Der Krieg der Pazifisten
Ein Gastbeitrag von Olaf Tannenberg.
Als am 28. Juni 2012 in Warschau die italienische Fußballmannschaft mit Trauerflor im Halbfinale gegen Deutschland antrat, um den bei einer Explosion in einem Trainingslager der afghanischen Polizei ums Leben gekommenen Carabiniere Manuele Braj zu gedenken, glaubte ich für einen Moment daran, die Welt könne irgendwo noch in Ordnung sein. Dafür drückte ich dieser Mannschaft insgeheim die Daumen, aus Dankbarkeit für ein Stück Nächstenliebe und Vernunft in einer pflichtvergessenen, von heiserem, oft überflüssigem Gebrüll geprägten Zeit. Don Nandino Capovilla, Don Renato Sacco und weitere 28 italienische Priester befreiten mich nun von dieser Illusion. In einem offenen Brief schreiben sie vom "Teil einer Gruppe, die Massaker durchführen, als Komplizen einer Meute, die ein Gemetzel in Afghanistan veranstalten."
Die Rede ist in diesem Brief nicht von den Taliban, von Al-Qaida oder den Söldnern Raschid Dostums, sondern von den in Afghanistan eingesetzten Soldaten der italienischen Streitkräfte inklusive derer Militärseelsorger. Rhetorisch geschulte Priester zücken das Flammenschwert des Wortes , und gebrauchen es gegen die Soldaten ihres Landes, ja sogar gegen die eigenen Amtsbrüder. Sie geißeln den Krieg - und darüber hinaus die Menschen, die in diesen Kriegen kämpfen und sogar jene, die sich um das Seelenheil der Kämpfenden sorgen. Und so wird die berechtigte Verdammung des Krieges zur respektlosen Ächtung der Soldaten und ihrer Militärkapläne.
Wie ist das nun mit der Friedfertigkeit? Blicken wir zurück in die Geschichte und stellen uns einige Fragen. Hätte der Verschleppung und Versklavung von Mittelmeeranwohnern durch muslimische Seeräuber im 16. Jahrhundert kein Einhalt geboten werden sollen? Hätte man Wien 1683 den osmanischen Truppen Kara Mustafas übergeben sollen? Und sollte man die Völker dieser Welt im 21. Jahrhundert dem Wüten und Morden von Tyrannen und Terroristen preisgeben, sie einfach ihrem Schicksal überlassen? Ist denn der Pazifismus ein höheres Ideal als Freiheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit? Wohl kaum. Unter der Herrschaft von Despoten kann der Friede nicht gedeihen.
"Nie wieder Krieg!" hieß es nach dem II. Weltkrieg, nach 50 Millionen Todesopfern und unvorstellbaren Grausamkeiten, nach sechsjähriger Zerstörung allen Schönen und Guten – stattdessen Trümmer, Schutt, Asche und Modergeruch der Todeslager. Angesichts deren Gräuel hieß es zugleich: "Nie wieder Auschwitz!" Niemand, der sich einen wahren, gerechten Frieden ersehnt, kann allen Ernstes die Augen verschließen wollen, wohl wissend von den Genoziden und Massakern der heutigen Zeit, sei es auf dem Balkan oder in Nigeria, in Syrien oder in Afghanistan, um nur einige Schauplätze des Grauens zu nennen.
Die Aussage der 30 Priester, gleichzeitig Christ und Soldat sein zu können wäre nicht möglich und unvereinbar mit dem Evangelium, mutet seltsam naiv an. Sich dabei auf den Seligen Franz Jägerstätter, einem Kriegsdienstverweigerer im 3. Reich, zu berufen, macht die Schmähung der Soldaten demokratischer Staaten keineswegs besser. Denn man muss doch wohl zwischen den Zielen eines militärischen Einsatzes unterscheiden können: Die Soldaten der Nato führen keine Eroberungskriege, sie verteidigen u. A. unsere Grundrechte, auf die wir uns gern und ständig berufen. Die briefschreibenden Priester nahmen ja auch ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahr, für dessen Bestehen ausgerechnet jene von ihnen verurteilten Soldaten weltweit eintreten, kämpfen, sterben, verwundet werden, leiden, ertragen, verzichten, fern von ihren Lieben und mit einer rund um die Uhr bedrohten Existenz. Die Soldaten schützen auch Priester und unschuldige Familien in den Krisengebieten, die, verfolgt und gefoltert, keine Zeit zum Verfassen pazifistischer offener Briefe haben.
