Höhepunkt bei der Kerwe in meiner Kindheit. Die Schifferschaukel. Kennt das überhaupt noch jemand? Wir hatten es beim Abendessen davon, dass es lange Zeit die Attraktion überhaupt war. Natürlich will heute niemand mehr so eine schiffförmige Gondel selbst in Gang setzen, und außerdem knallte, blitzte, leuchtete und schepperte es nicht. Es gab wohl einen Monolautsprecher über dem Gestänge, das war alles. Man zahlte kaum Geld, stieg ein und der Schausteller gab dem Ding einen kräftigen Schubs, woraufhin die Väter oder Ehemänner sich an zwei Streben festhielten und mittels tiefem In-die-Knie-Gehen und Sich-wieder-Hochziehen die Gondel in Fahrt brachten - manche tollkühnen sogar bis zum Überschlag um die Aufhängungsstange herum. Die Damen versuchten, möglichst anmutig sitzen zu bleiben und zuverlässig gesund auszusehen.
Ist es eigentlich möglich, dass Ende der 80er Jahre Geborene irgendwann von diesen Höllenmaschinen nostalgisch schwärmen, die seit den 90ern auf den Kerweplätzen ausschließlich anzutreffen sind, und bei denen man nichts weiter machen muss, als sich anzuschnallen und zu kotzen?
ElsaLaska - 10. Aug, 23:32
ich habe ein Faible für die Verbindung von religiöser Tradition und Moderne. Dabei geht es nicht nur um die katholische Kirche, sie bietet sich zwar an, weil sie halt lässigere 1500 Jahre älter ist als unsere andere, nein, auch die Juden haben sich da tolle Sachen einfallen lassen. Da gibt es ein Institut für Halacha, das ausschließlich dafür zuständig ist, das 21. Jahrhundert und seine Errungenschaften irgendwie auf die Gebote für orthodoxe Juden zu deckeln, die zum Beispiel strikt den Sabbat ehren wollen. Schönes Beispiel: Ein orthodoxer Jude dürfte eigentlich keinen Lichtschalter betätigen: Durch das Vervollständigen des Stromkreislaufes, der vorher unterbrochen war, entsteht ARBEIT, und Arbeit ist am Schabbes verboten. Deshalb gibt es einen koscheren Stromschalter: Er beinhaltet eine Störung. Drückt man den Lichtschalter, behebt man die Störung, was wohl, nach Auffassung der Rabbis, nicht als Arbeit gilt. Also darf man ihn auch am Schabbes drücken. (Falls Rabbis mitlesen, bitte korrigieren, ich fasse das nur so oberflächlich zusammen und habe vielleicht nicht alles verstanden.)
An solchen Spitzfindigkeiten habe ich meine helle, uneingeschränkte Freude.
Aber zurück zu den Katholiken, die sich für den Papstbesuch in Mariazell was haben einfallen lassen: Einen Handyservice. Man kann sich den Papst als Hintergrundbild fürs Handy runterladen, Glockengeläute als Klingelton und Choralgesänge von Mönchen. Außerdem kann man Papstworte bzw. Zitate aus den Werken des Papstes aufs Handy abonnieren.
Zu schade, dass ich mein Handy ausschließlich zum Fotografieren benutze.
Hier der Link zum Service.
ElsaLaska - 10. Aug, 23:09
am Pegelstand Maxau, dort ist, direkt unter der Rheinbrücke, eine Staumauer mit Schutzwand. Ich kann mich noch daran erinnern, wenn Hochwasser war, als Kind, sind wir oft hin und Papa hat mich hochgehoben und auf die Mauer gesetzt, damit ich den Rhein sehen konnte. Heute mussten Mama und ich auf Steinplatten steigen, um drübersehen zu können. Gegenüber auf der badischen Seite stehen die Ü-Wägen der Fernsehsender. Der Fluss ist hoch und gelb von der Ackererde, die er gestohlen hat und mit sich forträgt. Es gießt weiter wie aus Kannen und Kübeln.
Natürlich sind Schaulustige vor Ort, aber ich empfinde das nicht als Katastrophensucht. Wir haben immer schon mit dem Fluss gelebt, meine Mama sogar vor dem Krieg direkt dort am Ufer, der Vater meines Großvaters war Brückenwart. Schon immer haben wir uns versammelt, wenn Hochwasser war oder Deichbruch drohte, um dem Fluss ins geschwollene Angesicht zu blicken und ihm zu zeigen, dass wir auch noch da sind und es uns mit ihm, trotz ihm und auch, dank ihm, gibt.
