Assisi und die Eremo delle Carceri
mein Beitrag aus dem Vatican-Magazin Ausgabe August/September 2013. Anlässlich des morgigen Papstbesuches in Assisi und der Eremo delle Carceri heute an dieser Stelle:
Das flammende Siegel des heiligen Ignatius und die Eremo delle Carceri
von Barbara Wenz
Alle Welt strömt in dieses Städtchen, gelegen am dicht bewaldeten Monte Subasio. Nicht nur Christen, auch Hindus, Muslime, Agnostiker sowie Atheisten versammeln sich an dieser eigentümlichen, von den Ruinen einer einstmals wehrhaften Festung gekrönten Stätte. Ja, die gesamte Menschheit scheint magnetisch angezogen von diesem Ort: Dem herrlichen Assisi in Umbrien, der Region Italiens, nach der ein satter brauner Farbton, das Umbra, benannt wurde: Eine Landschaft dunkler Erden, grüner Wälder und lichter Himmel - ein Landstrich der Maler und Mystiker.
Pittoreskes Natursteinmauerwerk winziger Häuschen, großartige Kirchen aus vielerlei Kunstepochen, auf- und absteigende Gässchen, Treppchen, Stiegen. Mittelalterliche Atmosphäre, einen atemberaubenden Panoramablick in die Ebene, die sich unterhalb der Stadt erstreckt – all das findet man auch in anderen italienischen borghi.
Es ist vor allem die prachtvolle Basilika mit der Grabstätte des heiligen Franziskus – dem berühmtesten Sohn der Stadt – und ihren herrlichen Fresken mit Bildern aus dem Leben dieses Troubadour Gottes – die die Massen anzieht. Unten in der Krypta findet sich in Form einer Stele mit rechteckigem Grundriss der schmucklose Schrein, der von stählernen Spangen und schmiedeeisernen Gittern umkrallt wird, ganz so, als wolle man verhüten, dass der überbordende und kühne Geist dieses Mannes noch seine Grablege sprengte.
In Wirklichkeit schützten die Eisen freilich seine letzte Ruhestätte vor Reliquienräubern beziehungsweise sind sie schlicht Zierrat.
Wer nicht nach Assisi pilgern kann, dem bietet seit Anfang Mai 2013 eine so genannte Webcam, also eine Kamera, die via Internet nonstop und in Echtzeit Bilder aus der Krypta mit dem Grabstein überträgt. (www.sanfrancesco.org). Wie viele Menschen sich auch über das weltweite Netz mit dem Ausnahmeheiligen verbinden wollen, zeigen die Zugriffszahlen: Es sind überwältigende 16 Millionen innerhalb von nur drei Monaten, durchschnittlich 200.000 Klicks pro Tag aus 123 Staaten der Welt.
Darüber zu spekulieren, ob der poverello aus gutem Hause, der sich von seiner Familie in einem drastischen und öffentlichen Schritt lossagte, um später der treu ergebene Bräutigam der „Frau Armut“ zu werden, über seine letzte, häufig vom Pilgertrubel umsprudelte Ruhestätte glücklich wäre, ist wohl müßig. Doch wissen wir, dass er die Einsamkeit der Berge und Wälder über alles liebte, ein Einsiedlerdasein in Grotten und Höhlen führte und den größten Teil Mittelitaliens singend, predigend und betend durchwandert hat.
Immer wieder führte sein Weg in die Einsiedeleien, immer wieder schöpfte er neuen Atem ausgerechnet in Felsspalten, in denen unsereiner kaum stehen kann, ja, in manchen ist es sogar unmöglich, ausgestreckt zu liegen. Wer diesen Ausnahmeheiligen deshalb wirklich in der Seele begreifen möchte, der muss die Orte aufsuchen, die Franziskus geliebt und an denen er gewirkt hat.
In der Oktober-Ausgabe 2011 schrieb Guido Horst in dieser Rubrik über das Rieti-Tal bei Rom, welches man auf Italienisch schlicht „das heilige Tal“ nennt, mit seinen vier bedeutsamen seraphischen Orten: Greccio, wo der Heilige wohl im Jahre 1223 die erste Krippenszene der Welt nachstellte, mit Ochs und Esel und allem, was dazu gehört. In Fonte Colombo ist noch der Baum zu sehen, in dem Jesus erschien und Franziskus die dringend benötigte Ordensregel übergab. Santa Maria della Foresta, wo Franziskus ein Weinwunder wirkte und Poggio Bustone mit der Sacro Speco, einer Gebetshöhle.
