, ein Medikament,wie es Veterinäre zum Einschläfern von Tierenverwendeten. Oder professionelle Anbieter für aktive Sterbehilfe bei Menschen.Ominös war auch, wieso die Leiche in einem gigantischen Aspersorium deponiert worden war.Das hatte, obwohl er Henks Ritualmord-These nicht zustimmte, schon einen Anflug von religiöser Perversion.
Imogen war hinter ihn getreten und beugte sich zum Monitor. An sich schlecht für Kopecniks Konzentration, denn sie roch gut.
»Pfarrer Jungklaus hat vorhin noch mal angerufen«, sagte Imogen wie nebenher, während sie mit einem lässigen Schwung die Haare aus der Stirn nahm und mit einer Spange zusammenfasste.»Er kommt gleich auf’s Revier. Haben wir noch Kaffee?«
Pfarrer Jungklaus stand, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, vor einem der Fenster. Kopecnik hätte um eine neue Kaffeemaschine gewettet, dass Jungklaus um den Eindruck wusste, den seine V-förmige Silhouette machte, die von der Soutane geradezu umschmeichelt wurde.Mit mehr Lärm, als nötig gewesen wäre, stellte er das Tablett mit den drei Cappuccinotassen, Zucker und Keksen auf dem Besprechungstisch ab.
Jungklaus drehte sich erfreut um und nahm mit einer eleganten Bewegung Platz, wobei er den feinen Duft von »Acqua di Parma« verströmte.»Ich weiß leider nicht, wo mir heute Mittag der Kopf stand«, begann er.
Imogen lächelte freundlich und reichte den Zucker.
»Der Tote war mir persönlich bekannt. Vielleicht bringt es Sie weiter, wenn ich Ihnen erzähle, was ich weiß. Viel ist es allerdings nicht.«
Imogen hielt ihm den Keksteller entgegen. Wie Eva dunnemals Adam den Apfel, befand Kopecnik mürrisch. Er nahm sich einen Stuhl, drehte die Lehne nach vorn und setzte sich rittlings darauf. Imogens Lächeln verschwand, der Geistliche schlug in einer nonchalanten Geste ein Bein über das andere.
»Antonio war ein begabter Student. Von seinerHeimatdiözese empfohlen für ein Jurastudium mit Schwerpunkt Kirchenrecht. Er blieb nach der Messe immer noch etwas länger, um zu beten, manchmal gingen wir noch einen Kaffee trinken, sonst schien er nicht viele Bekannte zu haben. Wir haben ein, zwei Mal eine Kollekte für seine Heimatdiözese gemacht. Hauptsächlich, um dringend benötigte Medikamente hinunterzuschicken. Obwohl sich eine schöne Summe ergab, war er mit den ›Almosen‹, wie er es nannte,nicht so recht zufrieden. Ich gab ihm Recht, natürlich bräuchte sein Dorf nachhaltigere Hilfe. Sauberes Wasser, mehr Brunnen, damit Krankheiten wie Bilharziose sich gar nicht erst verbreiten. Sie wissen,um was es sich bei Bilharziose handelt?«
Imogen als erfahrene Tropenreisende nickte, Kopecnik hatte von so einer Krankheit noch nie gehört und wünschte nachträglich, es wäre dabei geblieben. Jungklaus erzählte, wie die im stehenden Wasservon Reisfeldern lebenden Wurmegel sich durch die Fußsohlen von Kindern und Erwachsenen durchbohrten und kopfaufwärts wanderten, wo sie erst zuErblindung, dann zu Hirnschäden und schließlich zum Tod führten.»Bilharziose ist gut zu behandeln, wenn Geld fürArznei da ist«, fuhr Jungklaus fort und faltete anmutig die Hände. »Noch besser ist, man sorgt für keimfreiesund unverseuchtes Wasser. Man bohrt Brunnen, das ist nachhaltige Hilfe, kostet aber eine schöne Stange Geld.«
Kopecnik, der plötzlich Durst bekommen hatte,roch misstrauisch in seine Mineralwasserflasche hinein, bevor er einen nicht sehr großen Schluck davon nahm.
