Literarisches Blog
"Stichi o prekrasnoj dame" - Lieder von der schönen Frau von Aleksander Blok:
"Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam, der Freund aber des Bräutigams stehet und höret ihm zu und freut sich hoch über des Bräutigams Stimme" Joh 3, 29
Ein Jüngling, steck ich an die Kerzen,
Bewahr des Weihrauchs Feuerglut.
Am andern Ufer klingt ihr Scherzen
Gedankenlos und frohgemut.
Ich lieb die Andacht bei der Kirche
Am Flusse, bricht der Abend ein,
Das späte Dorf im letzten Lichte,
Den bläulich-trüben Dämmerschein.
Mich bannt das Auge voller Güte,
Ich staun der Schönheit Rätsel an
Und werfe meine weißen Blüten
Am weißen Kirchlein himmelan.
Es fällt der nebeldichte Schleier
Der Bräutigam vom Altar geht,
Und von den Zickzackhöhn der Wälder
Das hochzeitliche Frührot weht.
7. Juli 1902
Aleksander Blok
ElsaLaska - 15. Sep, 20:00
an Leonid Andrejeev:
"Andreev wohnte auf dem Kamennoostrovskij Prospekt, in einem schrecklich düsteren Haus: Riesige, verwinkelte Zimmer, ein Erker, und die Fenster dieses Erkers gingen in die Richtung der Insel und des Finnländischen Bahnhofs hinaus. Du trittst ans Fenster und die Kette der Erker auf dem Kammenoostrovskij verliert sich in der nebligen Weite. Leonid Andreev, der im Schriftsteller Leonid Nikolajewitsch lebte, war unendlich einsam, nicht anerkannt und immer hielt er das Gesicht zum schwarzen Loch des Fensters hin.
Durch dieses Fenster trat ihm in schwarzer Maske sein letzter Gast entgegen - es war der Tod."
(eigene Übersetzung)
ElsaLaska - 15. Sep, 15:49
Wie schwarze Märzenbecher stehen deine Augen
gütig und verkehrt doch aufmerksam
so fallen alle deine Blicke durstig wie auf Trauben
die niemand schnell noch in die Kelter fährt.
An dich denken heißt die Eingeweide schmerzen
voll Destillat von Weißen Nächten allesamt
die haben schon ein Schneeglöckchenjahrzehnt verbrannt.
Fern wie der Winterpalast aller Zaren und heilig
wie eure Ikonostasen so weht dein Geist mich an
ich bete und ich bitte:
Heb die Brücken von St. Piter an in ihrer Mitte
dass ich darüber gehen kann!
ElsaLaska - 13. Sep, 03:27
aus romanistischer Sicht ...
"Als besonders paradox anmutendes und dennoch typisches Opfer jener seit Jahrhunderten funktionierenden Verdrängungsleistung [nämlich dass das spanische Kulturleben im 16. und 17. Jh. eigentlich von "conversos" getragen wurde] enthüllt sich der heutigen Forschung zunehmend das literarische Werk der spanischen Nationalheiligen und Kirchenlehrerin Teresa von Avila (1515-1582); nach und nach ersteht diese selbst als eine der herausragenden Frauengestalten der europäischen Geschichte und [...] eine der ganz wenigen mit den Wissenssystemen ihrer Zeit vertrauten Schriftstellerinnen, die ihre Souveränität (zumindest eine Zeitlang) gegen die Arroganz männlicher Herrschaftsautorität zu behaupten vermochten. Verschwiegen wurde nämlich nicht nur, dass diese Identifikationsfigur hispanischer Weiblichkeit selbst dem jüdischen Bürgertum Toledos, das sich durch Konversion der Exilierung entzogen hatte, entstammte und folglich maßgeblich von dessen, inzwischen spiritualistisch gewendeter Kultur der "inneren Emigration" geprägt wurde, sondern ebenso, dass ihre Genese als Schriftstellerin aufgrund dieser Herkunft unweigerlich nur über tiefgreifende psychische und religiöse Konflikte vonstatten gehen konnte. [...]
Seit ihrer Heiligsprechung im Jahre 1622 wurde die eigentlich leicht als strategische List zu durchschauende, simulierte Naivität ihrer Sprache als Zeichen weiblicher Unbildung missverstanden und die Vehemenz ihrer ekstatischen Rhetorik zur Idylle verklärt, was es andererseits der vorwissenschaftlichen Neurosenlehre des frühen 19. Jhs. erleichterte, die extrem poetischen Erfahrungsfiguren in diesem Werk zu pathologischen Artikulationen weiblicher Hysterie zu verfälschen. [!!!]
[...]
Dem Wagnis ihrer Überschreitung der durch dogmatische Diskurse, durch Sprach- und Imaginationsverbote gezogenen Grenzen verdankt sich desgleichen auch in ihren übrigen Werken jene metaästhetische Illuminationserfahrung, die sich Jahrhunderte später in den Lichtkonzepten der radikalsten poetischen Neuerer der Moderne: Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé, Breton, usw. wiederfinden wird. Indem sich Teresas poetische Subjektivität über ihre Liebes-Meditation Zutritt verschafft zu den archaischen Territorien des biblischen Orients, die zu betreten ihr als Frau und Nachfahrin von Sepharden verwehrt ist, erobert sie sich jene metadiskursiven Paradiese zurück, die den Ursprungsort jeglicher Kunst anzeigen. Es ist an der Zeit, sich der von der Geschichte verschütteten Wege zu dieser Illumination neu zu versichern."