Unterhalb von Forlì reihen sich franziskanische Wege und Orte wie an einer Perlenschnur und bilden Stationen auf dem Pilgerweg Richtung Süden, nach Assisi, welches seinerseits umringt ist von Andachts- und Gedenkstätten. Neben der Portiunkula in Santa Maria delle Angeli unterhalb der Stadt ist da vor allem Eremo delle Carceri zu nennen, das oberhalb von Assisi an den Hängen des Monte Subasio auf einer Höhe von 791 Metern gelegen ist.
Eremo bedeutet „Einsiedelei“, Carceri jedoch nicht nur Gefängnis oder Kerker; es bezeichnet einfach einen abgeschiedenen, separaten Platz. Ursprünglich waren hier keine Gebäude, sondern nur Grotten über einer schmalen Schlucht, die schon seit frühchristlicher Zeit von Einsiedlern genutzt wurden. Als Franziskus mit seinen frühesten Gefährten zum ersten Mal diesen Ort besucht, vermutlich im Jahr 1205, wird er von Benediktinern betreut, die auch die kleine Kirche Santa Maria delle Carceri dort, inmitten der Steineichen und Buchen, errichtet haben. Es ist ein Jahr, in dem sich für den jungen Mann, der so frohgemut und ehrgeizig erneut in den Krieg - diesmal nach Apulien - ziehen wollte, einiges verändern sollte. Der knapp 25jährige kommt nur ein paar Kilometer weit: In Spoleto überfällt ihn eine Schau, die ihn zur Umkehr bewegt. Da begegnet er einem Leprakranken, überwindet seine tief verwurzelte Abneigung und geht auf ihn zu, um ihn als Bruder zu umarmen und zu küssen. Es ist ein Kuss, der besiegelt und zugleich aufbrechen lässt: Noch hat er Jesu Befehl nicht gehört, seine Kirche wieder aufzubauen, noch hat er sich nicht von seinem Vater losgesagt - doch er hat in einem elenden und abstoßenden Geschöpf den Mitmensch, den Bruder, das Ebenbild Gottes nicht nur erkannt, sondern angefangen zu lieben. Radikal.
Eremo delle Carceri wird ihm später von den Benediktinern überlassen, er zieht sich häufig an diesen Ort zurück, gemeinsam mit seinen engsten Freunden und Gefolgsleuten Bruder Leone und Bruder Egidio, Antonio da Stroncone, Bernardo di Quintavalle sowie Andrea da Spello. Zu besichtigen sind heute noch seine Zelle mit Felsenbett und Gebetsnische sowie die Grotten der anderen Mitbrüder, das Refektorium, ein uralter Beichtstuhl und ein merkwürdig geformtes kleines „Teufelsloch“ direkt am Ausgang von Franziskus’ Zelle im Boden. Der Legende nach soll er hier mit einem Dämonen gerungen und ihn durch dieses Loch in eine Kaverne geschleudert haben. Überhaupt ist der Ort, nein, nicht magisch, dieses Wort verbietet sich hier ganz von selbst, der Wunder voll, wollen wir lieber sagen.
Am Grunde der Schlucht unter dieser winzigen Einsiedelei soll einstmals ein Fluss geflossen sein, der austrocknete, um die Gebete der Brüder nicht zu stören. Im Innenhof steht ein Brunnen, der auf das Gebet des Heiligen – es gab ja nun kein Wasser mehr – angefangen haben soll zu sprudeln. Ein paar Schritte außerhalb des bebauten Geländes erhebt sich der Baum, in dem die Vögel saßen, die der Heilige, so er an diesem Ort weilte, nicht nur täglich segnete, sondern denen er auch das Evangelium verkündet hat – der Schauplatz der berühmten Vogelpredigt also.
„Silenzio!“ mahnt ein Schild am Eingang den Besucher, weil die Einsiedelei immer noch bewohnt wird, und zwar von einer Handvoll Klarissinnen und Franziskanern. „Ubi Deus, ibi Pax“ – wo Gott ist, da ist Friede - stellt ein weiteres Schildchen auf Latein fest.
In der kleinen Pilgerkapelle, die sich am Ende des Rundwegs befindet, steht auf dem Altar eine kleines Schildchen, das den Besucher bittet, eine Botschaft der Liebe für alle Menschen im Gästebuch zu hinterlassen.
