Initialzündung im Steinbruch.
Wenn Benedikt XVI. am 26. September in Prag auf Stará Ruzyně, dem internationalen Flughafen an der Moldau landet, beginnt der als schwierig eingeschätzte zweite Besuch eines Pontifex in der Tschechischen Republik: Das Land, im 9. Jahrhundert Missionsgebiet der beide Slawenapostel Kyrill und Method, gilt für den katholischen Glauben als so gut wie verloren.
Nur ein Drittel der Bevölkerung von rund 10 Millionen Menschen ist katholisch, die überwiegende Mehrheit atheistisch. In Nepomuk bei Pilsen, der Geburtsstadt des Hl. Johannes von Nepomuk – der wegen seiner unerschütterlichen Treue zum Beichtgeheimnis in der Moldau ertränkt wurde -, beträgt der Anteil an Atheisten satte 85 Prozent: die kleine Stadt hält damit den Weltrekord in Sachen Unglaube.
Das kommunistische Regime hat es in über sechs Jahrzehnten geschafft, den Katholizismus fast zu ersticken. Nicht nur Schriftsteller und Künstler - wie etwa Václav Havel, der spätere Präsident der Republik -mussten sich als Hilfsarbeiter, Müllmänner oder Straßenkehrer verdingen. Viele Priester wie der heutige Kardinal Miloslav Vlk konnten ihre geistliche Tätigkeit nur im Geheimen ausüben – Vlk verdingte sich offiziell als Fensterputzer.
Heute nun, im zwanzigsten Jahr nach den Ereignissen, die die Tschechen die „Samtene Revolution“ nennen, beschreibt der Tschechien-Experte von Kirche in Not die Gleichgültigkeit gegenüber dem Glauben als kennzeichnend. Vom Papst-Besuch erhofft man sich eine Initialzündung für das Land, viele junge Leute seien auf der Suche nach christlichen Werten.
Doch nicht nur der Kommunismus trägt schuld an der Gleichgültigkeit der Tschechen gegenüber Christentum und Kirche. Die Wurzeln reichen tiefer in die Geschichte Böhmens zurück. Nach der Missionierung im Zuge der Slawenmission blühte der Glaube. Die Verbrennung Jan Hus’ 1415 auf dem Konzil von Konstanz, obwohl ihm freies Geleit zugesichert worden war, löste ein nationales Trauma aus, das sich in den blutigen Hussitenkriege der folgenden Jahrzehnte entlud. Obwohl die radikalen Anhänger der Bewegung niedergeschlagen wurden, kam es im Jahre 1458 mit der Wahl von Jiří z Poděbrad durch die böhmischen Stände zur ersten Inthronisierung eines protestantischen Königs in Europa.
Während des Dreißigjährigen Krieges, der durch den Prager Fenstersturz unmittelbar ausgelöst wurde, errang die katholische Liga 1620 in der Schlacht am Weißen Berg einen entscheidenden Sieg gegen die Protestanten. Die Schlacht am Weißen Berg ist für die Tschechen der Inbegriff einer nationalen Katastrophe. Mit der Herrschaft der katholischen Habsburger, der Massenhinrichtung unterlegener protestantischer Heerführer und Adliger auf dem Altstädter Ring und der Flucht von Tausenden verlor das Land seine kulturelle und nationale Identität, das tschechische Volk sein Selbstbewusstsein.
Insofern ist das Verhältnis der Tschechen zum Katholizismus ein doppelt Gebrochenes: Vom 17. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg stand der katholische Glaube synonym für Fremdherrschaft und Unterdrückung, erfuhr eine Wiederbelebung in den Dreißiger Jahren - vor allem unter Intellektuellen und Schriftstellern - und wurde schließlich von den Kommunisten fast vollständig ausgelöscht.
Kein Weinberg, ein Steinbruch warte auf den Papst, so schätzt der Generalvikar des Bistums Pilsen die Lage ein.
Eine der Blüten, die selbst in manchen Flecken und Ecken eines Steinbruchs blühen, ist das Trappistenkloster Unsere Liebe Frau von Nový Dvur, unweit von Karlsbad, das erste Mönchskloster, das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs neu errichtet worden ist. Bereits 23 Häupter zählt die Mönchsgemeinschaft, die sich neben Kontemplation und Anbetung in der Landwirtschaft und Tierzucht betätigt und für ihren vorzüglichen Klostersenf bekannt ist.
