...
>> Wie sehr die Revolution gezündet hat, soll am Beispiel des heutigen Arztes und Familienvaters, Jean-Pierre Dickès, geschildert werden, der am 17. Oktober 1965, zusammen mit 78 Seminaristen in das renommierte französische Seminar Saint-Sulpice in Issy-les-Moulineaux nahe Paris einzog. Bei seinem Eintritt empfand er diese Ausbildungsstätte für angehende Priester als einen Ort, der seiner Meinung nach hervorragend geeignet war „zur Entfaltung von Berufungen“. Das Seminar war, wie er dreißig Jahre später in seinem Buch „Die Verwundung“ schreibt, ein Hafen des Friedens, und die Stille bot Raum für Gebet und innere Sammlung. Die Mahlzeiten wurden schweigend eingenommen. Ein Seminarist las recto tono einen Betrachtungstext. Die Dozenten trugen die Soutane. Die Heilige Messe wurde in Latein gelesen, ebenso das Brevier. Zum liturgischen Rahmen und zur Spiritualität gehörten die Pflege des gregorianischen Gesangs, sowie die Anbetung bei ausgesetztem Allerheiligsten und der Rosenkranz. Jean-Pierre Dickès, der sich bei seiner Schilderung auf seine Tagebuchaufzeichnungen stützen konnte, erlebte in den folgenden Wochen und Monaten die völlige Umwälzung des Seminars und damit auch seiner Berufung. Anfang November trat eine Gruppe von ungefähr 30 Seminaristen ins erste Studienjahr der Philosophie ein, die sich als sogenannte „pressure-group“ entpuppte. Die meisten waren Arbeiter, sogenannte Spätberufene. Sie hatten sich schon in katholischen, aber auch in gewerkschaftlichen und politischen Organisationen engagiert und waren nun entschlossen, Arbeiterpriester zu werden, obwohl dieses Experiment schon längere Zeit offiziell als beendet galt. In kurzer Zeit bildeten sie innerhalb des Seminars diverse Gruppen und organisierten Versammlungen mit dem Ziel, das Seminar ihren Vorstellungen anzupassen. Da in ihrer früheren Schulbildung Latein nicht inbegriffen war, gehörte ihrer Meinung nach ein solches Fach auch nicht unbedingt zu einer (arbeiter)priesterlichen Ausbildung. Ebensowenig konnten sie einen Bezug zur Gregorianik herstellen, also wäre es doch sicher ein Leichtes, auch darauf zu verzichten. Von Vorlesungen hatten sie nur einen sehr vagen Begriff, infolgedessen wären diese im Seminar auch nicht nötig, und eine schulischen Disziplin war ihnen in jedem Fall fremd, warum also sich mit Verhaltensvorschriften quälen? Die Agitation der Gruppe war nicht ohne Erfolg. In kurzer Zeit hatten sie aufgeräumt mit der scholastischen Methode in der Philosophie, mit der Autorität der Väter und dem kirchlichen Lehramt. Alles sollte nun in das Ermessen des Einzelnen gestellt werden: das Gebet, die Liturgie, die Disziplin. Auf der Tagesordnung stand vor allem das Infragestellen der Ordnung und der Gegebenheit eines Priesterseminars.
