Lieber unbekannter Priester!
[Hin und wieder veröffentliche auch Gastbeiträge auf diesem Blog. Dieser hier kommt von einer Leserin.]
Lieber unbekannter Priester, der heute die Morgenmesse gehalten hat!
Schade, dass Sie so wenig Zeit hatten, als ich Sie nach der Messe angesprochen habe. Vielleicht haben Sie gar nicht verstanden, was ich Ihnen sagen wollte:
Als ich heute morgen zur hl. Messe gegangen bin, hatte ich nichts anderes im Kopf als dieses Email, das von jenem entsetzlichen Unfall berichtete. Selten bin ich mit so schwerem Herzen zur heiligen Messe gegangen wie heute, um dort für das lebensgefährlich verletzte junge Mädchen, seine verzweifelten Eltern und Geschwister zu beten, ja – auch wenn es vielleicht in Ihren Augen übertrieben klingen mag: zu flehen.
Sie, lieber unbekannter Priester, haben sich währenddessen gut vorbereitet auf ihren Dienst bei der heutigen Morgenmesse. Sicher haben Sie sich gut überlegt, welche einführenden Worte die Gemeinde einstimmen könnten auf das Tagesevangelium (Lk. 5,33-39), dessen Kernsätze „Niemand schneidet ein Stück von einem neuen Kleid ab und setzt es auf ein altes Kleid; denn das neue Kleid wäre zerschnitten, und zu dem alten Kleid würde das Stück von dem neuen nicht passen“, Sie dann zu einer besonders originellen Einführung bewegt haben.
Natürlich hatte ich kein Tonbandgerät in der Tasche und kann daher nur notdürftig nacherzählen, wie Ihre einführenden Worte ganz subjektiv bei mir hängengeblieben sind: "Schönen guten Morgen, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Draußen wird‘s langsam Herbst und vielleicht sind Sie auch schon durch die Stadt geschlendert, vorbei an den neu dekorierten Geschäften, und haben die schönen Auslagen mit der coolen neuen Herbstmode bewundert. Vielleicht haben Sie sich auch schon ihr Lieblingsstück ausgewählt! Und so heißt es auch schon heute im Evangelium, das wir nachher hören werden, dass es mit der Kirche wie mit einem neuen Kleid ist, das zeitbedingt immer wieder ein ganz neues Outfit bekommen muss. Ich lade Sie alle dazu ein, unsere Kirche zu verändern, ihr ein neues, attraktives Aussehen zu geben und wünsche Ihnen einen schönen, frohen, erneuernden Gottesdienst an diesem schönen Herbstmorgen! Herr erbarme dich, Christus erbarme dich, Herr erbarme dich.“
Es ist sicher schwierig, sich vorzustellen, dass in der Gemeinde Menschen sitzen, die an diesem Morgen nicht fröhlich sind. Die nichts weniger interessiert als die aktuelle Herbstkollektion – ja, sogar die innerkirchliche Erneuerung vermag sie nicht anzusprechen. Ihr gutgelaunter, von animierend-ausladenden Bewegungen begleiteter Vortrag hätte jedem Conférencier Ehre gemacht – und vielleicht hätte ich ihn an einem anderen Tag mit mehr Gleichmut hingenommen. Heute war diese Einführung wie ein Schlag ins Gesicht. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich aus der Kirche gegangen, habe mich auf die Stufen davor gesetzt und wusste einfach nicht mehr weiter.
Ich habe mir überlegt, wie es wohl der Mutter des jungen Mädchens ergangen wäre, deren Kind um ihr Leben ringend auf der Intensivstation liegt, wenn sie jetzt nach durchwachter Nacht hier gewesen wäre, um ihre Sorgen vor den lieben Gott zu legen. Und dann Ihre fröhlich-animierten Herbstmodenvergleiche hätte schlucken müssen, wehrlos, ausgeliefert. Kommt hier nicht ein maßloser Klerikalismus zum Vorschein? Eine Einstellung, dass die Gläubigen, die die Nähe Gottes suchen, um jeden Preis zu akzeptieren haben, was der Priester ihnen so alles zumutet? Die sich lammfromm seine Tagesplattitüden anzuhören haben, ob sie das, was ihm so gerade durch den Kopf geht, gerade ertragen können oder nicht? Und ihre einzige Möglichkeit zur Gegenwehr darin besteht, sich von dort wegzubewegen, wo sie sich extra hinbegeben haben, um eine halbe Stunde des Friedens zu finden, vor Gott?