»Antonio hat versucht, Spendengelder im Internet zubeschaffen.« Er schraubte den Verschluss der PETFlasche wieder zu. »Laut seiner Browser-History war er in einem dieser politischen Diskussionsforen aktiv. Unter dem Pseudonym waterman sind an die 400 Beiträge verzeichnet. Ich hab mir vorhin mal sein Notebook angeschaut.«
Imogen schürzte die Lippen. »Wollten wir das Notebook nicht von Yvonne untersuchen lassen?«
Yvonne hatte Informatik studiert und gehörtezu Henks Team. Kopecnik ließ sich nicht irritieren.Immerhin bildete er sich in seiner Freizeit kontinuierlich im PC-Bereich fort. Pfarrer Jungklaus wählte mit spitzen Fingern einen weiteren Keks aus. »Er war sehr enthusiastisch.Das Internet bringe die Menschen guten Willens zusammen, einer der Moderatoren des Forums hätteaufgrund von Antonios Schilderungen über dieZustände in den madegassischen Dörfern – Kinder,die an Cholera und Bilharziose sterben – eine private Initiative im Internet ins Leben gerufen, um Geld für Brunnen zu sammeln. Ich habe eine Tombola beim nächsten Gemeindebasar vorgeschlagen, aber …«, er zuckte mit den Schultern, »Antonio schien völlig überzeugt von diesem Internetforum. In kurzer Zeitwaren an die 10.000 Euro zusammen gekommen. In ein paar Tagen wollte er Heimaturlaub machen, und jetzt das! Gott sei seiner armen Seele gnädig!«
Bei den letzten Worten senkte Imogen pietätvoll den Blick, Kopecnik jedoch sprang auf und lief genervt zum Fenster, um eine dagegensummende Fliege zu erschlagen.
Dann wandte er sich wieder an Jungklaus.»Wenn Antonio einen Heimflug gebucht hat, wollte er bestimmt nicht mit leeren Händen in seinem Dorferscheinen. Wir haben aber nirgendwo eine solche Summe gefunden, weder in seinem Zimmer im Wohnheim noch auf seinem Sparkassenkonto.«
Mithilfe eines Faltblattes, das über E-Commerce aufklärte undvor Phishing warnte, bugsierte er den Fliegenkadaver aus dem geöffneten Fenster. Imogen nagte gedankenverloren an ihrer Unterlippe.»Dann sollten wir uns genau ansehen, mit wem Antonio zuletzt telefoniert oder gemailthat … Vielen Dank, Vater Jungklaus, Sie haben uns sehr geholfen!«Die beiden gaben sich länger als nötig die Hand und der Pfarrer ließ es sich nicht nehmen, Imogen zum Gemeindebasar nächsten Sonntag einzuladen.Kopecnik bedankte sich zerstreut bei Yvonne, die hereinplatzte, um die ausgedruckten Mails und Telefonverbindungenvon Antonio Faneva zu übergeben.Er breitete die Papiere auf der Fensterbank aus und gab vor, sich eingehend damit zu beschäftigen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Imogen und Jungklaus angeregt plaudernd das Zimmer verließen.
Kurz darauf musste die zweite Fliege dran glauben.
> [Unheilige Wasser 1]
Imogen war hinter ihn getreten und beugte sich zum Monitor. An sich schlecht für Kopecniks Konzentration, denn sie roch gut.
»Pfarrer Jungklaus hat vorhin noch mal angerufen«, sagte Imogen wie nebenher, während sie mit einem lässigen Schwung die Haare aus der Stirn nahm und mit einer Spange zusammenfasste.»Er kommt gleich auf’s Revier. Haben wir noch Kaffee?«
Pfarrer Jungklaus stand, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, vor einem der Fenster. Kopecnik hätte um eine neue Kaffeemaschine gewettet, dass Jungklaus um den Eindruck wusste, den seine V-förmige Silhouette machte, die von der Soutane geradezu umschmeichelt wurde.Mit mehr Lärm, als nötig gewesen wäre, stellte er das Tablett mit den drei Cappuccinotassen, Zucker und Keksen auf dem Besprechungstisch ab.
Jungklaus drehte sich erfreut um und nahm mit einer eleganten Bewegung Platz, wobei er den feinen Duft von »Acqua di Parma« verströmte.»Ich weiß leider nicht, wo mir heute Mittag der Kopf stand«, begann er.
Imogen lächelte freundlich und reichte den Zucker.
»Der Tote war mir persönlich bekannt. Vielleicht bringt es Sie weiter, wenn ich Ihnen erzähle, was ich weiß. Viel ist es allerdings nicht.«
Imogen hielt ihm den Keksteller entgegen. Wie Eva dunnemals Adam den Apfel, befand Kopecnik mürrisch. Er nahm sich einen Stuhl, drehte die Lehne nach vorn und setzte sich rittlings darauf. Imogens Lächeln verschwand, der Geistliche schlug in einer nonchalanten Geste ein Bein über das andere.
