Strieten wider den Heiligen Geist [I]
An sich könnte ein Beitrag mit dem Titel „Was ist katholisch? Bestimmungsversuch im Horizont der Moderne“ eine interessante Lektüre versprechen, vor allem, wenn dieser Bestimmungsversuch von einem katholischen Fundamentaltheologen unternommen wird. Magnus Striet, Universität Freiburg, hat ihn in der Anthologie „Memorandum: Kirche 2011 – Argumente“, erschienen im Herder-Verlag, vorgelegt.
Eine erste, oberflächliche Lektüre des Artikels, erinnert an das indische Gleichnis von den drei blinden Männern und dem Elefanten. Jeder einzelne ertastet ein anderes Gliedmaß des Dickhäuters. Vom König befragt, ob sie das Wesen des Elefanten erkannt hätten, antwortet der erste, der Elefant gleiche einer Säule – er hatte den Fuß betastet. Der zweite behauptet, das Tier habe Seilform - das war derjenige am Schwanz. Magnus Striet könnte dann jener sein, der behauptet, die katholische Kirche gleiche einer Bürste, weil er die behaarte Schwanzspitze zu ergreifen bekam.
Doch zunächst zum Inhalt des Beitrages, der in vier Teilstücke unterteilt ist. Im ersten konstatiert Striet einen modernen Antimodernismus der katholischen Kirche, im zweiten fragt er nach Kirchen- und Gotteskrise, im dritten Abschnitt widmet er sich der Betrachtung von „umstrittenen Identitätsmarkern“ der katholischen Kirche, um zum Abschluss festzustellen: Das Katholische gab es nie.
Seit dem 19. Jahrhundert begleite den römischen Katholizismus die Diagnose Kirchenkrise, wobei der eigentliche Krisenherd noch nicht erkannt sei, so Striet.
Der Topos von der Kirchenkrise ist zu einem nützlichen Handwerkzeug in der innerkirchlichen Auseinandersetzung geworden, erlaubt es doch je nach Ausrichtung (und ideologischer Vereinnahmung) entweder mehr Reformen in Richtung Protestantisierung zu fordern oder die Verdunstung des Glaubens in einer säkularen Gesellschaft - aus Gründen fehlender überfälliger Reformen - zu beklagen.
Nun, von Seiten der Kirchenkrisen-Diagnostiker wird dabei beflissentlich der Seitenblick auf die desolate Situation der großen oder auch kleineren protestantischen Gemeinschaften vermieden; auch Striet wagt den Blick über den Tellerrand nicht, dies sei für ihn nämlich „kein Argument“ gegen Reformen. Warum nicht?
Das möchte er nicht verraten. Stattdessen stellt er - zu Recht - fest, dass die Sehnsucht nach Gott nicht einfach verschwunden sei, auch nicht angesichts des Phänomens des Säkularismus in den westlichen Kulturen. Dabei würde – von wem? – die Kirche nur dann mit der Frage nach Gott und Gott selbst nur mit der Kirche identifiziert werden, wenn man sie als den Ort vermute, an dem die Gottesfrage in ihrer ganzen Ambivalenz gestellt werden dürfe, schreibt Striet. Nun muss man nicht einmal katholische Theologie oder speziell Ekklesiologie studiert haben, es genügt ein Griff zu den im Internet frei zugänglichen Dokumenten des Vaticanum II, um sich über diese Beschreibung der Kirche zu wundern. Selbstverständlich ist die Kirche nicht ein Ort, an dem die Gottesfrage gestellt wird, sondern vielmehr ist die Kirche ihrem eigenen Selbstverständnis nach die Verkünderin und Hüterin göttlich offenbarter Wahrheit in der Lehre Jesu Christi. Zuletzt hatte die dogmatische Konstitution Lumen Gentium den Charakter des mystischen Leibes Christi und des pilgernden Gottesvolkes umrissen. „Der Heilige Geist wohnt und betet in den Herzen der Gläubigen“, stellt Lumen Gentium fest, und selbst wenn man an diesem Sachverhalt Zweifel hegen könnte, so ist es doch schlicht unmöglich, die Kirche in ihren genuinen Eigenschaften, erfüllt vom Heiligen Geist, als einen Ort zu bezeichnen, an dem die Gottesfrage gestellt werde – denn die heilige Kirche ist ja bereits A n t w o r t.
Warum Striet dies weder erkennen will noch kann, beantwortet er, ebenfalls in Abschnitt Zwei, mit der Behauptung: Mit der Kirche werde stattdessen Antimoderne assoziiert.