Eine weitere prachtvolle Blüte ist das Zentrum für geistliche Erneuerung in Hejnice (Haindorf) das Pfarrer Milos Raban an dem uralten Marienwallfahrtsort zur Mater formosa, der Anmutigen Mutter, begründet hat. Vor rund 850 Jahren soll ein einfacher Mann das Bildnis der Muttergottes in einer Linde gefunden haben. Er bat sie um die Heilung seiner schwer kranken Familie und wurde erhört. Im 17. Jahrhundert erbaute die Adelsfamilie Gallas dort ein Franziskanerkloster und nach der Wende hat sich Pfarrer Raban, heimgekehrt aus dem Exil, für den Wiederaufbau der verwahrlosten Kirche und die Wiederbelebung der Wallfahrt eingesetzt. In Zusammenarbeit mit dem Leitmeritzer Bistum bietet das Zentrum Weiterbildungskurse und Exerzitien für Einzelpersonen, Familien und Gruppen an. Am 9. Mai 2009 hat Pfarrer Raban hier eine Wallfahrt der Versöhnung gefeiert, für Deutsche, Tschechen und Polen – zahlreiche Pilger kamen über die nahen Grenzen. Wenn der katholische Glaube in Tschechien zunächst eher in den Grenzgebieten zu Bayern, Österreich oder Polen durch traditionsreiche Wallfahrten wiederbelebt werden kann – die international berühmteste Wallfahrt bleibt diejenige in die Haupstadt zum Prager Jesulein.
Auch der Papst wird es als erste Station seiner Reise aufsuchen, bevor es nach Brno (Brünn) und Stará Boleslav (Alt-Bunzlau) weitergeht. Inzwischen hat sich die politische Krise in Tschechien schmerzhaft verschärft. Der Führer der oppositionellen Sozialdemokraten, Jiří Paroubek, hat in letzter Sekunde von ihm selbst geforderte Neuwahlen blockiert, nachdem er zuvor im Verein mit den anderen Linksparteien die Verfassung ausgehebelt und die Regierung gestürzt hatte. Das Land wird weiter von einer Übergangsregierung geführt. Die Tschechen sind enttäuscht von ihren Politikern, frustriert, aber auch zornig. Und vielleicht beginnen sie zu ahnen, dass Wohlstand und Demokratie zwar wunderbare Dinge sind, aber keine Antworten geben auf existentielle Fragen.
Die Initialzündung – in dieser Situation könnte sie Benedikt gelingen.
Nur ein Drittel der Bevölkerung von rund 10 Millionen Menschen ist katholisch, die überwiegende Mehrheit atheistisch. In Nepomuk bei Pilsen, der Geburtsstadt des Hl. Johannes von Nepomuk – der wegen seiner unerschütterlichen Treue zum Beichtgeheimnis in der Moldau ertränkt wurde -, beträgt der Anteil an Atheisten satte 85 Prozent: die kleine Stadt hält damit den Weltrekord in Sachen Unglaube.
Das kommunistische Regime hat es in über sechs Jahrzehnten geschafft, den Katholizismus fast zu ersticken. Nicht nur Schriftsteller und Künstler - wie etwa Václav Havel, der spätere Präsident der Republik -mussten sich als Hilfsarbeiter, Müllmänner oder Straßenkehrer verdingen. Viele Priester wie der heutige Kardinal Miloslav Vlk konnten ihre geistliche Tätigkeit nur im Geheimen ausüben – Vlk verdingte sich offiziell als Fensterputzer.
Heute nun, im zwanzigsten Jahr nach den Ereignissen, die die Tschechen die „Samtene Revolution“ nennen, beschreibt der Tschechien-Experte von Kirche in Not die Gleichgültigkeit gegenüber dem Glauben als kennzeichnend. Vom Papst-Besuch erhofft man sich eine Initialzündung für das Land, viele junge Leute seien auf der Suche nach christlichen Werten.
Doch nicht nur der Kommunismus trägt schuld an der Gleichgültigkeit der Tschechen gegenüber Christentum und Kirche. Die Wurzeln reichen tiefer in die Geschichte Böhmens zurück. Nach der Missionierung im Zuge der Slawenmission blühte der Glaube. Die Verbrennung Jan Hus’ 1415 auf dem Konzil von Konstanz, obwohl ihm freies Geleit zugesichert worden war, löste ein nationales Trauma aus, das sich in den blutigen Hussitenkriege der folgenden Jahrzehnte entlud. Obwohl die radikalen Anhänger der Bewegung niedergeschlagen wurden, kam es im Jahre 1458 mit der Wahl von Jiří z Poděbrad durch die böhmischen Stände zur ersten Inthronisierung eines protestantischen Königs in Europa.