An diesem Ort wird schon seit der Morgendämmerung des Christentums gebetet, verehrt und das Lob des Schöpfers gesungen. Zweihundert Jahre nach Franziskus weilte der heilige Bernhardin von Siena in der Klause über Assisi, vermutlich im Rahmen seiner Predigtreisen durch die Toskana und Umbrien. Bernhardin hatte zuerst den Minderbrüdern angehört, war dann aber zu den Franziskaner-Observanten übergetreten, die einer strengeren Regel folgten. Die von ihm angeregte Verehrung des allerheiligsten Namen Jesu brachte ihm, dem beliebten und erfolgreichen Bußprediger, unter Häresieverdacht, von dem er 1426 freigesprochen wurde. Die weite Verbreitung des Kürzel IHS, welches die ersten beiden und den letzten Buchstaben des griechischen Namens Jesu bezeichnet, geht somit vor allem auf den heiligen Bernhardin zurück.
Vielleicht findet der Papst bei seiner Assisi-Reise Anfang Oktober des Jahres noch Zeit, die Eremo delle Carceri zu besuchen.
Denn dieser Ort ist nicht nur heilig, er ist gleichzeitig wie ein Pfeil, der das aufgefaltete Zeitgewebe der Kirchengeschichte geradlinig durchsticht: Wenn der Heilige Vater durch das übermauerte Portal getreten ist, wird ihn auf dem ersten Innenhof eine kleine Überraschung erwarten. Es ist das kreisrunde Terrakotta-Siegel des Bernhardin von Siena, eingemauert über der Außenwand des Refektoriums, und es zeigt ein verblüffend vertrautes Symbol: Das Christusmonogramm IHS umrahmt von Sonnenstrahlen – Bernhardins Markenzeichen, seit man dieses Bild während einer Predigt über seinem Kopf hatte aufglühen sehen.
Gut einhundert Jahre nach diesem Ereignis wählte ein ehemaliger Soldat dieses zuvor franziskanische Emblem als Wahrzeichen seines neu gegründeten Ordens, der Jesuiten. Heute, fast fünfhundert Jahre später, flammt es in der Herzmitte eines Papstwappens –
dieses Papstes, der ein Sohn des Ignatius von Loyola ist und sich Franziskus nennt.
Eremo delle Carceri aber wäre in diesem historischen Moment das zierliche Weberschiffchen, welches die Kettfäden, die den ewigen Webstuhl der Kirche bespannen, anmutig durchgleitet.
Innenhof der Eremo delle Carceri mit dem Terrakotta-Siegel des hl. Bernhardin
Vergrößerung des Siegels des hl. Bernhardins
Das flammende Siegel des heiligen Ignatius und die Eremo delle Carceri
von Barbara Wenz
Alle Welt strömt in dieses Städtchen, gelegen am dicht bewaldeten Monte Subasio. Nicht nur Christen, auch Hindus, Muslime, Agnostiker sowie Atheisten versammeln sich an dieser eigentümlichen, von den Ruinen einer einstmals wehrhaften Festung gekrönten Stätte. Ja, die gesamte Menschheit scheint magnetisch angezogen von diesem Ort: Dem herrlichen Assisi in Umbrien, der Region Italiens, nach der ein satter brauner Farbton, das Umbra, benannt wurde: Eine Landschaft dunkler Erden, grüner Wälder und lichter Himmel - ein Landstrich der Maler und Mystiker.
Pittoreskes Natursteinmauerwerk winziger Häuschen, großartige Kirchen aus vielerlei Kunstepochen, auf- und absteigende Gässchen, Treppchen, Stiegen. Mittelalterliche Atmosphäre, einen atemberaubenden Panoramablick in die Ebene, die sich unterhalb der Stadt erstreckt – all das findet man auch in anderen italienischen borghi.
Es ist vor allem die prachtvolle Basilika mit der Grabstätte des heiligen Franziskus – dem berühmtesten Sohn der Stadt – und ihren herrlichen Fresken mit Bildern aus dem Leben dieses Troubadour Gottes – die die Massen anzieht. Unten in der Krypta findet sich in Form einer Stele mit rechteckigem Grundriss der schmucklose Schrein, der von stählernen Spangen und schmiedeeisernen Gittern umkrallt wird, ganz so, als wolle man verhüten, dass der überbordende und kühne Geist dieses Mannes noch seine Grablege sprengte.
In Wirklichkeit schützten die Eisen freilich seine letzte Ruhestätte vor Reliquienräubern beziehungsweise sind sie schlicht Zierrat.
