Seit ich mich im Zuge des Buchprojektes mit den kleinen, unbekannten Pilgerorten Mittelitaliens beschäftige, nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass ich dabei auf unverwesliche Heilige und Selige treffe, signifikant zu. Bis vor drei Jahren wusste ich noch nicht einmal, dass es dieses Phänomen gibt. Heute muss ich nur vor die Türe treten, und rumms - wächst ein Santuario mit einem Heiligen im Glaskasten vor mir aus dem Boden. Offenbar hat sich bei unseren beati und santi herumgesprochen, dass eine tedesca durch die Lande fährt und sich für sie interessiert.
Möglicherweise liegt es aber auch an den Italienern. Vielleicht sind sie grundsätzlich der Meinung, dass eine briefmarkengroße Reliquie für den Altar zu wenig hermacht. Fiat 500 fahren, okay, aber wenns ein Ferrari sein darf, will man wohl auch für den Altar lieber die Ferrari-Variante haben.
Neulich musste ich doch wieder herzlich lachen. Ich stand in der Krypta des Domes von Ancona, der dem heiligen Cyriaco geweiht ist. Och, nur ein blickdichter Marmorsarkophag, dabei habe ich schon eine schöne Foto- Sammlung von frühchristlichen Erstbischöfen in vollem Ornat im Glassarg. Den hl. Cyriaco haben sie wohl vor ein paar Jahrzehnten aus dem Glassarg in die blickdichte Marmorvariante umgebettet. Irgendwie muss es ihnen selbst nicht gefallen haben, denn man hielt es für dringend nötig, auf diesem Sarkophag ein Breitbildfarbfoto - auf Karton geklebt - von Cyriaco im Vollornat in seinem alten Glassarg liegend aufzustellen. Es brennen auch brav Kerzen davor.
Diese Woche hat der Heilige Vater
auf die heilige Veronika Giuliani hingewiesen während der Generalaudienz. Überflüssig zu sagen, dass sie zu den Unverweslichen gezählt wird. Habe sie bereits auf meiner Liste.
Obwohl ich vermutlich selbst nach einhundert Jahren persönlichen Katholisch-Seins bestimmte Eigenheiten dieses Glaubens niemals ernsthaft begreifen werde, weil ich nicht damit groß geworden bin, vor allem nicht in Italien damit groß geworden bin, muss ich eingestehen, dass der Gedanke, bestimmte Menschen seien bereits bei Gott und hätten derweil, damit wir uns trösten und stärken können, ihre (mehr oder weniger) unverweslichen Körper dagelassen, etwas Rührendes hat. Vielleicht ist es so ähnlich, wie wenn ein geliebter Mensch stirbt und man unvermittelt, in all der Leere und der Trostlosigkeit, in die man geschleudert wird, einen bislang unentdeckten Liebesbrief an sich tief unten in einer Schublade entdeckt.