[Das Foto zeigt Bischof Padovese mit Prof. Dr. Rudolf Grulich, dem Berater für Türkeifragen der Hilfsorganisation "Kirche in Not"]
Ein Gastbeitrag von Olaf Tannenberg
Er war ein Mann des Friedens und erlitt durch die Hand eines Gewalttäters das Martyrium. Er, der sich stets für Versöhnung und Verständigung einsetzte, starb heute vor drei Jahren, am 3. Juni 2010, im Garten seines Amts- und Wohnsitzes im türkischen Iskenderun.
Der Mord an dem römisch-katholischen Bischof Luigi Padovese ist kein ›gewöhnliches‹ Verbrechen, sondern die beispiellose Geschichte eines Verrates. Der Mörder war ein Mann, der das volle Vertrauen seines Opfers genoss, der in einer schwierigen Lebenssituation Hilfe und Zuwendung bekommen und zum engsten persönlichen Umfeld des Bischofs gehört hatte. Die Hand, die das Messer führte, gehörte dem damals 26-jährigen Murat Altun, Mitarbeiter und Chauffeur des Bischofs.
Der Täter griff Bischof Padovese von hinten an und versuchte ihm mit einem Messer die Kehle durchzuschneiden. Zuerst gelang dem Bischof die Flucht aus dem Haus, doch im Garten holte Altun ihn ein. Der sich dort aufhaltenden Haushälterin rief der Bischof zu, sie solle sich in Sicherheit bringen, den Hass und Vernichtungswillen seines Verfolgers spürend. Doch der setzte sein blutiges Werk fort. Diesmal mit Erfolg. Vor den Augen der schreckensstarren Haushälterin versetzte Altun dem Bischof einen sehr tiefen Schnitt durch den Hals. Luigi Padovese starb den Tod eines Blutzeugen Christi. Sein Kopf, so steht es in den Polizeiprotokollen, sei nur noch durch Hautfetzen mit dem Körper verbunden gewesen.
Es war sechs Jahre vor seiner Ermordung, als der 1947 in Mailand geborene Luigi Padovese, Titularbischof von Monteverde und Angehöriger des Kapuzinerordens, sein Amt als Apostolischer Vikar von Anatolien antrat. Seit 2008 stand er daneben der türkischen Bischofskonferenz vor. Zugleich gehörte der Bischof der Apostolischen Nuntiatur in der Türkei an. Denn in dem Land, in das man ihn entsandte, dürfen neben türkischen Staatsbürgern nur Geistliche, die diplomatischen Schutz genießen, das Evangelium verkünden.
Überhaupt ist die Türkei ist ein Land der Gegensätze. Einerseits gibt sie sich weltoffen, zeigt ein modernes Gesicht und erlebt einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung. Man drängt in die Europäische Union, beansprucht sogar eine führende Rolle. Auf der anderen Seite steht die fortschreitende Islamisierung mit allen bekannten Auswirkungen. Daneben trachtet sie danach, die Leitmacht der muslimischen Staaten im Nahen Osten zu werden. Das Verhältnis zum Nachbarn Israel hat sich in den letzten Jahren deutlich abgekühlt. Mehr und mehr werden Religions- und Pressefreiheit leere, inhaltslose Worte in der Verfassung. Leidtragende der Politik der Islamisierung und des Gigantismus sind besonders die Christen.
Nur noch wenige Christen leben in der heutigen Türkei.
Ende des 19. Jahrhundert gab es allein in Anatolien etwa zwei Millionen Christen - rund 25 Prozent der Bevölkerung. Ab Mitte des 19. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wurden die meisten Christen aus dem Gebiet der heutigen Türkei vertrieben oder getötet. Es gab den barbarischen, noch heute geleugneten Genozid an den armenischen Christen. Heute leben im Herkunftsland des Apostels Paulus noch ganze 125.000 Christen; dies ist ein Anteil von nur noch 0,2 Prozent der Bevölkerung. Es ist ein Schattendasein, das sie führen, eingeschränkt in ihren Rechten, im Alltag von Behörden und Teilen der Gesellschaft gleichermaßen diskriminiert und bedrängt. Die Bedrücker sind nicht nur radikale Muslime, sondern auch gewaltbereite Nationalisten, wie die ›Grauen Wölfe‹.