Nein, es sind keine Mörder, keine üblen Charaktere, die nach Blut und Beute lechzen, es sind keine Über- oder Unmenschen und auch keine kriegssüchtigen Junkies. Unsere Soldaten gehen in diese Einsätze nicht um zu töten, sondern um Leben zu schützen, nicht um den Krieg zu bringen, sondern um den Frieden zu erhalten, ihn zu bewahren oder zu schaffen. Es sind keine fremden Söldner ohne Gewissen und Gesinnung, es sind unsere Schwestern und Brüder, unsere Töchter und Söhne!
Was die ebenfalls gescholtenen Militärseelsorger betrifft, so sind sie heute wichtiger denn je. Sie sind nicht allein Priester, sie sind für die Soldaten aufmerksame Ansprechpartner, gefragte Ratgeber, gute Kameraden. Sie teilen in einer außergewöhnlichen, für den Einzelnen persönlich gefahrvollen Atmosphäre mit ihrer Gemeinde deren Trauer und Schmerz, deren Hoffnungen und Ängste. Dafür haben sie den allergrößten Respekt verdient.
Gott und Soldaten, so sagt es der Volksmund, werden in den Stunden der Gefahr am meisten gebraucht und in der Stunde des Glücks am schnellsten vergessen. Gegen dieses Vergessen schreibe ich hier an und erinnere abschließend an einen Soldaten. Wir nennen ihn Longinus. Im Petersdom kann man eine Statue von ihm betrachten. Dieser Soldat, ausgerechnet ein heidnischer römischer Hauptmann, gar der Anführer des Kommandos, das den Heiland ans Kreuz schlug, erkannte als einer von - vorerst - Wenigen die Wahrheit.
Vielleicht sollten die pazifistischen 30 Priester sich gelegentlich daran erinnern. Als früherer Soldat möchte ich ihnen gerne sagen: Wie schön wäre es, das Schwert endgültig niederzulegen können und nur noch die Feder zu führen. Doch wir haben von Gott auch einen Auftrag erhalten, nämlich die zu schützen, die sich nicht selbst verteidigen können – die Schwachen, die Unschuldigen, die Witwen und Waisen. Und schießlich:
Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde. (Joh. 15,13)
Als am 28. Juni 2012 in Warschau die italienische Fußballmannschaft mit Trauerflor im Halbfinale gegen Deutschland antrat, um den bei einer Explosion in einem Trainingslager der afghanischen Polizei ums Leben gekommenen Carabiniere Manuele Braj zu gedenken, glaubte ich für einen Moment daran, die Welt könne irgendwo noch in Ordnung sein. Dafür drückte ich dieser Mannschaft insgeheim die Daumen, aus Dankbarkeit für ein Stück Nächstenliebe und Vernunft in einer pflichtvergessenen, von heiserem, oft überflüssigem Gebrüll geprägten Zeit. Don Nandino Capovilla, Don Renato Sacco und weitere 28 italienische Priester befreiten mich nun von dieser Illusion. In einem offenen Brief schreiben sie vom "Teil einer Gruppe, die Massaker durchführen, als Komplizen einer Meute, die ein Gemetzel in Afghanistan veranstalten."
Die Rede ist in diesem Brief nicht von den Taliban, von Al-Qaida oder den Söldnern Raschid Dostums, sondern von den in Afghanistan eingesetzten Soldaten der italienischen Streitkräfte inklusive derer Militärseelsorger. Rhetorisch geschulte Priester zücken das Flammenschwert des Wortes , und gebrauchen es gegen die Soldaten ihres Landes, ja sogar gegen die eigenen Amtsbrüder. Sie geißeln den Krieg - und darüber hinaus die Menschen, die in diesen Kriegen kämpfen und sogar jene, die sich um das Seelenheil der Kämpfenden sorgen. Und so wird die berechtigte Verdammung des Krieges zur respektlosen Ächtung der Soldaten und ihrer Militärkapläne.