Ich versuchte, gerecht zu bleiben. Sicher waren auch heute Morgen Menschen in der Messe, die schon mit bester Laune aufgewacht sind und an Ihrer „Darbietung“ ihren Spaß hatten. Es ist sicher schwierig, alle Menschen in einer Messe „unter einen Hut“ zu bekommen: Die Sorglosen und die Verzweifelten, die Mühseligen und Beladenen und die Hochzufriedenen. Die einzige Möglichkeit, diesen Spagat hinzukriegen, besteht doch vielleicht darin, die vorgegebenen Texte der Messe wirken zu lassen, ohne – oder nur mit sehr zurückhaltenden - eigenen Hinzufügungen. So könnte sich ein jeder in ihnen wiederfinden, vielleicht an unterschiedlichen Stellen: Der Fröhliche und der Todbetrübte könnten gleichermaßen darauf lauschen, wo Gott ein Wort der Bestätigung oder der Stärkung, des Trostes oder der Freude für sie bereithält. Wir – Priester und Laien - haben uns so gewöhnt an das Schlagwort „die Leute da abzuholen, wo sie sind“, aktuelle Bezüge zu finden, interessante Vergleiche. Heute habe ich am eigenen Leibe gemerkt, wie sehr das auch „in die Hose“ gehen kann: Ich werde wohl niemals wieder dieses Evangelium hören können, ohne ein Mädchen in Lebensgefahr mit herbstlichem Klamottenkauf konnotieren zu müssen. Wie oft mag so etwas auch anderen passieren?
Und so habe ich Sie angesprochen, nach der Messe, um Ihnen diesen Hinweis zu geben. Nicht, um Sie anzugreifen oder Ihnen Vorwürfe zu machen – nur als Hinweis, den Sie doch bitte für die Zukunft einmal bedenken mögen. Ihre knappe, abwehrende Antwort: "Ich hoffe, den lieben Gott auf meine Weise sichtbar zu machen“, war vielleicht nur Ihrem Ärger über meine Anmaßung geschuldet. Sollte sie ernst gemeint gewesen sein, stellen Sie sich vor, welches Gottesbild Sie dann heute vermittelt hätten: das eines gutgelaunten Showmasters mit schrägen Floskeln, dem die Not von Menschen sonstwo vorbeigeht.
Bitte, denken Sie nochmal darüber nach.
Lieber unbekannter Priester, der heute die Morgenmesse gehalten hat!
Schade, dass Sie so wenig Zeit hatten, als ich Sie nach der Messe angesprochen habe. Vielleicht haben Sie gar nicht verstanden, was ich Ihnen sagen wollte:
Als ich heute morgen zur hl. Messe gegangen bin, hatte ich nichts anderes im Kopf als dieses Email, das von jenem entsetzlichen Unfall berichtete. Selten bin ich mit so schwerem Herzen zur heiligen Messe gegangen wie heute, um dort für das lebensgefährlich verletzte junge Mädchen, seine verzweifelten Eltern und Geschwister zu beten, ja – auch wenn es vielleicht in Ihren Augen übertrieben klingen mag: zu flehen.
Sie, lieber unbekannter Priester, haben sich währenddessen gut vorbereitet auf ihren Dienst bei der heutigen Morgenmesse. Sicher haben Sie sich gut überlegt, welche einführenden Worte die Gemeinde einstimmen könnten auf das Tagesevangelium (Lk. 5,33-39), dessen Kernsätze „Niemand schneidet ein Stück von einem neuen Kleid ab und setzt es auf ein altes Kleid; denn das neue Kleid wäre zerschnitten, und zu dem alten Kleid würde das Stück von dem neuen nicht passen“, Sie dann zu einer besonders originellen Einführung bewegt haben.
Natürlich hatte ich kein Tonbandgerät in der Tasche und kann daher nur notdürftig nacherzählen, wie Ihre einführenden Worte ganz subjektiv bei mir hängengeblieben sind: "Schönen guten Morgen, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Draußen wird‘s langsam Herbst und vielleicht sind Sie auch schon durch die Stadt geschlendert, vorbei an den neu dekorierten Geschäften, und haben die schönen Auslagen mit der coolen neuen Herbstmode bewundert. Vielleicht haben Sie sich auch schon ihr Lieblingsstück ausgewählt! Und so heißt es auch schon heute im Evangelium, das wir nachher hören werden, dass es mit der Kirche wie mit einem neuen Kleid ist, das zeitbedingt immer wieder ein ganz neues Outfit bekommen muss. Ich lade Sie alle dazu ein, unsere Kirche zu verändern, ihr ein neues, attraktives Aussehen zu geben und wünsche Ihnen einen schönen, frohen, erneuernden Gottesdienst an diesem schönen Herbstmorgen! Herr erbarme dich, Christus erbarme dich, Herr erbarme dich.“
Es ist sicher schwierig, sich vorzustellen, dass in der Gemeinde Menschen sitzen, die an diesem Morgen nicht fröhlich sind. Die nichts weniger interessiert als die aktuelle Herbstkollektion – ja, sogar die innerkirchliche Erneuerung vermag sie nicht anzusprechen. Ihr gutgelaunter, von animierend-ausladenden Bewegungen begleiteter Vortrag hätte jedem Conférencier Ehre gemacht – und vielleicht hätte ich ihn an einem anderen Tag mit mehr Gleichmut hingenommen. Heute war diese Einführung wie ein Schlag ins Gesicht. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich aus der Kirche gegangen, habe mich auf die Stufen davor gesetzt und wusste einfach nicht mehr weiter.