Doch zurück zu Bischof Padovese. Um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden und den Frieden zwischen den Religionen zu bewahren, akzeptierte der Vatikan die Erklärung der türkischen Behörden, Padovese sei von einem Geisteskranken ermordet worden, ohne jeglichen politischen oder religiösen Hintergrund. Nur Bischof Ruggero Franceschini, der Vorgänger Padoveses, ebenfalls Kapuziner und heutiger Apostolischer Administrator von Anatolien, brachte es auf den Punkt. » So tötet jemand, der zeigen will, dass er ein wirklich radikaler Moslem ist «, sagte er entsetzt.
Die unterschiedliche Bewertung ist verständlich, wenn man sich mit dem islamistischen Terrorismus näher beschäftigt. Bischof Franceschini schien vorausgeahnt zu haben, woran damals kaum jemand dachte und was heute in aller Munde ist: ›Homegrown Terrorism‹, also Anschläge von unvernetzten Einzeltätern, die sich, von den Behörden unbemerkt, selbst radikalisiert haben und mit denen schlicht niemand rechnet. Stichworte: Toulouse, Boston und jetzt London-Woolwich.
Indes eindeutig zuzuordnen sind andere Verbrechen. Im April 2007 überfielen ultranationalistische Türken in Malatya einen Bibelverlag, drei Mitarbeiter, darunter ein Deutscher, wurden stundenlang gefoltert, bevor ihnen die Kehlen durchgeschnitten wurden. Im September des gleichen Jahres stach ein Muslim in Izmir auf den Priester Adriano Franchini ein; er überlebte den Anschlag. Und wir erinnern uns auch an das Attentat auf den seligen Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 durch einen türkischen Rechtsextremisten auf dem Petersplatz in Rom.
Doch nicht nur durch Mord und Gewalt werden die Christen in der Türkei bekämpft. Es gibt auch behördliche Willkür. So dürfen christliche Kirchen in der Türkei keine Gebäude oder Grundstücke erwerben, keine Priester ausbilden, keine Klöster oder Schulen einrichten. Bestehende Einrichtungen werden systematisch dem Verfall preisgegeben. Ein Beispiel ist das bekannte Kloster Mor Gabriel.
Bischof Padovese fand hierfür eindeutige Worte: "“Offiziell existieren wir gar nicht, wir haben keine Rechte. Und weil wir nicht existieren, dürfen wir auch kein Priesterseminar eröffnen, Priester für die Zukunft unterstützen oder eine türkische Kirche aufbauen”, so der Bischof in einem Interview mit KIRCHE IN NOT." [1]
Dass die Lage für die türkischen Christen sich verschlimmert, bestätigen auch namhafte Organisationen und Einzelpersonen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) beurteilt die Behandlung und Situation der Christen negativ und macht nicht zuletzt den türkischen Staat verantwortlich. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) sieht seit den Beitrittverhandlungen der Türkei in die EU sogar eine Verschlechterung der Lage der Christen. 2006 startete die Gesellschaft einen internationalen Appell unter dem Motto: ›Türkei: Erst die Christen vertreiben, dann in die EU?‹ Im gleichen Jahr sagte Bartholomäus I., Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel, die Lage der Christen habe sich vom Schlechten zum Schlechteren gewandelt.
Beten wir mit dem Märtyrer-Bischof Luigi Padovese, dem Freund aller Menschen, für unsere Schwestern und Brüder in einem Land, dessen christliche Wurzeln bis zum Apostel Paulus zurückreichen. Beten wir für die Christen in der Türkei, damit es ihnen leichter fallen mag, ihr Kreuz zu tragen. Erinnern wir uns an jene, die zwischen Bosporus und Anatolien für die Wahrheit des Evangeliums das Martyrium erlitten. Der Lohn des Herrn in der Ewigkeit ist ihnen gewiss.
»Der Gerechte aber wird aus dem Glauben leben.« (Hab. 2,4)
[1] Quelle und weiterführender Link zu Kirche in Not - Eintrag vom 4.6.2010. Dort auch das Foto mit Professor Dr. Grulich.