Hl. Maria Magdalena
Zuerst erschienen im Vatican-Magazin Ausgabe April 2012.
Die Vollblutfrau, die den Erlöser liebte. Kronzeugin des Osterereignisses: Die Geschichte von Jesus und Maria von Magdala.
Von Barbara Wenz
An dieser Frau haben sich wie an keiner anderen der Weltgeschichte die Phantasie und Kreativität der Künstler und Geschichtenerzähler entzündet. Maria Magdalena – ein wahres Geschenk an Maler, Bildhauer und Schriftsteller – je nach Geschmack der Zeit ätherisch oder üppig-prall dargestellt, immer mit wallendem Haar, oft über die bloßen Füße des Herrn geschmiegt, unterm Kreuz kniend, dabei wie emporgezogen zu ihm, der da zum Greifen nahe hängt, und doch ihrer verzehrenden Liebe auf ewig entrückt.
Was erfahren wir aus den Evangelien über diese faszinierende Frau und ihr Verhältnis zu Jesus Christus? Nicht sehr viel, aber es reichte aus, um die Vorstellungskraft gewaltig zu befeuern. Bei Lukas, dem Arzt und besonderen Freund der Frauen, die Jesu nachfolgten, ist nachzulesen, dass Er sie durch einen Exorzismus heilte: Sieben Dämonen seien aus ihr ausgefahren. Ihr Name wird ausdrücklich bei den drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas genannt unter den Frauen, die Jesus und seine Jünger begleiteten und mit ihrem Vermögen unterstützten. Sie gehörte auch zu jenen Frauen, die treu unter dem Kreuze ausharrten. Eine, die von der Jesus-Bewegung erfasst und begeistert war, könnte man nach dem bisherigen Stand der Sichtung sagen. Wäre da nicht diese traumschöne Passage bei Johannes, in der sie als erster Mensch überhaupt dem Auferstandenen begegnet und dadurch zur Kronzeugin, zur Apostelin der Apostel, für das Osterereignis wurde.
Obwohl die Kirche diesen herausragenden Umstand, diese auszeichnende Hervorhebung von Maria Magdalena vor allen Frauen, die Jesus nahe standen, stets betont hat, geriet er in der Welt in Vergessenheit. Stattdessen gab es immer Versuche, die besondere Liebe der Maria Magdalena zum Gottessohn auf eine körperliche Ebene herab zu ziehen. Vielleicht, weil sich wohl keine erotischere - dabei so keusche - Szene zwischen einem Mann und einer Frau erdenken lässt, als wenn sie ihm die Füße mit ihren Tränen wäscht und danach mit ihren langen Haaren trocknet.
Doch ist die namenlose Sünderin aus Lukas 7,36-50 überhaupt identisch mit Maria aus Magdala? Während die Ostkirche von jeher zwischen ihr, Maria von Bethanien und Maria Magdalena unterscheidet und diese heiligen Frauen mit je eigenen Gedenktagen ehrt, begann die verwirrende Vermischung in der lateinischen Traditionen im siebten Jahrhundert mit Papst Gregor dem Großen. Er setzte die sieben Dämonen, die Jesus aus Maria Magdalena ausgetrieben hat, mit den sieben Hauptlastern gleich und folgerte daher, dass sie vor der Begegnung mit ihrem geliebten Meister in großer Sünde gelebt habe. Deshalb identifizierte er sie mit jener Namenlosen, der Jesus im Hause des Pharisäers Simon ihre Sünden vergeben hat, weil sie so viel Liebe zeigte. Auch Maria von Bethanien, die Schwester der Martha und des Lazarus, salbt die Füße Jesu’ kurz vor seiner Passion mit „echtem, kostbaren Nardenöl“, wie das Johannesevangelium en détail vermerkt, und trocknet sie hernach mit ihrem Haar. Was die griechische Kirche schon immer wusste, ist erst seit rund hundert Jahren in der lateinischen Kirche wissenschaftliches Allgemeingut. Allerdings kann das Phänomen der jahrhundertelangen Vermischung von „verschiedenen Aspekten weiblicher Heiligkeit in einer einzigen Gestalt“ (Manfred Hauke, Professor für Dogmatik und Patrologie) nicht erklären, wie es dazu kommen konnte, dass moderne Märchenerzähler wie Dan Brown in seinem Da Vinci Code über eine Ehe Jesu mit Maria Magdalena fabulieren, aus der Kinder hervorgegangen seien, deren Nachkommen über die Jahrtausende hinweg in einer geheimen Blutlinie die Wahrheit des Göttlich-Weiblichen weitergeben, das eine finstere, klerikalistisch-männerzentrierte Kirche perfide unterdrückt. Dahinter steckt freilich nicht Lust an der Interpretation einer historischen Gestalt, sondern Ideologie. Dan Browns Megaseller mit dem deutschen Titel „Sakrileg“, basiert nicht auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen, es beruht auf gnostischen und esoterischen Spekulationen, die wiederum dem Sachbuch „Der Heilige Gral und seine Erben“ von Michael Baigent und Richard Leigh entnommen wurde. Selbst wenn man noch so viel geheimnisvollen Verschwörungszauber aufbietet, der übrigens von genügend Theologen, Kunsthistorikern und Historikern widerlegt wurde, bleibt letztlich die Frage, wieso man dem Sohn Gottes und eine derart herausragende Frau wie Maria von Magdala es war, unbedingt die kleinbürgerliche Idylle einer Ehe mit Kindern anhängen will, ausgerechnet in einer Zeit, in der sich in Europa kaum noch jemand für Ehe und Kinderkriegen interessiert. Dieser Umstand birgt wohl ein größeres Mysterium in sich als der Heilige Gral.
