In die Kirche "reinstoffeln"
Ich sehe mir leidenschaftlich gerne Kirchen an und gehöre zu denjenigen, die darauf achten, dass alles bedeckt ist, was bedeckt sein sollte, ihr Handy dreimal checken, ob es auch wirklich aus ist, natürlich kein Eis mitreinnehmen, also Dinge, die eigentlich selbstverständlich sind, die aber immer per Verbotsicon nochmal am Kirchenportal stehen, wenn es eine berühmtere Kirche ist, wo ich mich immer frage, wieso das eigentlich nötig ist. Bzw. den Umstand beklagen, dass man überhaupt Grundlegendes via Verbotsicon vermitteln muss. Ich dämpfe meine Stimme, ich trete nicht hart auf und lasse nicht die Absätze knallen, ich versuche, die Leute, die diese Kirche aus anderen Gründen als ich betreten, auf keinen Fall zu stören. Weil ich selbst nicht gerne gestört werde. Und falls ich dochmal etwas zu schwungvoll in einen heiligen Raum platzen sollte, dann hilft es, einfach die katholische Sitte kurz zwischenzuschalten, zwei (oder drei) Finger mit Weihwasser zu benetzen und ein Kreuz zu schlagen, um sich klar zu machen, dass man hier nicht wie unter vollen Segeln den öffentlichen Raum einer Kneipe betritt, sondern einen Ort des Gebets und der Besinnung.
Als ich noch evangelisch war, habe ich das immer als Unstimmigkeit bei uns empfunden: Natürlich ist es bequemer und geht schneller, wenn man rein- und dann wieder rausstürmt. Aber es wird eben der Qualität des Ortes nicht gerecht. Den Ort stört das vielleicht weniger, aber für mich selbst sind diese paar Sekunden innehalten mittlerweile wichtig geworden.
Genauso wichtig, wie vor dem Besuch einer Moschee die Schuhe auszuziehen oder vor dem Eintritt in das heilige Gelände eines balinesischen Tempels eine Glocke zu läuten - damit (und diese Vorstellung finde ich ganz bezaubernd) - Gott aufwacht.
Manchmal ist aber nicht einmal mehr das äußere Zeichen notwendig, und diese Ausnahme ist mir heute begegnet.
Im Speyerer Kaiserdom war die Hölle los, um es mal so auszudrücken. Tausend Besucher, ein Führer, der ins Mikro sprach, Hektik, Geschiebe, lautes Blabla. Ich war erschöpft und machte mich auf den Weg in das Kloster St. Magdalena, wo Edith Stein gelehrt hat. Angenehme Leere auf dem Gelände, obwohl doch heute lt. Kalender der katholischen Kirche ihr Gedenktag war. Gut so!
Kurz bevor ich die Türe öffne, lese ich: Anbetungskirche. Hinter der Türe das Schild: Bitte um Stille. Anbetung. Die Schwestern dort sitzen Tag und Nacht vor der Gegenwart der gewandelten Hostie, also dem Leib Christi, und beten. Sie wechseln sich natürlich ab. Die Stimmung in diesem Kirchenraum war einmalig. Nicht, dass man zurückprallte vor all der Andacht und Sammlung, nein, man lief wie gegen eine nachgiebige, empfängliche Wand aus massivem Gebot: Hier ist alles anders und doch von dieser Welt. Dass ich nicht eine Uhr zückte und nachschaute, ob die Zeit vielleicht stillsteht, war alles. Es war nicht der Vorsatz, hier möglichst nicht zu stören, es war die schiere Präsenz von Meditation und andauerndem Gebet, die machte, dass man sich in Zeitlupe bewegte und still wurde. Ich habe es meinen Begleitern angesehen, die gar nicht wussten, was da vor sich ging, die aber mit einem Mal ganz ruhig wurden, als würden sie ihre Alltagshülle abstreifen. Hier war nicht nur heiliger Raum und heilige Zeit, hier war ein Stück Ewigkeit versetzt in drei Dimensionen, ganz ohne Verzerrung und Hintergrundstrahlung. Ich hatte diese Kirche zwar nachlässigerweise betreten, ohne mich zu bekreuzigen. Aber ich wusste, ich würde sie erst gar nicht verlassen können, ohne es zu tun.
Als ich noch evangelisch war, habe ich das immer als Unstimmigkeit bei uns empfunden: Natürlich ist es bequemer und geht schneller, wenn man rein- und dann wieder rausstürmt. Aber es wird eben der Qualität des Ortes nicht gerecht. Den Ort stört das vielleicht weniger, aber für mich selbst sind diese paar Sekunden innehalten mittlerweile wichtig geworden.
Genauso wichtig, wie vor dem Besuch einer Moschee die Schuhe auszuziehen oder vor dem Eintritt in das heilige Gelände eines balinesischen Tempels eine Glocke zu läuten - damit (und diese Vorstellung finde ich ganz bezaubernd) - Gott aufwacht.
Manchmal ist aber nicht einmal mehr das äußere Zeichen notwendig, und diese Ausnahme ist mir heute begegnet.
Im Speyerer Kaiserdom war die Hölle los, um es mal so auszudrücken. Tausend Besucher, ein Führer, der ins Mikro sprach, Hektik, Geschiebe, lautes Blabla. Ich war erschöpft und machte mich auf den Weg in das Kloster St. Magdalena, wo Edith Stein gelehrt hat. Angenehme Leere auf dem Gelände, obwohl doch heute lt. Kalender der katholischen Kirche ihr Gedenktag war. Gut so!