Fast ohne Schwierigkeiten und praktisch ohne Widerstand wurde eine dreihundertjährige Institution vom Sockel gestürzt. Die Patres selbst erwiesen sich mit wenigen Ausnahmen als Komplizen und waren sich nur dunkel darüber im Klaren, daß „Gebet, Ordnung und Studium durch Anarchie ersetzt“ wurde. Einige Wochen nachdem Paul VI. am 8. Dezember 1965 das II. Vatikanische Konzil beendet hatte, war von der einst renommierten Stätte der priesterlichen Bildung und Spiritualität St. Sulpice kaum mehr etwas vorhanden. Ende Dezember 1965, also drei Monate nach Eintritt des Seminaristen Dickès, war die Messe verstümmelt, Latein war aufgegeben, die Altäre wurden umgedreht. Das Heilige Meßopfer, die Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi wurde zum brüderlichen Mahl, das „auf Augenhöhe mit dem Volk“ gefeiert wurde, mit einem Vorsteher als Vollzieher der eucharistischen Handlung. Man hatte, wie die Gruppe sich ausdrückte „die Nase voll von den Jeremiaden und weinerlichen Wehklagen der lateinischen Gesänge.“ Übrig blieb lediglich noch der diffuse Bezug auf den „Geist des Konzils“. Und die Kirche? Sie war auf der Suche nach sich selbst in einer in vollem Wandel begriffenen Welt“. Das Resultat war, daß weder die Priester noch die Bischöfe den Sinn ihres Auftrags mehr erkannten. Sie begannen, sich selbst in Frage zu stellen und an der Institution, der sie zu dienen gelobt hatten, zu zweifeln. Eine Instruktion der Heiligen Kongregation über die liturgische Ausbildung der Seminaristen wurde durch die Bischöfe unterschlagen. Nicht ein einziger verteidigte, was Rom verlangte.
Dickès resümiert: „Eintausendneunhundert Jahre Kirchengeschichte wurde im Seminar in acht Monaten
ausradiert.“<<
Aus: Brauchen wir noch Priester? Über die angefochtene Bedeutung des Priestertums. Von Inge M. Thürkauf. Erschienen in CIVITAS Juni Nr. 9/2010
Pdf mit dem ganzen Artikel leite ich auf Anfrage gerne weiter.
Fast ohne Schwierigkeiten und praktisch ohne Widerstand wurde eine dreihundertjährige Institution vom Sockel gestürzt. Die Patres selbst erwiesen sich mit wenigen Ausnahmen als Komplizen und waren sich nur dunkel darüber im Klaren, daß „Gebet, Ordnung und Studium durch Anarchie ersetzt“ wurde. Einige Wochen nachdem Paul VI. am 8. Dezember 1965 das II. Vatikanische Konzil beendet hatte, war von der einst renommierten Stätte der priesterlichen Bildung und Spiritualität St. Sulpice kaum mehr etwas vorhanden. Ende Dezember 1965, also drei Monate nach Eintritt des Seminaristen Dickès, war die Messe verstümmelt, Latein war aufgegeben, die Altäre wurden umgedreht. Das Heilige Meßopfer, die Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi wurde zum brüderlichen Mahl, das „auf Augenhöhe mit dem Volk“ gefeiert wurde, mit einem Vorsteher als Vollzieher der eucharistischen Handlung. Man hatte, wie die Gruppe sich ausdrückte „die Nase voll von den Jeremiaden und weinerlichen Wehklagen der lateinischen Gesänge.“ Übrig blieb lediglich noch der diffuse Bezug auf den „Geist des Konzils“. Und die Kirche? Sie war auf der Suche nach sich selbst in einer in vollem Wandel begriffenen Welt“. Das Resultat war, daß weder die Priester noch die Bischöfe den Sinn ihres Auftrags mehr erkannten. Sie begannen, sich selbst in Frage zu stellen und an der Institution, der sie zu dienen gelobt hatten, zu zweifeln. Eine Instruktion der Heiligen Kongregation über die liturgische Ausbildung der Seminaristen wurde durch die Bischöfe unterschlagen. Nicht ein einziger verteidigte, was Rom verlangte.
Dickès resümiert: „Eintausendneunhundert Jahre Kirchengeschichte wurde im Seminar in acht Monaten
ausradiert.“<<
Aus: Brauchen wir noch Priester? Über die angefochtene Bedeutung des Priestertums. Von Inge M. Thürkauf. Erschienen in CIVITAS Juni Nr. 9/2010
Pdf mit dem ganzen Artikel leite ich auf Anfrage gerne weiter.
ElsaLaska - 1. Aug, 14:05
*ebenfalls den Finger heb*