ElsaLaska - 10. Aug, 16:20
Ich sehe mir leidenschaftlich gerne Kirchen an und gehöre zu denjenigen, die darauf achten, dass alles bedeckt ist, was bedeckt sein sollte, ihr Handy dreimal checken, ob es auch wirklich aus ist, natürlich kein Eis mitreinnehmen, also Dinge, die eigentlich selbstverständlich sind, die aber immer per Verbotsicon nochmal am Kirchenportal stehen, wenn es eine berühmtere Kirche ist, wo ich mich immer frage, wieso das eigentlich nötig ist. Bzw. den Umstand beklagen, dass man überhaupt Grundlegendes via Verbotsicon vermitteln muss. Ich dämpfe meine Stimme, ich trete nicht hart auf und lasse nicht die Absätze knallen, ich versuche, die Leute, die diese Kirche aus anderen Gründen als ich betreten, auf keinen Fall zu stören. Weil ich selbst nicht gerne gestört werde. Und falls ich dochmal etwas zu schwungvoll in einen heiligen Raum platzen sollte, dann hilft es, einfach die katholische Sitte kurz zwischenzuschalten, zwei (oder drei) Finger mit Weihwasser zu benetzen und ein Kreuz zu schlagen, um sich klar zu machen, dass man hier nicht wie unter vollen Segeln den öffentlichen Raum einer Kneipe betritt, sondern einen Ort des Gebets und der Besinnung.
Als ich noch evangelisch war, habe ich das immer als Unstimmigkeit bei uns empfunden: Natürlich ist es bequemer und geht schneller, wenn man rein- und dann wieder rausstürmt. Aber es wird eben der Qualität des Ortes nicht gerecht. Den Ort stört das vielleicht weniger, aber für mich selbst sind diese paar Sekunden innehalten mittlerweile wichtig geworden.
Genauso wichtig, wie vor dem Besuch einer Moschee die Schuhe auszuziehen oder vor dem Eintritt in das heilige Gelände eines balinesischen Tempels eine Glocke zu läuten - damit (und diese Vorstellung finde ich ganz bezaubernd) - Gott aufwacht.
Manchmal ist aber nicht einmal mehr das äußere Zeichen notwendig, und diese Ausnahme ist mir heute begegnet.
Im Speyerer Kaiserdom war die Hölle los, um es mal so auszudrücken. Tausend Besucher, ein Führer, der ins Mikro sprach, Hektik, Geschiebe, lautes Blabla. Ich war erschöpft und machte mich auf den Weg in das Kloster St. Magdalena, wo Edith Stein gelehrt hat. Angenehme Leere auf dem Gelände, obwohl doch heute lt. Kalender der katholischen Kirche ihr Gedenktag war. Gut so!
Kurz bevor ich die Türe öffne, lese ich: Anbetungskirche. Hinter der Türe das Schild: Bitte um Stille. Anbetung. Die Schwestern dort sitzen Tag und Nacht vor der Gegenwart der gewandelten Hostie, also dem Leib Christi, und beten. Sie wechseln sich natürlich ab. Die Stimmung in diesem Kirchenraum war einmalig. Nicht, dass man zurückprallte vor all der Andacht und Sammlung, nein, man lief wie gegen eine nachgiebige, empfängliche Wand aus massivem Gebot: Hier ist alles anders und doch von dieser Welt. Dass ich nicht eine Uhr zückte und nachschaute, ob die Zeit vielleicht stillsteht, war alles. Es war nicht der Vorsatz, hier möglichst nicht zu stören, es war die schiere Präsenz von Meditation und andauerndem Gebet, die machte, dass man sich in Zeitlupe bewegte und still wurde. Ich habe es meinen Begleitern angesehen, die gar nicht wussten, was da vor sich ging, die aber mit einem Mal ganz ruhig wurden, als würden sie ihre Alltagshülle abstreifen. Hier war nicht nur heiliger Raum und heilige Zeit, hier war ein Stück Ewigkeit versetzt in drei Dimensionen, ganz ohne Verzerrung und Hintergrundstrahlung. Ich hatte diese Kirche zwar nachlässigerweise betreten, ohne mich zu bekreuzigen. Aber ich wusste, ich würde sie erst gar nicht verlassen können, ohne es zu tun.
ElsaLaska - 10. Aug, 00:19