S.E. Bischof Wanke von Erfurt hat an sich einen hervorragenden Artikel geschrieben, nur der kairos war ihm gerade nicht allzu günstig ... Er konnte ja nicht ahnen, dass z. B. Pater von Gemmingen heute ein Interview geben würde, als er diesen Satz über die deutsche Kirche allgemein schrieb:
>>Die augenblickliche Situation der katholischen Kirche in Deutschland gleicht der eines depressiven Patienten. Je mehr man ihm gut zuspricht, desto tiefer versinkt er in Schwermut.<<
Ein guter erster Schritt zur Genesung wäre ein Aufenthalt in der Psychiatrie ... Eh nein, so geht es natürlich nicht weiter, ich hab mich vertan ... Aber das ist auch sehr schön:
>>1. Einem Menschen sagen: Du gehörst dazu.
Es macht unsere Gesellschaft oft kalt und unbarmherzig, dass Menschen an den Rand gedrückt werden: die Arbeitslosen, die Ungeborenen, die psychisch Kranken, die Ausländer. Das Signal, auf welche Weise auch immer ausgesendet, „Du bist kein Außenseiter! Du gehörst zu uns!“, hat höchste Aktualität. Wir müssen noch mehr Kirche werden, die nicht ausschließt, sondern einschließt.
2. Ich höre dir zu.
Eine oft geäußerte Bitte lautet: „Hab doch einmal etwas Zeit für mich!“ Viele klagen: „Ich bin so allein!“; „Niemand hört mir zu!“ Die Hektik des heutigen Lebens, die Ökonomisierung aller Dienstleistungen zwingen zu möglichst schnellem und abrechenbarem Handeln. Zeit haben, zuhören können: ein Werk der Barmherzigkeit, paradoxerweise gerade im Zeitalter technisch perfekter, hochmoderner Kommunikation so dringlich wie nie zuvor. Ich habe die Vision einer Kirche, die mehr zuhört als redet.
3. Ich rede gut über dich.
Es gibt gottlob immer Leute, die zunächst einmal das Positive am anderen, an einem Sachverhalt, an einer Herausforderung sehen. Natürlich: Man muss auch gelegentlich den Finger auf Wunden legen, Kritik üben und Widerstand anmelden. Was heute aber oft fehlt, ist die Hochschätzung des anderen, ein grundsätzliches Wohlwollen für ihn und seine Anliegen und die Achtung seiner Person. Es gibt auch säkulare Märtyrer für eine humanere Welt. Gut über Menschen reden: Ob das nicht der Kirche wohl zu Gesicht stünde?
4. Ich gehe ein Stück mit dir.
Vielen ist mit gutem Rat allein nicht geholfen. Es bedarf in der komplizierten Welt von heute oft eines Mitgehens der ersten Schritte, bis der andere die Kraft hat, allein weiterzugehen. Das gilt auch für Menschen, bei denen der Wunsch aufbricht, nach Gott zu fragen. Sie brauchen Begleiter, die ihnen Rede und Antwort stehen und die ein Stück des möglichen Glaubensweges mit ihnen mitgehen, die ihnen beispielsweise helfen, nach langer Abstinenz wieder in die Gemeinde hineinzufinden, ohne Spießruten laufen zu müssen. Ich habe die Vision einer Kirche, die geduldig mit den Suchenden und Glaubensschwachen mitgeht.
5. Ich teile mit dir.
Es wird auch in Zukunft keine vollkommene Gerechtigkeit auf Erden geben. Es braucht auch morgen Hilfe für jene, die sich selbst nicht helfen können. Das Teilen von Geld und Gaben, von Möglichkeiten und Chancen wird in einer Welt noch so perfekter Fürsorge notwendig bleiben. Wie sagt die Volksweisheit? „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude!“ Ich freue mich über eine Kirche, in der Menschen das erfahren können.
6. Ich besuche dich.
Den anderen in seinem Zuhause aufzusuchen ist besser, als darauf zu warten, dass er zu mir kommt. Ein Besuch schafft Gemeinschaft. Er holt den anderen dort ab, wo er sich sicher und stark fühlt. Die Besuchskultur in unseren Pfarrgemeinden ist sehr kostbar. Die Kirche wird nicht auf die warten dürfen, die anklopfen. Sie wird vor ihren Türen nach den Menschen schauen. Sie sollte auch zu denen gehen, die nicht zu ihr gehören. Auch sie gehören Gott. Das verscheucht das kirchliche Selbstmitleid. Das weckt pastorale Phantasie.
7. Ich bete für dich.
Wer für andere betet, schaut auf sie mit anderen Augen. Er begegnet ihnen anders. Auch Nichtchristen sind dankbar, wenn für sie gebetet wird. Ein Ort in der Stadt, im Dorf, wo regelmäßig und stellvertretend alle Bewohner in das fürbittende Gebet eingeschlossen werden, die Lebenden und die Toten – das ist ein Segen. Gerade dort, wo es Spannungen gibt, wo Beziehungen brüchig werden, wo Worte nichts mehr ausrichten, braucht es das Gebet. Paulus redet merkwürdig oft davon. Gottes Möglichkeiten sind größer als wir in unserer Ratlosigkeit und Trauer meinen. Der Beter vertraut darauf. Die Menschen suchen eine Kirche, die für diese Botschaft steht.<<
Wie gesagt,
ein wunderbarer Artikel, an und für sich.