Schließlich hätten sich auch die zeitgenössischen heidnischen und jüdischen Polemiken gegen die Christusanhänger dieses gefundene Fressen nicht entgehen lassen: Der Mann, der Gottes Sohn sein soll, verheiratet und Kind? In der Tat wäre dies für einen gewöhnlichen Rabbiner nichts Besonderes gewesen. Außergewöhnlich ist vielmehr, dass Jesus so vehement und mit Nachdruck die Ehelosigkeit verteidigt hat.
Wie könnte die Begegnung zwischen Maria Magdalena und Jesus Christus verlaufen sein? Da ist eine wohlhabende Frau, doch sie wird nicht über ihre Zugehörigkeit zu einem Ehemann beschrieben, sondern mit dem Namen des Ortes, aus dem sie stammt: von Magdala. Als sie Jesus begegnet, ist sie krank, ja mehr noch als das, sie ist von Dämonen besetzt. Sie mag reich und schön gewesen sein, sie mag viele Männer gehabt haben, aber offensichtlich hatte sie niemanden, der sie ehrlich und tief liebte. Sieben Dämonen – ob damit nun Hauptlaster gemeint sind oder nicht – das klingt nach Depression, nach Selbsthass, Sucht nach Anerkennung, vergifteten Beziehungen, nach zu viel sex and drugs and rock’n’roll. Es ist nicht klar, ob sie von sich aus Hilfe bei dem Mann gesucht hat, dessen Ruf als Heiler ihm vorauseilte, oder ob es eine zufällige Begegnung war, die eine spontane Bitte um Hilfe auslöste. Sie mag unsicher gewesen, hochmütig noch in ihrer Verzweiflung, vielleicht zunächst enttäuscht, weil sie ihn sich ganz anders vorgestellt hatte: Der Sohn Gottes war wahrscheinlich nicht unbedingt äußerlich schön, wofür wir Hinweise in der Schrift finden, wie auch bei der Betrachtung der Schleiertuchreliquie von Manoppello. Es sind nicht die Schönen und Perfekten dieser Welt, die unsere Herzen zu öffnen vermögen. Jedenfalls, Er vermag sie Kraft der Liebe Gottes zu heilen – und man hätte gerne den Blick in jener Minute nach ihrer seelischen Befreiung gesehen, mit dem sie auf einmal den Herrn und Erlöser erkennt. Und Seinen Blick auf sie, der ihr mit einem Mal und für immer die selige Gewissheit gibt, in ihrer ganzen Gottesebenbildlichkeit, jenseits ihrer menschlichen Fehler und Verhaftungen, angenommen und zutiefst geliebt zu sein.
Diese übernatürlich gründende Liebe ist es, die für Maria von Magdala bisher unvorstellbar gewesen sein mag. Sie antwortet darauf mit aller Macht, die ihr zur Verfügung steht: der Macht eines glühend und unverbrüchlich liebenden Frauenherzens. Von nun an folgt sie dem Erlöser, wo er geht und steht. Sie wird nicht mehr von ihm lassen, so lange er noch lebt, auch nicht, während er grausam stirbt, und noch über seinen Tod hinaus.
Wie mag sie den folgenden Sabbat, der düsterste der ganzen Menschheitsgeschichte, durchlebt haben? Hat sie gebetet und geweint mit dem kleinen Häuflein Getreuer, das noch übrig geblieben war? Hat sie auch nur eine Stunde schlafen können in der Nacht auf Sonntag? Als die Sonnenscheibe gerade über den Rand der Erde kriecht, hält sie jedenfalls nichts mehr in der Stadt, die ihr den über alles Geliebten so brutal und scheinbar auf ewig genommen hat. Sie eilt voller sehnsüchtiger Verzweiflung hinaus zum Grab. Die Herrschaften Apostel und Jünger schlafen noch – man kennt das ja aus dem Garten Gethsemane. Doch Maria Magdalena hält nichts mehr – sie muss zu Ihm, sie hatte die Stunden gezählt, den ganzen Sabbat lang. Was am Grab dann geschieht, wird am einfühlsamsten und eindringlichsten vom Evangelisten Johannes geschildert.