Wer nicht nach Assisi pilgern kann, dem bietet seit Anfang Mai 2013 eine so genannte Webcam, also eine Kamera, die via Internet nonstop und in Echtzeit Bilder aus der Krypta mit dem Grabstein überträgt. (www.sanfrancesco.org). Wie viele Menschen sich auch über das weltweite Netz mit dem Ausnahmeheiligen verbinden wollen, zeigen die Zugriffszahlen: Es sind überwältigende 16 Millionen innerhalb von nur drei Monaten, durchschnittlich 200.000 Klicks pro Tag aus 123 Staaten der Welt.
Darüber zu spekulieren, ob der poverello aus gutem Hause, der sich von seiner Familie in einem drastischen und öffentlichen Schritt lossagte, um später der treu ergebene Bräutigam der „Frau Armut“ zu werden, über seine letzte, häufig vom Pilgertrubel umsprudelte Ruhestätte glücklich wäre, ist wohl müßig. Doch wissen wir, dass er die Einsamkeit der Berge und Wälder über alles liebte, ein Einsiedlerdasein in Grotten und Höhlen führte und den größten Teil Mittelitaliens singend, predigend und betend durchwandert hat.
Immer wieder führte sein Weg in die Einsiedeleien, immer wieder schöpfte er neuen Atem ausgerechnet in Felsspalten, in denen unsereiner kaum stehen kann, ja, in manchen ist es sogar unmöglich, ausgestreckt zu liegen. Wer diesen Ausnahmeheiligen deshalb wirklich in der Seele begreifen möchte, der muss die Orte aufsuchen, die Franziskus geliebt und an denen er gewirkt hat.
In der Oktober-Ausgabe 2011 schrieb Guido Horst in dieser Rubrik über das Rieti-Tal bei Rom, welches man auf Italienisch schlicht „das heilige Tal“ nennt, mit seinen vier bedeutsamen seraphischen Orten: Greccio, wo der Heilige wohl im Jahre 1223 die erste Krippenszene der Welt nachstellte, mit Ochs und Esel und allem, was dazu gehört. In Fonte Colombo ist noch der Baum zu sehen, in dem Jesus erschien und Franziskus die dringend benötigte Ordensregel übergab. Santa Maria della Foresta, wo Franziskus ein Weinwunder wirkte und Poggio Bustone mit der Sacro Speco, einer Gebetshöhle.
Unterhalb von Forlì reihen sich franziskanische Wege und Orte wie an einer Perlenschnur und bilden Stationen auf dem Pilgerweg Richtung Süden, nach Assisi, welches seinerseits umringt ist von Andachts- und Gedenkstätten. Neben der Portiunkula in Santa Maria delle Angeli unterhalb der Stadt ist da vor allem Eremo delle Carceri zu nennen, das oberhalb von Assisi an den Hängen des Monte Subasio auf einer Höhe von 791 Metern gelegen ist.
Eremo bedeutet „Einsiedelei“, Carceri jedoch nicht nur Gefängnis oder Kerker; es bezeichnet einfach einen abgeschiedenen, separaten Platz. Ursprünglich waren hier keine Gebäude, sondern nur Grotten über einer schmalen Schlucht, die schon seit frühchristlicher Zeit von Einsiedlern genutzt wurden. Als Franziskus mit seinen frühesten Gefährten zum ersten Mal diesen Ort besucht, vermutlich im Jahr 1205, wird er von Benediktinern betreut, die auch die kleine Kirche Santa Maria delle Carceri dort, inmitten der Steineichen und Buchen, errichtet haben. Es ist ein Jahr, in dem sich für den jungen Mann, der so frohgemut und ehrgeizig erneut in den Krieg - diesmal nach Apulien - ziehen wollte, einiges verändern sollte. Der knapp 25jährige kommt nur ein paar Kilometer weit: In Spoleto überfällt ihn eine Schau, die ihn zur Umkehr bewegt. Da begegnet er einem Leprakranken, überwindet seine tief verwurzelte Abneigung und geht auf ihn zu, um ihn als Bruder zu umarmen und zu küssen. Es ist ein Kuss, der besiegelt und zugleich aufbrechen lässt: Noch hat er Jesu Befehl nicht gehört, seine Kirche wieder aufzubauen, noch hat er sich nicht von seinem Vater losgesagt - doch er hat in einem elenden und abstoßenden Geschöpf den Mitmensch, den Bruder, das Ebenbild Gottes nicht nur erkannt, sondern angefangen zu lieben. Radikal.