Wie ist das nun mit der Friedfertigkeit? Blicken wir zurück in die Geschichte und stellen uns einige Fragen. Hätte der Verschleppung und Versklavung von Mittelmeeranwohnern durch muslimische Seeräuber im 16. Jahrhundert kein Einhalt geboten werden sollen? Hätte man Wien 1683 den osmanischen Truppen Kara Mustafas übergeben sollen? Und sollte man die Völker dieser Welt im 21. Jahrhundert dem Wüten und Morden von Tyrannen und Terroristen preisgeben, sie einfach ihrem Schicksal überlassen? Ist denn der Pazifismus ein höheres Ideal als Freiheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit? Wohl kaum. Unter der Herrschaft von Despoten kann der Friede nicht gedeihen.
"Nie wieder Krieg!" hieß es nach dem II. Weltkrieg, nach 50 Millionen Todesopfern und unvorstellbaren Grausamkeiten, nach sechsjähriger Zerstörung allen Schönen und Guten – stattdessen Trümmer, Schutt, Asche und Modergeruch der Todeslager. Angesichts deren Gräuel hieß es zugleich: "Nie wieder Auschwitz!" Niemand, der sich einen wahren, gerechten Frieden ersehnt, kann allen Ernstes die Augen verschließen wollen, wohl wissend von den Genoziden und Massakern der heutigen Zeit, sei es auf dem Balkan oder in Nigeria, in Syrien oder in Afghanistan, um nur einige Schauplätze des Grauens zu nennen.
Die Aussage der 30 Priester, gleichzeitig Christ und Soldat sein zu können wäre nicht möglich und unvereinbar mit dem Evangelium, mutet seltsam naiv an. Sich dabei auf den Seligen Franz Jägerstätter, einem Kriegsdienstverweigerer im 3. Reich, zu berufen, macht die Schmähung der Soldaten demokratischer Staaten keineswegs besser. Denn man muss doch wohl zwischen den Zielen eines militärischen Einsatzes unterscheiden können: Die Soldaten der Nato führen keine Eroberungskriege, sie verteidigen u. A. unsere Grundrechte, auf die wir uns gern und ständig berufen. Die briefschreibenden Priester nahmen ja auch ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahr, für dessen Bestehen ausgerechnet jene von ihnen verurteilten Soldaten weltweit eintreten, kämpfen, sterben, verwundet werden, leiden, ertragen, verzichten, fern von ihren Lieben und mit einer rund um die Uhr bedrohten Existenz. Die Soldaten schützen auch Priester und unschuldige Familien in den Krisengebieten, die, verfolgt und gefoltert, keine Zeit zum Verfassen pazifistischer offener Briefe haben.
Nein, es sind keine Mörder, keine üblen Charaktere, die nach Blut und Beute lechzen, es sind keine Über- oder Unmenschen und auch keine kriegssüchtigen Junkies. Unsere Soldaten gehen in diese Einsätze nicht um zu töten, sondern um Leben zu schützen, nicht um den Krieg zu bringen, sondern um den Frieden zu erhalten, ihn zu bewahren oder zu schaffen. Es sind keine fremden Söldner ohne Gewissen und Gesinnung, es sind unsere Schwestern und Brüder, unsere Töchter und Söhne!
Was die ebenfalls gescholtenen Militärseelsorger betrifft, so sind sie heute wichtiger denn je. Sie sind nicht allein Priester, sie sind für die Soldaten aufmerksame Ansprechpartner, gefragte Ratgeber, gute Kameraden. Sie teilen in einer außergewöhnlichen, für den Einzelnen persönlich gefahrvollen Atmosphäre mit ihrer Gemeinde deren Trauer und Schmerz, deren Hoffnungen und Ängste. Dafür haben sie den allergrößten Respekt verdient.
Gott und Soldaten, so sagt es der Volksmund, werden in den Stunden der Gefahr am meisten gebraucht und in der Stunde des Glücks am schnellsten vergessen. Gegen dieses Vergessen schreibe ich hier an und erinnere abschließend an einen Soldaten. Wir nennen ihn Longinus. Im Petersdom kann man eine Statue von ihm betrachten. Dieser Soldat, ausgerechnet ein heidnischer römischer Hauptmann, gar der Anführer des Kommandos, das den Heiland ans Kreuz schlug, erkannte als einer von - vorerst - Wenigen die Wahrheit.