Während des Dreißigjährigen Krieges, der durch den Prager Fenstersturz unmittelbar ausgelöst wurde, errang die katholische Liga 1620 in der Schlacht am Weißen Berg einen entscheidenden Sieg gegen die Protestanten. Die Schlacht am Weißen Berg ist für die Tschechen der Inbegriff einer nationalen Katastrophe. Mit der Herrschaft der katholischen Habsburger, der Massenhinrichtung unterlegener protestantischer Heerführer und Adliger auf dem Altstädter Ring und der Flucht von Tausenden verlor das Land seine kulturelle und nationale Identität, das tschechische Volk sein Selbstbewusstsein.
Insofern ist das Verhältnis der Tschechen zum Katholizismus ein doppelt Gebrochenes: Vom 17. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg stand der katholische Glaube synonym für Fremdherrschaft und Unterdrückung, erfuhr eine Wiederbelebung in den Dreißiger Jahren - vor allem unter Intellektuellen und Schriftstellern - und wurde schließlich von den Kommunisten fast vollständig ausgelöscht.
Kein Weinberg, ein Steinbruch warte auf den Papst, so schätzt der Generalvikar des Bistums Pilsen die Lage ein.
Eine der Blüten, die selbst in manchen Flecken und Ecken eines Steinbruchs blühen, ist das Trappistenkloster Unsere Liebe Frau von Nový Dvur, unweit von Karlsbad, das erste Mönchskloster, das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs neu errichtet worden ist. Bereits 23 Häupter zählt die Mönchsgemeinschaft, die sich neben Kontemplation und Anbetung in der Landwirtschaft und Tierzucht betätigt und für ihren vorzüglichen Klostersenf bekannt ist.
Eine weitere prachtvolle Blüte ist das Zentrum für geistliche Erneuerung in Hejnice (Haindorf) das Pfarrer Milos Raban an dem uralten Marienwallfahrtsort zur Mater formosa, der Anmutigen Mutter, begründet hat. Vor rund 850 Jahren soll ein einfacher Mann das Bildnis der Muttergottes in einer Linde gefunden haben. Er bat sie um die Heilung seiner schwer kranken Familie und wurde erhört. Im 17. Jahrhundert erbaute die Adelsfamilie Gallas dort ein Franziskanerkloster und nach der Wende hat sich Pfarrer Raban, heimgekehrt aus dem Exil, für den Wiederaufbau der verwahrlosten Kirche und die Wiederbelebung der Wallfahrt eingesetzt. In Zusammenarbeit mit dem Leitmeritzer Bistum bietet das Zentrum Weiterbildungskurse und Exerzitien für Einzelpersonen, Familien und Gruppen an. Am 9. Mai 2009 hat Pfarrer Raban hier eine Wallfahrt der Versöhnung gefeiert, für Deutsche, Tschechen und Polen – zahlreiche Pilger kamen über die nahen Grenzen. Wenn der katholische Glaube in Tschechien zunächst eher in den Grenzgebieten zu Bayern, Österreich oder Polen durch traditionsreiche Wallfahrten wiederbelebt werden kann – die international berühmteste Wallfahrt bleibt diejenige in die Haupstadt zum Prager Jesulein.
Auch der Papst wird es als erste Station seiner Reise aufsuchen, bevor es nach Brno (Brünn) und Stará Boleslav (Alt-Bunzlau) weitergeht. Inzwischen hat sich die politische Krise in Tschechien schmerzhaft verschärft. Der Führer der oppositionellen Sozialdemokraten, Jiří Paroubek, hat in letzter Sekunde von ihm selbst geforderte Neuwahlen blockiert, nachdem er zuvor im Verein mit den anderen Linksparteien die Verfassung ausgehebelt und die Regierung gestürzt hatte. Das Land wird weiter von einer Übergangsregierung geführt. Die Tschechen sind enttäuscht von ihren Politikern, frustriert, aber auch zornig. Und vielleicht beginnen sie zu ahnen, dass Wohlstand und Demokratie zwar wunderbare Dinge sind, aber keine Antworten geben auf existentielle Fragen.
Die Initialzündung – in dieser Situation könnte sie Benedikt gelingen.
ElsaLaska - 20. Sep, 16:03
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