Eremo delle Carceri wird ihm später von den Benediktinern überlassen, er zieht sich häufig an diesen Ort zurück, gemeinsam mit seinen engsten Freunden und Gefolgsleuten Bruder Leone und Bruder Egidio, Antonio da Stroncone, Bernardo di Quintavalle sowie Andrea da Spello. Zu besichtigen sind heute noch seine Zelle mit Felsenbett und Gebetsnische sowie die Grotten der anderen Mitbrüder, das Refektorium, ein uralter Beichtstuhl und ein merkwürdig geformtes kleines „Teufelsloch“ direkt am Ausgang von Franziskus’ Zelle im Boden. Der Legende nach soll er hier mit einem Dämonen gerungen und ihn durch dieses Loch in eine Kaverne geschleudert haben. Überhaupt ist der Ort, nein, nicht magisch, dieses Wort verbietet sich hier ganz von selbst, der Wunder voll, wollen wir lieber sagen.
Am Grunde der Schlucht unter dieser winzigen Einsiedelei soll einstmals ein Fluss geflossen sein, der austrocknete, um die Gebete der Brüder nicht zu stören. Im Innenhof steht ein Brunnen, der auf das Gebet des Heiligen – es gab ja nun kein Wasser mehr – angefangen haben soll zu sprudeln. Ein paar Schritte außerhalb des bebauten Geländes erhebt sich der Baum, in dem die Vögel saßen, die der Heilige, so er an diesem Ort weilte, nicht nur täglich segnete, sondern denen er auch das Evangelium verkündet hat – der Schauplatz der berühmten Vogelpredigt also.
„Silenzio!“ mahnt ein Schild am Eingang den Besucher, weil die Einsiedelei immer noch bewohnt wird, und zwar von einer Handvoll Klarissinnen und Franziskanern. „Ubi Deus, ibi Pax“ – wo Gott ist, da ist Friede - stellt ein weiteres Schildchen auf Latein fest.
In der kleinen Pilgerkapelle, die sich am Ende des Rundwegs befindet, steht auf dem Altar eine kleines Schildchen, das den Besucher bittet, eine Botschaft der Liebe für alle Menschen im Gästebuch zu hinterlassen.
An diesem Ort wird schon seit der Morgendämmerung des Christentums gebetet, verehrt und das Lob des Schöpfers gesungen. Zweihundert Jahre nach Franziskus weilte der heilige Bernhardin von Siena in der Klause über Assisi, vermutlich im Rahmen seiner Predigtreisen durch die Toskana und Umbrien. Bernhardin hatte zuerst den Minderbrüdern angehört, war dann aber zu den Franziskaner-Observanten übergetreten, die einer strengeren Regel folgten. Die von ihm angeregte Verehrung des allerheiligsten Namen Jesu brachte ihm, dem beliebten und erfolgreichen Bußprediger, unter Häresieverdacht, von dem er 1426 freigesprochen wurde. Die weite Verbreitung des Kürzel IHS, welches die ersten beiden und den letzten Buchstaben des griechischen Namens Jesu bezeichnet, geht somit vor allem auf den heiligen Bernhardin zurück.
Vielleicht findet der Papst bei seiner Assisi-Reise Anfang Oktober des Jahres noch Zeit, die Eremo delle Carceri zu besuchen.
Denn dieser Ort ist nicht nur heilig, er ist gleichzeitig wie ein Pfeil, der das aufgefaltete Zeitgewebe der Kirchengeschichte geradlinig durchsticht: Wenn der Heilige Vater durch das übermauerte Portal getreten ist, wird ihn auf dem ersten Innenhof eine kleine Überraschung erwarten. Es ist das kreisrunde Terrakotta-Siegel des Bernhardin von Siena, eingemauert über der Außenwand des Refektoriums, und es zeigt ein verblüffend vertrautes Symbol: Das Christusmonogramm IHS umrahmt von Sonnenstrahlen – Bernhardins Markenzeichen, seit man dieses Bild während einer Predigt über seinem Kopf hatte aufglühen sehen.
Gut einhundert Jahre nach diesem Ereignis wählte ein ehemaliger Soldat dieses zuvor franziskanische Emblem als Wahrzeichen seines neu gegründeten Ordens, der Jesuiten. Heute, fast fünfhundert Jahre später, flammt es in der Herzmitte eines Papstwappens –
dieses Papstes, der ein Sohn des Ignatius von Loyola ist und sich Franziskus nennt.
Eremo delle Carceri aber wäre in diesem historischen Moment das zierliche Weberschiffchen, welches die Kettfäden, die den ewigen Webstuhl der Kirche bespannen, anmutig durchgleitet.
Innenhof der Eremo delle Carceri mit dem Terrakotta-Siegel des hl. Bernhardin
Vergrößerung des Siegels des hl. Bernhardins
ElsaLaska - 3. Okt, 10:21
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