Sie sieht zunächst, dass der Grabstein weggenommen wurde, mehr nicht, der Morgen dämmert erst noch. Darum läuft sie schnell zu Petrus und Johannes und schlägt Alarm. Jetzt beginnt das Wettrennen, der Wettlauf der beiden Jünger zum Grab. Johannes gewinnt, weil er schneller ist, natürlich auch, weil er über die Kraft der Jugend verfügt, aber er hält inne. Bis der Ältere aufgeholt hat, dem er den Vortritt lässt. Petrus überzeugt sich davon, dass das Grab leer ist, auch Johannes geht jetzt hinein. Maria Magdalena ist ihnen mit einigem Abstand gefolgt. Sie braucht nicht eilen, hasten, laufen. Sie weiß ja schon, dass das Grab offen ist, ihr über alles Geliebter nur geraubt worden sein kann. So setzt sie sich nieder und weint. Sie haben ihn nicht nur getötet, nun haben sie ihn auch noch weggenommen.
Vielleicht ist das der Moment im Leben der Maria Magdalena, dieser Vollblutfrau mit dem Herzen eines Kriegers, in dem sie einfach nicht mehr weiter kann. Basta – es ist genug. Mehr kann sie nicht mehr ertragen.
Da beugt sie sich in das Grab und sieht Engel sitzen. Und diese unverständigen Engel fragen auch noch: „Frau, warum weinst Du?“ Als könnten sie es nicht besser wissen! Das Maß scheint übervoll. „Man hat meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat!“ Wenn jemand jemals imstande war, Engel an der Schulter zu packen und durchzuschütteln, dann wohl diese Frau. Da kommt auch gleich der nächste, der Maria von Magdala verhöhnen will. Es ist der Gärtner.
„Frau, warum weinst Du? Wen suchst Du?“ Es ist zum Verzweifeln! Haben diese Menschen denn auf dem Mond gelebt? Wissen Sie nicht, WER da hingerichtet wurde, während die Erde bebte und der Vorhang im Tempel entzwei riss? Es ist wohl verständlich, wenn Maria von Magdala den vermeintlichen Gärtner nur noch anzukreischen vermag: „Herr! Wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen!“
Man traut es ihr in diesem Moment zu, sie selbst traut es sich zu: Ja, diese Löwin wird den Leichnam ihres Meisters von den letzten Enden der Welt noch holen, um ihn zu betrauern und zu begraben. In diesen, ihren seelischen Furor hinein spricht Er nur ein einziges Wort, ihren Namen: „Maria!“ Sogleich horcht alles in ihr auf, wie sie zeit ihres Lebens niemals aufgehorcht hat. Und in diesem kostbaren Moment erkennt sie ihn. Alle Illusionen fallen ab, alles, was tatsächlich existiert zwischen ihr und diesem Mann, sie gerinnen in einem einzigen Wort: „Rabbuni!“ Und da sinkt sie in die Knie und umfasst seine Füße, so will es die Überlieferung. Er aber sendet sie aus, und sie geht zu den Jüngern und verkündet ihnen die frohe Botschaft: Ich habe den Herrn gesehen. Seither ist ihr Name für immer mit Ostern verbunden. Einem Wunder, das sie danach getan haben soll, verdanken wir den österlichen Brauch des Eierfärbens. Die Legende erzählt, dass die Frau, die den Auferstandenen zuerst erkannte, einmal bei Kaiser Tiberius zu Tische lag. Kein Mensch könne vom Tode auferstehen, soll der Kaiser auf ihre Ausführungen erwidert haben. Ebenso wenig, wie ein schneeweißes Ei – es lag gerade ein hart gekochtes in Reichweite auf der kaiserlichen Tafel – rot werden könne. Maria Magdalena lächelt still. Tiberius belustigt sich über die Schweigende. Sie schenkt ihm einen tiefen Blick - aus Augen, die den Sohn Gottes in seinem Blute sterben sahen. Augen, die den Auferstandenen leibhaftig vor sich gesehen haben. Ein Blick für das Ei, das der grausame Tiberius in seiner Hand hält, und es färbt sich von schneeweiß zu blutrot. Seither gehören gefärbte Eier, ursprünglich nur in der Farbe Rot, am Nordpol wie in der Mongolei, zum Osterfest dazu. Ostern, das ist das Fest der Freude über die Auferstehung, der Freude über den Sieg des Lebens. Doch die erste Osterfreude überhaupt verdankt sich einer leidenschaftlich liebenden Frau: Maria von Magdala.
ElsaLaska - 22. Jul, 11:45
Unangefochten