Sanguis martyrum-Wege des Friedens

Ein Gastbeitrag von Olaf Tannenberg.
Das warme Licht von Kerzen erhellt das Arbeitszimmer, vor dem Fenster tanzen im leichten Abendwind vergnügt große Schneeflocken. Ein friedliches, idyllisches Bild, wahrlich passend zu diesen Tagen, in denen wir Christen weltweit dem Geburtstag des Erlösers und der Menschwerdung Gottes entgegenfiebern. Mich zurücklehnend schaue ich dem Treiben der strahlend weißen Sternchen zu. Ein wundervoller, besinnlicher Abend wäre es - müsste nicht dieser Beitrag geschrieben werden. Schon sind sie wieder gegenwärtig, die Gedanken an all jene zahllosen Schwestern und Brüder in mehr als hundert Ländern der Erde, die verfolgt und benachteiligt, ermordet und gefoltert, vergewaltigt und erniedrigt werden. Die Idylle vor dem Fenster verändert sich. Die Schneeflocken werden zu gefrorenen Tränen.
»Betet für uns«, lautete anlässlich der internationalen Konferenz ›Menschenrecht Religionsfreiheit‹ am 8. November 2012 in München der Appell von Christen aus Staaten, in denen sie verfolgt werden. »Solidarisiert euch mit uns!« Sie berichteten aus ihren Heimatländern von der gegenwärtigen Situation, von Diskriminierungen, Anschlägen und Übergriffen, von Straflagern. Aber auch von Hoffnung. Zwei Stimmen seien hier stellvertretend wiedergegeben.
»Nichtmuslime im Irak sind Bürger zweiter oder dritter Klasse«, sagte Basile Georges Casmoussa, Kurienerzbischof im Patriarchat der syrisch-katholischen Kirche von Antiochien in Beirut, und verwies darauf, dass es seit der offiziellen Demokratisierung des Irak für die Christen nicht besser geworden sei. »Christen werden ermordet, entführt, enteignet.« Der politische Islam wolle die Scharia als allgemeine Rechtsgrundlage einführen, Religionswechsel sei ebenso verboten wie Ehen zwischen Christen und Muslimen. Er sieht auch eine Mitverantwortung des Westens. »Bitte machen Sie unsere Situation mit Äußerungen, Karikaturen und Filmen nicht schlimmer«, bat er. »Wir müssen den Preis dafür bezahlen und gelten als Handlanger des atheistischen Westens.«
Auch Ignatius Ayau Kaigama, Erzbischof von Jos in Nigeria, berichtete von andauernden Übergriffen auf Christen in seiner Heimat, meist ausgehend von der radikal-islamistischen Sekte ›Boko Haram‹ und auf den Nordosten des Landes beschränkt. Ebenso wie Casmoussa sieht er den Westen mit in der Pflicht. »Blasphemie gegen den Islam in anderen Teilen der Welt bekommen Christen in Nigeria zu spüren, deshalb werden bei uns Menschen getötet.«
Soweit zu den Aussagen der verantwortlichen Bischöfe vor Ort. Auch einige Politiker in Deutschland widmen sich endlich der Problematik und sprechen sie öffentlich an. Neben der Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte ich besonders die Bundestagsabgeordneten Volker Kauder, Erika Steinbach und Wolfgang Bosbach erwähnen.
Was kann also getan werden?
Dazu Karl Hafen, Geschäftsführer der deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) im September 2012 während seines Vortrages auf dem Kongress ›Freude am Glauben‹ in Aschaffenburg: »Immer und immer wieder mit Fakten operieren, über die Fälle sprechen, ihnen eine größtmögliche Öffentlichkeit geben, den Kontakt zu den betroffenen Menschen suchen, diesen eine Stimme geben, ihnen helfen, dauerhaft helfen, wenn die Lage es erlaubt, appellieren, appellieren und nochmals appellieren; das ist der einzige Weg zum Erfolg.«
Ähnlich äußerte sich der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick während der Münchner Menschenrechtskonferenz. »So gut wie uns Christen in Deutschland geht es sonst kaum einer Religionsgemeinschaft.« Er rief dazu auf, sich mit verfolgten Christen zu solidarisieren, für sie zu beten und ihre Situation öffentlich zu machen. »Was gewusst wird, kann auch verändert werden«, so der Erzbischof.