Ich habe mir überlegt, wie es wohl der Mutter des jungen Mädchens ergangen wäre, deren Kind um ihr Leben ringend auf der Intensivstation liegt, wenn sie jetzt nach durchwachter Nacht hier gewesen wäre, um ihre Sorgen vor den lieben Gott zu legen. Und dann Ihre fröhlich-animierten Herbstmodenvergleiche hätte schlucken müssen, wehrlos, ausgeliefert. Kommt hier nicht ein maßloser Klerikalismus zum Vorschein? Eine Einstellung, dass die Gläubigen, die die Nähe Gottes suchen, um jeden Preis zu akzeptieren haben, was der Priester ihnen so alles zumutet? Die sich lammfromm seine Tagesplattitüden anzuhören haben, ob sie das, was ihm so gerade durch den Kopf geht, gerade ertragen können oder nicht? Und ihre einzige Möglichkeit zur Gegenwehr darin besteht, sich von dort wegzubewegen, wo sie sich extra hinbegeben haben, um eine halbe Stunde des Friedens zu finden, vor Gott?
Ich versuchte, gerecht zu bleiben. Sicher waren auch heute Morgen Menschen in der Messe, die schon mit bester Laune aufgewacht sind und an Ihrer „Darbietung“ ihren Spaß hatten. Es ist sicher schwierig, alle Menschen in einer Messe „unter einen Hut“ zu bekommen: Die Sorglosen und die Verzweifelten, die Mühseligen und Beladenen und die Hochzufriedenen. Die einzige Möglichkeit, diesen Spagat hinzukriegen, besteht doch vielleicht darin, die vorgegebenen Texte der Messe wirken zu lassen, ohne – oder nur mit sehr zurückhaltenden - eigenen Hinzufügungen. So könnte sich ein jeder in ihnen wiederfinden, vielleicht an unterschiedlichen Stellen: Der Fröhliche und der Todbetrübte könnten gleichermaßen darauf lauschen, wo Gott ein Wort der Bestätigung oder der Stärkung, des Trostes oder der Freude für sie bereithält. Wir – Priester und Laien - haben uns so gewöhnt an das Schlagwort „die Leute da abzuholen, wo sie sind“, aktuelle Bezüge zu finden, interessante Vergleiche. Heute habe ich am eigenen Leibe gemerkt, wie sehr das auch „in die Hose“ gehen kann: Ich werde wohl niemals wieder dieses Evangelium hören können, ohne ein Mädchen in Lebensgefahr mit herbstlichem Klamottenkauf konnotieren zu müssen. Wie oft mag so etwas auch anderen passieren?
Und so habe ich Sie angesprochen, nach der Messe, um Ihnen diesen Hinweis zu geben. Nicht, um Sie anzugreifen oder Ihnen Vorwürfe zu machen – nur als Hinweis, den Sie doch bitte für die Zukunft einmal bedenken mögen. Ihre knappe, abwehrende Antwort: "Ich hoffe, den lieben Gott auf meine Weise sichtbar zu machen“, war vielleicht nur Ihrem Ärger über meine Anmaßung geschuldet. Sollte sie ernst gemeint gewesen sein, stellen Sie sich vor, welches Gottesbild Sie dann heute vermittelt hätten: das eines gutgelaunten Showmasters mit schrägen Floskeln, dem die Not von Menschen sonstwo vorbeigeht.
Bitte, denken Sie nochmal darüber nach.
ElsaLaska - 2. Sep, 17:00
Trostlos
Das war keine besonders unglückliche Ausnahme. Auch wenn ich Priester kenne, die in der Lage sind, wenn man vorher mit ihnen spricht, dieses Leid ins Gebet zu fassen.Die sich nie so aufführen.
An einer hl. Messe mit einem unbekannten Priester in dieser Situation teilzunehmen, ist schon fast ein Risiko. Ich würde es für mich vorziehen, still vor dem Tabernakel zu beten, oder einfach nur dort auszuharren.
@cuppa