Es sind diese Pauschalismen und subjektivistischen Gemeinplätze, die die Lektüre des Beitrags so mühselig machen. W e r assoziiert Antimoderne mit der katholischen Kirche? Otto Normalatheist? Die Spiegel-Redaktion? Der Kollege von der evangelischen Fakultät? Magnus Striet selbst? Was ist mit all jenen, die ernsthaft nach Gott fragten und im Schoß der katholischen Kirche ihre Sehnsucht erfüllt gefunden haben? Sollen das alles Menschen sein, die sich der „Aufgabe ein verantwortetes Selbst sein zu wollen“ aus einem „antimodernistischen Reflex“ heraus entzogen haben? In Südkorea, in Indien, in Vietnam, in Europa? Kann sich ein Theologie wie Magnus Striet wirklich nicht mehr vorstellen, dass gerade „moderne Menschen“ auf Gottessuche nicht aus ideologischen Gründen, sondern aufgrund der Heiligkeit der Kirche von ihr angezogen werden? Dass gerade ihr Festhalten am Sakralen in der Welt, ihr Widerstand gegen alles Profane – und eben nicht gegen an alles Moderne, hier herrscht ein Kategorienfehler, Herr Professor! – die "modernen" Menschen von der Banalität der sie umgebenden Alltagswirklichkeit, die sich in Utilitarismen und Hedonismen erschöpft, erretten könnte?
Zur Rede vom „modernen Menschen“ und dessen besonderer Verfasstheit, wie Striet sie im Namen seiner Reformagenda beschwört, hat übrigens der zu Unrecht in Vergessenheit geratene katholische Philosoph und engagierte Streiter gegen den Nationalsozialismus, Dietrich von Hildebrand, schon alles gesagt. Der „Mythos vom modernen Menschen“ ist eine Erfindung der Soziologen: „Solange man nur die ungeheure Veränderung in den äußeren Lebensverhältnissen meint, die durch die enorme Entwicklung der Technik herbeigeführt ist, weist man auf eine unbezweifelbare Tatsache hin. Aber welchen Einfluß diese äußere Veränderung auf den Menschen, auf sein Wesen, auf die Quellen seines Glückes hat, auf den Sinn seines Lebens, auf die metaphysische Situation des Menschen, ist damit in keiner Weise gezeigt. Und doch würde nur eine Änderung des Menschen in dieser Hinsicht in irgendeinem Zusammenhang stehen mit seiner Fähigkeit, die Sprache, in der durch Jahrtausende die Kirche der Menschheit die Botschaft Christi verkündet hat, zu verstehen. Eine bescheidene Kenntnis der Geschichte und ein vorurteilsloser Blick auf sie müssen jeden überzeugen, daß der moderne Mensch, der sich von den Menschen aller früheren Epochen radikal unterscheidet, eine reine Erfindung oder besser ein typischer Mythos ist.“
Wenn Magnus Striet dagegen von der conditio humana spricht, deren „konstitutive Ungewissheit die katholische Kirche versäumt anzuerkennen“ zugunsten einer „Einheitsrhetorik“, der sie huldige [Guck mal, wer da spricht!], welche wiederum um den Preis einer „gewaltigen Komplexitätsreduktion erkauft“ sei, dann tritt zu Tage, dass es sich bei seiner Rede von der Moderne und dem modernen Menschen um einen reinen Soziologismus handelt, den er nach Gusto polemisch einsetzt, um die Gebetsmühle der Reformagenda am Laufen zu halten. Denn es geht nicht darum, die konstitutive Ungewissheit des Menschen anzuerkennen, sondern ihm Heilung und Stütze zu bieten - man nennt es bei uns auch Seelsorge, Herr Professor - wenn er sich in Situationen der Grenzerfahrung und der existentiellen Unsicherheit wiederfindet. Das Phänomen dürfte auch Striet bekannt sein: Nach Katastrophen und erschütternden Unglücksfällen wie dem Amoklauf von Winnenden 2009 oder der Tragödie bei der Love Parade 2010 in Duisburg pflegen die Kirchen beiderlei Konfessionen voll zu sein. Diese sind eben dann auch n i c h t der Ort, an dem die Gottesfrage gestellt wird, sondern der Ort, an dem man sich Trost, Beistand und Hilfe in einer metaphysischen Grenzerfahrung erhofft.
Ein solcher Mensch, traumatisiert und hilflos, stolpert also in eine katholische Kirche, bleibt stehen oder sinkt nieder in die Knie vor dem Ewigen Licht an unserem Tabernakel, ein Priester kommt herbei und bietet ein geistliches Gespräch an, da fragt der Verzweifelte nach Gott. Wenn er Glück hat, gerät er dann nicht an Magnus Striet, sondern an einen kompetenten Seelsorger, der ihm nahe bringen kann, warum dieses rote, immerwährende Licht vor unseren Tabernakeln brennt: Weil hier der "Ich-Bin-Da!" gegenwärtig ist, und eben nicht der "Ist Er da - oder vielleicht auch nicht?!"
[Teil II hier.]
ElsaLaska - 8. Dez, 15:08