Vielleicht sollten die pazifistischen 30 Priester sich gelegentlich daran erinnern. Als früherer Soldat möchte ich ihnen gerne sagen: Wie schön wäre es, das Schwert endgültig niederzulegen können und nur noch die Feder zu führen. Doch wir haben von Gott auch einen Auftrag erhalten, nämlich die zu schützen, die sich nicht selbst verteidigen können – die Schwachen, die Unschuldigen, die Witwen und Waisen. Und schießlich:
Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde. (Joh. 15,13)
ElsaLaska - 14. Aug, 13:51
Vielen Dank
Danke
EINIGE WORTE ZU LEPANTO
Die Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571, so sollten auch Mitglieder von Pax Christi wissen, war eine Folge der Eroberung Zyperns 1570/71 durch das osmanische Reich. Die Insel gehörte damals zum Herrschaftsbereich Venetiens. Nach der Kapitulation Nikosias wurden die venezianische Garnison und die Zivilisten größtenteils massakriert oder in die Sklaverei verkauft. Der Fall Zyperns war zugleich der grausame Höhepunkt von blutigen Überfällen auf christliche Mittelmeeranrainerstaaten durch osmanische Korsaren, wie Khair ad-Din, Baba Arudsch, Turgut Reis und Uludsch Ali.
Zyperns Fall ist besonders mit dem Schicksal eines Soldaten verbunden: des venezianischen Generalkapitäns und Gouverneurs Marco Antonio Bragadin, der mit einer zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Truppe monatelang die befestigte Hafenstadt Famagusta verteidigte. Am letzten Tag des Juli 1571 wurden ihm und seinen Soldaten freier Abzug auf venezianisches Hoheitsgebiet zugesichert.
Doch der Eroberer, Lala Kara Mustafa Pascha, brach sein Wort. Während der Verhandlungen ließ er Bragadins Eskorte töten, ihn selbst gefangen nehmen, Ohren und Nase abschneiden. Dreizehn Tage widerstand Bragadin der Folter, unter der er zum Islam "bekehrt" werden sollte. Er blieb Christ, wurde bei lebendigem Leib gehäutet und anschließend gevierteilt, seine Gliedmaßen wurden osmanischen Einheiten als Trophäen übergeben, die Haut mit Heu gefüllt und diese schreckliche Erscheinung, die einst ein menschlicher Körper war, entsetzlich verhöhnt. Bragadins Kopf wurde, mit den Köpfen anderer venezianischer Offiziere, nach Konstantinopel gebracht.
Gut zwei Monate später brach auf Betreiben von Papst Pius V. die Flotte der Heiligen Liga, bestehend aus Spanien, Venedig und Genua, auf, um der osmanischen Vormachtstellung im Mittelmeer ein Ende zu bereiten. Bei Lepanto trafen die Streitmächte der Kontrahenten aufeinander. Der Sieg der Heiligen Liga war sehr überraschend, denn damals galten die Osamanen als unbesiegbar.
Das Osmanische Reich verlor in dieser Schlacht mit 260 Schiffen rund die Hälfte seiner insgesamt verfügbaren Flotte. Seine Vormachtstellung im Mittelmeer war gebrochen. Die Osamanen waren nicht mehr in der Lage für weitere Eroberungen über den Seeweg.
Noch heute begeht die römisch-katholische Kirche am 7. Oktober zum Gedenken an den Sieg in der Seeschlacht bei Lepanto das Rosenkranzfest, um die Fürsprache der Jungfrau Maria zu verdeutlichen. Heute nennt man diesen Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz, vormals Unserer Lieben Frau vom Sieg. Mir selbst bleibt der Name eines unbeugsamen christlichen Soldaten in Erinnerung: Marco Antonio Bragadin.
Anmerkung am Rande: Noch heute ist das EU-Mitglied Zypern zum Teil von einer dritten Macht besetzt, die selbst nach einer EU-Mitgliedschaft strebt. Das stimmt mich dann doch sehr, sehr nachdenklich.