Kleine Leningrader Geschichte.
Mamma erinnerte mich heute Abend - es war mal wieder ein Eisregen-Abend - daran, wir saßen gemütlich in der angebauten Wohnküche mit dem schrägen Dach und den offenen Balken und hatten zusätzlich zur Heizung noch den summernden tragbaren Gasofen an. Eine kleine Geschichte aus Leningrad, wo wir wohl im Jahre 88 gewesen sein müssen, schätze ich, genau weiß ich es nicht mehr. Jedenfalls besuchten wir damals auch das Alexander-Newskji-Kloster, mit einer der wenigen Kirchen, die noch geöffnet war. Ich habe mich damals leider noch nicht so sehr mit dem Christentum beschäftigt, was ich also wahrnahm, war, was alle in einer orthodoxen Kirche wahrnehmen: Ikonen, Gold, nochmal Gold, Weihrauch und ganz viele alte bekopftuchte Mütterchen, die sich immer wieder verbeugen, die Ikonen küssen, Kerzchen herumtragen. Ganz dünne Kerzchen sind das.
Dann sind wir auf den nahegelegenen Friedhof anbei, weil ich das Grab des von mir sehr verehrten Fjodor Dostojewksij besuchen wollte. Nur die Bibel kann mit Dostojewskijs Meisterwerk "Schuld und Sühne", besser übersetzt mit "Verbrechen und Strafe", - doch adäquater ist tatsächlich "Schuld und Sühne" - mithalten. Wir haben es natürlich in den Achtzigern am Slavistischen Institut kaum aus christlicher Perspektive gelesen, das lag schon alleine daran, dass die maßgebliche Sekundärliteratur für solche Bücher aus dem atheistisch-kommunistischem Umfeld kam, die Textinterpretation dazu selbstverständlich in marxistisch-leninistischen Ansätzen gründete. Sei es drum. Mamma und ich mussten wie alle anderen auch Entgelt entrichten, eine eigentlich lächerliche Summe, 50 Pfennig umgerechnet oder so etwas, das Eintrittsgeld zum Friedhof knöpfte uns eine mollige, finster dreinblickende typische "deschurnaja" ab, solche Frauen besserten sich meist ihre Rente dadurch auf, dass sie in Hotels den Etagendienst als regelrechte Wärterinnen versahen, oder eben hier, wie am Friedhof, in Hausmeisterfunktion darauf achteten, das alles ordnungsgemäß verlief.
Jedenfalls also, das Grab ist nicht weit vom bewachten Eingang, ich ging mit Mamma hin und legte ein paar Blumen nieder. Plötzlich Aufruhr, wir hoben die Köpfe. Ein junges Studentenpärchen, Hand in Hand, mit einem Strauß Blumen überwand das Wachhäuschen, ließ die zeternde deschurnaja hinter sich, setzte mit ein paar großen Sprüngen zu uns ans Grab von Dostojewskij herüber, legte in einem kurzen Moment der Andacht und Verehrung die Blumen darauf, doch dann kreuzte schon die Alte vom Wachhäuschen auf mitsamt zweier Polizisten, die die beiden abführten. So lebhaft und siegeswillig sie eben noch auf das Grab zugesteuert hatten, so demütig und ergeben ließen sie sich als "Friedhofsfrevler" kurz darauf abführen. Nur, weil sie vermutlich nicht das Geld aufbringen konnten, um den Eintritt zu bezahlen.
Ich weiß nicht, wie die Geschichte ausging, ich vermute, auch in Russland redeten die Leute miteinander und man ließ Gnade vor Recht ergehen, vergessen habe ich diese beiden afficionados nie.
Ja, das ist eine banale Geschichte eigentlich. Für Menschen, die schon alles haben, alles wissen, und sowieso gelernt haben, bloß niemanden mehr zu lieben und zu verehren, weil man ihnen einmal untergeschoben hat, dass sie so blöd waren, einem der schlimmsten Verbrecher, den die Welt gesehen hat, nachzulaufen.
Ganz so war es glücklicherweise nicht, und auch dafür hat meine Mamma Zeugnis abgelegt heute Abend. Aber das ist eine andere kleine Geschichte.
Dann sind wir auf den nahegelegenen Friedhof anbei, weil ich das Grab des von mir sehr verehrten Fjodor Dostojewksij besuchen wollte. Nur die Bibel kann mit Dostojewskijs Meisterwerk "Schuld und Sühne", besser übersetzt mit "Verbrechen und Strafe", - doch adäquater ist tatsächlich "Schuld und Sühne" - mithalten. Wir haben es natürlich in den Achtzigern am Slavistischen Institut kaum aus christlicher Perspektive gelesen, das lag schon alleine daran, dass die maßgebliche Sekundärliteratur für solche Bücher aus dem atheistisch-kommunistischem Umfeld kam, die Textinterpretation dazu selbstverständlich in marxistisch-leninistischen Ansätzen gründete. Sei es drum. Mamma und ich mussten wie alle anderen auch Entgelt entrichten, eine eigentlich lächerliche Summe, 50 Pfennig umgerechnet oder so etwas, das Eintrittsgeld zum Friedhof knöpfte uns eine mollige, finster dreinblickende typische "deschurnaja" ab, solche Frauen besserten sich meist ihre Rente dadurch auf, dass sie in Hotels den Etagendienst als regelrechte Wärterinnen versahen, oder eben hier, wie am Friedhof, in Hausmeisterfunktion darauf achteten, das alles ordnungsgemäß verlief.
Jedenfalls also, das Grab ist nicht weit vom bewachten Eingang, ich ging mit Mamma hin und legte ein paar Blumen nieder. Plötzlich Aufruhr, wir hoben die Köpfe. Ein junges Studentenpärchen, Hand in Hand, mit einem Strauß Blumen überwand das Wachhäuschen, ließ die zeternde deschurnaja hinter sich, setzte mit ein paar großen Sprüngen zu uns ans Grab von Dostojewskij herüber, legte in einem kurzen Moment der Andacht und Verehrung die Blumen darauf, doch dann kreuzte schon die Alte vom Wachhäuschen auf mitsamt zweier Polizisten, die die beiden abführten. So lebhaft und siegeswillig sie eben noch auf das Grab zugesteuert hatten, so demütig und ergeben ließen sie sich als "Friedhofsfrevler" kurz darauf abführen. Nur, weil sie vermutlich nicht das Geld aufbringen konnten, um den Eintritt zu bezahlen.
Ich weiß nicht, wie die Geschichte ausging, ich vermute, auch in Russland redeten die Leute miteinander und man ließ Gnade vor Recht ergehen, vergessen habe ich diese beiden afficionados nie.
Ja, das ist eine banale Geschichte eigentlich. Für Menschen, die schon alles haben, alles wissen, und sowieso gelernt haben, bloß niemanden mehr zu lieben und zu verehren, weil man ihnen einmal untergeschoben hat, dass sie so blöd waren, einem der schlimmsten Verbrecher, den die Welt gesehen hat, nachzulaufen.
Ganz so war es glücklicherweise nicht, und auch dafür hat meine Mamma Zeugnis abgelegt heute Abend. Aber das ist eine andere kleine Geschichte.
ElsaLaska - 5. Jan, 21:58
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