»Antonio war ein begabter Student. Von seinerHeimatdiözese empfohlen für ein Jurastudium mit Schwerpunkt Kirchenrecht. Er blieb nach der Messe immer noch etwas länger, um zu beten, manchmal gingen wir noch einen Kaffee trinken, sonst schien er nicht viele Bekannte zu haben. Wir haben ein, zwei Mal eine Kollekte für seine Heimatdiözese gemacht. Hauptsächlich, um dringend benötigte Medikamente hinunterzuschicken. Obwohl sich eine schöne Summe ergab, war er mit den ›Almosen‹, wie er es nannte,nicht so recht zufrieden. Ich gab ihm Recht, natürlich bräuchte sein Dorf nachhaltigere Hilfe. Sauberes Wasser, mehr Brunnen, damit Krankheiten wie Bilharziose sich gar nicht erst verbreiten. Sie wissen,um was es sich bei Bilharziose handelt?«
Imogen als erfahrene Tropenreisende nickte, Kopecnik hatte von so einer Krankheit noch nie gehört und wünschte nachträglich, es wäre dabei geblieben. Jungklaus erzählte, wie die im stehenden Wasservon Reisfeldern lebenden Wurmegel sich durch die Fußsohlen von Kindern und Erwachsenen durchbohrten und kopfaufwärts wanderten, wo sie erst zuErblindung, dann zu Hirnschäden und schließlich zum Tod führten.»Bilharziose ist gut zu behandeln, wenn Geld fürArznei da ist«, fuhr Jungklaus fort und faltete anmutig die Hände. »Noch besser ist, man sorgt für keimfreiesund unverseuchtes Wasser. Man bohrt Brunnen, das ist nachhaltige Hilfe, kostet aber eine schöne Stange Geld.«
Kopecnik, der plötzlich Durst bekommen hatte,roch misstrauisch in seine Mineralwasserflasche hinein, bevor er einen nicht sehr großen Schluck davon nahm.
»Antonio hat versucht, Spendengelder im Internet zubeschaffen.« Er schraubte den Verschluss der PETFlasche wieder zu. »Laut seiner Browser-History war er in einem dieser politischen Diskussionsforen aktiv. Unter dem Pseudonym waterman sind an die 400 Beiträge verzeichnet. Ich hab mir vorhin mal sein Notebook angeschaut.«
Imogen schürzte die Lippen. »Wollten wir das Notebook nicht von Yvonne untersuchen lassen?«
Yvonne hatte Informatik studiert und gehörtezu Henks Team. Kopecnik ließ sich nicht irritieren.Immerhin bildete er sich in seiner Freizeit kontinuierlich im PC-Bereich fort. Pfarrer Jungklaus wählte mit spitzen Fingern einen weiteren Keks aus. »Er war sehr enthusiastisch.Das Internet bringe die Menschen guten Willens zusammen, einer der Moderatoren des Forums hätteaufgrund von Antonios Schilderungen über dieZustände in den madegassischen Dörfern – Kinder,die an Cholera und Bilharziose sterben – eine private Initiative im Internet ins Leben gerufen, um Geld für Brunnen zu sammeln. Ich habe eine Tombola beim nächsten Gemeindebasar vorgeschlagen, aber …«, er zuckte mit den Schultern, »Antonio schien völlig überzeugt von diesem Internetforum. In kurzer Zeitwaren an die 10.000 Euro zusammen gekommen. In ein paar Tagen wollte er Heimaturlaub machen, und jetzt das! Gott sei seiner armen Seele gnädig!«
Bei den letzten Worten senkte Imogen pietätvoll den Blick, Kopecnik jedoch sprang auf und lief genervt zum Fenster, um eine dagegensummende Fliege zu erschlagen.
Dann wandte er sich wieder an Jungklaus.»Wenn Antonio einen Heimflug gebucht hat, wollte er bestimmt nicht mit leeren Händen in seinem Dorferscheinen. Wir haben aber nirgendwo eine solche Summe gefunden, weder in seinem Zimmer im Wohnheim noch auf seinem Sparkassenkonto.«
Mithilfe eines Faltblattes, das über E-Commerce aufklärte undvor Phishing warnte, bugsierte er den Fliegenkadaver aus dem geöffneten Fenster. Imogen nagte gedankenverloren an ihrer Unterlippe.»Dann sollten wir uns genau ansehen, mit wem Antonio zuletzt telefoniert oder gemailthat … Vielen Dank, Vater Jungklaus, Sie haben uns sehr geholfen!«Die beiden gaben sich länger als nötig die Hand und der Pfarrer ließ es sich nicht nehmen, Imogen zum Gemeindebasar nächsten Sonntag einzuladen.Kopecnik bedankte sich zerstreut bei Yvonne, die hereinplatzte, um die ausgedruckten Mails und Telefonverbindungenvon Antonio Faneva zu übergeben.Er breitete die Papiere auf der Fensterbank aus und gab vor, sich eingehend damit zu beschäftigen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Imogen und Jungklaus angeregt plaudernd das Zimmer verließen.
Kurz darauf musste die zweite Fliege dran glauben.
> [Unheilige Wasser 1]
ElsaLaska - 6. Sep, 10:44
Ich freu mich schon auf den nächsten Teil...