André Stoll: Die poetischen Paradiese des Ichs. Teresa von Avilas "Von der Liebe Gottes". Beltz Athenäum, 1994. Auszüge aus dem Vorwort.
ElsaLaska - 11. Sep, 22:32
zum Band mit Erzählungen von L. Andreev:
"Andrejews Judas-Version ist keine bloße Korrektur des kanonischen Bildes, keine bloße Verkehrung des Evangeliums - die Frage Verrat bot sich nach dem Scheitern der Revolution von 1905 ohnehin an -, sondern vor allem eine konsequente Absage an die Dogmen der christlichen Religion [sic!]. Seine Auflehnung gegen Gott und die festgefügten Normen der Gesellschaft erreicht in der literarischen Auseinandersetzung mit der Schüsselerzählung "Meine Aufzeichnungen" einen Höhepunkt; selten wurden die ewigen Fragen der Menschheit ungeduldiger, quälender und provokativer diskutiert. Seiner Humanismuskonzeption entsprechend, sieht Andrejew die geschichtlichen Ereignisse allerdings kaum in ihrem komplexen, gesellschaftlichen Zusammenhang, den Menschen weniger in seinem sozialen Kontext."
ElsaLaska - 11. Sep, 14:33
... Judas schwieg eine Weile, dann fielen aus seinem Mund, eins nach dem anderen, schwere Worte, erfüllt von Trauer und Zorn:"Warum liebt Er mich nicht? Warum liebt Er jene? Bin ich nicht schöner, nicht besser, nicht stärker als sie? Habe ich Ihm nicht das Leben gerettet, während jene flohen, sich krümmend wie feige Hunde?"
"Mein armer Freund, du hast nicht ganz recht. Du bist durchaus nicht schön, und deine Worte sind ebenso abstoßend wie dein Gesicht. Ständig lügst und lästerst du, wie kannst du verlangen, dass Jesus dich liebt?"
Doch als hätte er ihn nicht gehört, fuhr Judas fort, sich im Dunkeln auf seinem Lager wälzend. "Warum hält Er nicht zu Judas, sondern zu jenen, die Ihn nicht lieben? Johannes hat Ihm eine Eidechse gebracht - ich würde Ihm eine giftige Schlange bringen. Petrus hat Steine geworfen - ich würde für Ihn einen Berg versetzen!
Aber was ist schon eine giftige Schlange? Ist ihr der Zahn herausgebrochen, kann man sie wie eine Schmuckkette um den Hals legen. Aber was ist schon ein Berg, den man mit den Händen abtragen und mit den Füßen zerstampfen kann?
Ich würde Ihm Judas geben, den kühnen, schönen Judas! Nun aber wird Er umkommen, und mit Ihm Judas!"
...
ElsaLaska - 8. Sep, 21:04
Was lesen die Benediktinermönche von St. Ottilien eigentlich bei Tisch? Bzw. was wird verlesen?
Obwohl ich mir diese Frage in meinem ganzen Leben noch nie gestellt habe, fand ich die Idee,
die Tischlesungen online zu stellen, richtig gut. Vor allem, weil ein interessant aussehendes Buch über die Amishen dabei ist.
Und wo ich grad dran, möchte ich gleich auf die
Seiten von Siegfried, dem Klosterbibliothekar hinweisen, der auch ein
Blog führt.
ElsaLaska - 6. Sep, 21:11
für deine schlangen hatte ich milch
wie ich deinen bastarden die brüste reichte.
immer habe ich deine füße gewaschen
und jetzt ist staub in meinem haar
du hast meine alabastertöpfe zerbrochen.
nach deinen boten hielt ich ausschau
am morgen am mittag am abend
und in der nacht befeuerte ich leuchttürme.
all deine sehnigen krieger erprobten sich
nach heißen waffengängen in meinem kalten bett.
es geht ans hassen nun mein freund
für deine schlangen habe ich noch milch.
ElsaLaska - 29. Aug, 00:21
Das Meer steht wie ein Siegel am Horizont, so blau wie eine Scherbe von salzglasiertem Steingut.
ElsaLaska - 21. Aug, 14:18
wohin auch immer du deine schritte setzt
der staub an deinen füßen ist Heiliges Land
und wo du ruhst da wachsen harfen in den weiden.
mit perlenhänden weißt du pfauen zu zähmen
die wild sind vor liebe und schmerz.
und mit sicherem auge und harter brust
spannst du den bogen gegen deine feinde.
in jener nacht sah ich dich knien im Palast
vor Königen, Fürsten und Ministern
stolz dein gehabe, so prächtig dein gefolge.
doch deinen nacken beugtest du demütig erst
um den segen eines zahnlosen bettlers.
ElsaLaska - 21. Aug, 01:15