Kurz bevor ich die Türe öffne, lese ich: Anbetungskirche. Hinter der Türe das Schild: Bitte um Stille. Anbetung. Die Schwestern dort sitzen Tag und Nacht vor der Gegenwart der gewandelten Hostie, also dem Leib Christi, und beten. Sie wechseln sich natürlich ab. Die Stimmung in diesem Kirchenraum war einmalig. Nicht, dass man zurückprallte vor all der Andacht und Sammlung, nein, man lief wie gegen eine nachgiebige, empfängliche Wand aus massivem Gebot: Hier ist alles anders und doch von dieser Welt. Dass ich nicht eine Uhr zückte und nachschaute, ob die Zeit vielleicht stillsteht, war alles. Es war nicht der Vorsatz, hier möglichst nicht zu stören, es war die schiere Präsenz von Meditation und andauerndem Gebet, die machte, dass man sich in Zeitlupe bewegte und still wurde. Ich habe es meinen Begleitern angesehen, die gar nicht wussten, was da vor sich ging, die aber mit einem Mal ganz ruhig wurden, als würden sie ihre Alltagshülle abstreifen. Hier war nicht nur heiliger Raum und heilige Zeit, hier war ein Stück Ewigkeit versetzt in drei Dimensionen, ganz ohne Verzerrung und Hintergrundstrahlung. Ich hatte diese Kirche zwar nachlässigerweise betreten, ohne mich zu bekreuzigen. Aber ich wusste, ich würde sie erst gar nicht verlassen können, ohne es zu tun.
ElsaLaska - 10. Aug, 00:19








































Es ist ein strahlender, warmer Donnerstag, und bei der Auffahrt zum Volto-Santo-Heiligtum fallen die vielen Fahnen in gelb und weiß auf, auch das Willkommensplakat für Il Papa Benedetto, der Manoppello am 1. September besucht hatte, spannt sich immer noch über die Straße. Der Platz vor der Kirche ist wie leer gefegt, die Türen der Kirche verschlossen.
Ich spreche eine Nonne an, sie erklärt mir, dass um drei Uhr geöffnet wird. Um die Zeit zu überbrücken, frage ich in der direkt neben dem Santuario gelegenen Bar (mit Restaurant und Hotel), ob es Mittagessen gäbe. Hinten im Speisesaal, meint der padrone, wenn der Hund klein ist, kann er mit rein. Nach Betrachtung des draußen wartenden nicht allzu kleinen Hundes lädt er mich ein, an einem der Tische gegenüber der Bar zu essen, für den Speisesaal ist Rasul definitiv zu groß. Karte gibt es keine, auch kein Menu zur Auswahl, das Interieur wirkt wie eine italianisierte Ostblockversion, aber das Essen ist wundervoll. Pasta mit ragù, und als Hauptgang einen gebackenen Hühnerschlegel mit knusprig gerösteten Kartoffeln, grüner Salat. Die abruzzesi draußen vor dem Fenster führen sich derweil Grappa zu Gemüte. Eigentlich jeder Einheimische der ankommt, trinkt Grappa (nicht dass das heißen soll, da stürzen nur Trunkenbolde herum, die sind alle nüchtern und der Barjunge, der mich nach Rasuls Rasse fragte, ist draußen der Held - er kann jetzt jedem erzählen, dass das ein türkischer Hirtenhund ist). Deshalb kriege ich nach dem Essen auch einen Ramazotti von ihm spendiert. Was sehr lieb ist. "Arrividertsch", sagt er zum Schluss (es klingt SEHR ungewohnt, dieser Dialekt). Deutsche und österreichische Pilger kommen gesättigt aus dem Saal, eine italienische Truppe trifft ein, draußen stehen jetzt drei Reisebusse. Und es ist drei Uhr. Ein Kapuziner öffnet die rechte Pforte.
Auf der einen Seite ist das Antlitz mit Folterspuren völlig identisch abgebildet wie auf der anderen - mit nur einem Unterschied: dass der Mund geschlossen wirkt. Steht man hinter dem Altar und betrachtet die andere Seite, so ist der Mund leicht geöffnet. Nahaufnahmen habe ich keine gemacht, es gibt genug davon im Internet.
Die italienische Truppe, mit der ich hinauf gehe, ist geschäftig, teilweise wird laut gebetet. Eine Frau berührt mit den Fingerspitzen das Glas und führt sie dann zum Mund, um sie zu küssen. Eine andere öffnet ihre Börse, fängt an nach Geld zu suchen und stopft es in den Opferschlitz unter der Vitrine. Wie immer in Italien ist der Umgang mit dem Wunderbaren und Ehrfurchtgebietenden eine durchaus handfeste Sache. Womit ich aber nicht sagen will, sie seien respektlos gewesen. Einige knien auch nieder, ein Greis mit Stock wird von seiner Enkelin an dem Gnadenbild vorbeigeführt. Ich selbst schaue lange und forschend in dieses Gesicht. Es ist wahr, auf den Fotos wirkt es gemalt, was es, nach den bisherigen Ergebnissen nicht sein kann. Ich selbst war bis heute davon überzeugt, dass es gemalt sein muss, vielleicht mit einer geheimen, unerklärlichen Technik. So schaue und schaue und schaue ich, das durchsichtige Glas der Vitrine wird schwarz, immer schwärzer, als schaute ich in eine Grabkammer und plötzlich verändert sich der Eindruck: Es wirkt absolut wie eine Fotografie, die jemand statt in Schwarz-Weiß oder Farbe in SEPIA gemacht hat. Der Moment geht vorüber, aber er soll mich die ganze Heimfahrt noch beschäftigen.
Ein schöner, erlebnisreicher und inspirierender Tag ist zu Ende. Ich lasse ihn mit einem Glas Prosecco ausklingen und hoffe, ich konnte euch ein bisschen teilnehmen lassen an meinem Tag - in den italienischen Abruzzen und beim "Wahren Antlitz Jesu".