Wer nun meint, es müsse gegen Länder, in denen Christen verfolgt werden, eine härtere Gangart geben, verkennt die Situation. Auch wenn die Möglichkeit der Errichtung von militärischen Schutzzonen gedanklich nachvollziehbar und verständlich ist, würde sich nur in sehr wenigen Fällen eine Verbesserung der Lage einstellen. Alle Erfahrungen, wie jüngst im Irak und in Afghanistan, zeigen, dass Militäreinsätze eher zur Verschärfung als zur Deeskalation beitrugen. Denn das Ziel der Einsätze war niemals der Schutz der Christen, sondern die Etablierung von Demokratien. Dies führte allerdings erst recht zu Verschärfungen, denn plötzlich befanden sich die Christen nicht nur als religiöse Gruppe in der Minderheit, sondern zusätzlich auch politisch. Die Wahrnehmung ihrer Interessen gestaltet sich in diesen Ländern heute schwieriger denn je.
Auch die Aufnahme von bedrängten Christen im Westen kann nicht als Allheilmittel betrachtet werden. Hierzu noch einmal Erzbischof Chamoussa aus dem Irak: »Wir müssen Lösungen bei uns zuhause finden. Christen und Muslime müssen zusammenarbeiten, um unsere Länder wieder aufzubauen.« Das Ziel müsse die Errichtung einer Zivilgesellschaft östlicher Natur sein, in der für alle Bürger die gleichen Rechte gelten.
Dem Vatikan und insbesondere dem Heiligen Vater im Engagement gegen die weltweite Christenverfolgung und im Umgang mit dem Islam ›laue Zurückhaltung‹ zu attestieren, ist völlig verfehlt. Drohgebärden sind angesichts der Mittel und Möglichkeiten unangebracht, und abgesehen davon, wie wenig das Säbelrasseln der Kirche zu Gesicht stünde, würde man damit höchstens mehr Übergriffe auf Christen vor Ort provozieren. So bleibt neben dem Gebet und der Öffentlichkeitsarbeit, der Diplomatie und dem Dialog nur die Einflussnahme mittels der Macht des Wortes. Dass gerade unser wunderbarer Papst Benedikt XVI. diese Kraft zu gebrauchen versteht, zeigt u.a. die Einführung eines christlichen Feiertages in Kuba als eines der hoffnungsvollen Ergebnisse des Papstbesuchs im März 2012.
Vergessen wir nicht die vom Heiligen Vater während der Abschlussmesse der Nahost-Synode 2010 gesprochenen, visionären Worte: »Das Gebet des Elenden verstummt nicht, bis Gott eingreift und Recht schafft. Der Schrei des Armen und des Unterdrückten findet sein unmittelbares Echo bei Gott, der eingreifen will, um einen Ausgang zu zeigen, um eine Zukunft der Freiheit, einen Horizont der Hoffnung zu eröffnen.«
Wir dürfen uns also nicht Fantastereien hingeben, sondern das uns Mögliche tun. Beten wir für die verfolgten Schwestern und Brüder, für diese einhundert Millionen Christen in mehr als einhundert Staaten, in denen sie verfolgt werden. Wenden wir uns an die Öffentlichkeit, schreiben wir an die Botschaften der Verfolgerländer und besonders an die unschuldig Inhaftierten, die sich unsere Verbundenheit herbeisehnen. Unterstützen wir aktiv und zustimmend die Außenpolitik des Vatikan. Auch Spenden an Hilfswerke wie ›Kirche in Not‹ oder ›Open Doors‹ kommen den Verfolgten zugute. Gedenken wir stets der Märtyrer, bringen wir der Welt ihre Namen immer wieder in Erinnerung. Und vergessen wir nicht die Worte Jesu:
»Haben sie mich verfolgt, werden sie auch euch verfolgen.« (Joh 15,20)
Der Autor der Reihe ›Sanguis martyrum‹ wünscht seiner geschätzten Leserschaft eine gesegnete Adventzeit und ein besinnliches Weihnachtsfest.
ElsaLaska - 16. Dez, 23:52