Italien Blog
Gestern kam eine Nachbarin von unterhalb des Hügels und brachte mir einen Strauß herrlich duftende Blumen aus dem eigenen Garten.
Sie sehen aus wie Miniosterglöckchen, duften aber sehr stark, sie parfümieren praktisch den ganzen Raum. Konnte mir den italienischen Namen leider nicht merken.
Ich dachte, so mancher Leser in Deutschland ist vielleicht gerade eingeschneit und freut sich über diese Frühlingsboten. Allerdings ist es auch hier kälter geworden und viele rechnen sogar mit Schnee die nächsten Tage.

ElsaLaska - 16. Jan, 12:34
Ich wünsche "Auguri!" und bestelle einen Punch.
Der Barkeeper wünscht Auguri zurück und, dass das neue Jahr besser werde.
Ich verziehe gequält das Gesicht.
Der Anfang sei nicht besonders gut gewesen - in Deutschland seien sehr viele Menschen ziemlich erbost.
Bei der Wiedergabe der Ereignisse bemühe ich mich, mich streng an die Übersetzung der Informationen aus dem Kölner Polizeibericht zu halten.
Große Augen von Seiten des Barkeepers: Ma, questo e' bruttissimo!
Das Schöne in Italien ist, wenn es um Übergriffe gegen Frauen (oder Schwache) geht, haben die Leute noch ein normales Empfinden. Das kommt natürlich auch hier vor, aber man versucht es nicht mit irgendwelchen Verweisen darauf zu relativieren, dass das ja überall auf der Welt geschehe, am Oktoberfest sowieso genauso und überhaupt, als ob Jagd auf Frauen in der Öffentlichkeit und deren Vergewaltigung jetzt irgendwie auf eine Art noch zu relativieren sei - was im deutschsprachigen Internet schon seit Tagen versucht wird - nein, da baut sich nicht nur der rechtsextreme Mob auf, da baut sich auch ein genauso widerwärtiger Mob auf, dem die - auch ausländischen - weiblichen Opfer gleichgültig sind, weil die Täter in dem Fall keine Deutschen waren. Auf die Menschenverachtung an Silvester in Köln folgt nun auf den Fuß Menschenverachtung im Internet, und zwar von Idioten jeglicher politischer Richtung.
Man liest aber gar nichts in den Zeitungen darüber, wundert sich mein barista.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und schaue ihn eindringlich über den Rand meiner Brille an. Das kann ich ziemlich gut.
Aber das ist halt in dem Falle Politik, ergänzt er.
Ich breite nachdrücklich schweigend die Arme aus.
Kopfschüttelnd stellt er sich an seine Espressomaschine und macht mir noch einen zweiten Punch heiß.
ElsaLaska - 5. Jan, 17:22
Der Ausdruck "Lügenpresse" ist ja mittlerweile mit einem schweren Bann belegt, also jedenfalls im Internet, aber auch in der realen Politik. Wenn man überhaupt noch ernst genommen werden möchte, spricht man lieber von "Massenmedien" oder, etwas pointierter, aber meiner Erachtens immer noch akzeptierter, von den "Leitmedien". Eigentlich eine Ironie der jüngsten Geschichte, soweit ich weiß, war der Ausdruck Markenzeichen der 68er Avantgarde im Rahmen ihres Protestes gegen die Springer-Medien, laut Wikipedia geht es aber noch weiter in der Geschichte zurück.
Aber ich wollte was anderes erzählen. Heute Abend enterte ein Trupp junger Männer im Tarnfleck meine bevorzugte aperitivo-Bar. Tarnfleck ist hierzulande mittlerweile die übliche Outdoor-Bekleidung geworden, insofern könnte es auch der Angelsportclub aus Borghonuovo sein genauso wie die Forstpolizei aus San Pietro oder eine Anti-Terror-Truppe nach einer kleinen, halbzivilen Übung. Ich habe es nicht herausgefunden, aber der Trupp belegt meinen Stehtisch, auf dem üblicherweise der Corriere ausliegt, mit Beschlag. Vorsichtshalber mit erhobenen Händen zum Zeichen meiner Harmlosigkeit frage ich höflich, ob ich mir die Zeitung denn nehmen dürfe. Aperitivo ohne Zeitung geht nämlich gar nicht. Klar, antwortet man mir höflich. Ermutigt ziehe ich mich in den Nebenraum zurück, um die aktuellen Nachrichten zu studieren. Smog in Rom und Milano, ergreifende Bestattungen, Katastrophen und Kriege. Wetter. Obwohl ich bereits wusste, dass es regnen wird, weil der Nachbar mir vorhin auf dem Traktor entgegenkam, mit der er eine Drainage auf sein Feld gezogen hatte.
Nach einem wunderbaren, enormen Punch Abruzzese, einem alkoholhaltigen Heißgetränk mit Rumaroma und Kräutern, gebe ich die Zeitung zurück.
"Oh, dankeschön", sagt der junge Mann und legt sie unbesehen zur Seite. "Hatten Sie eine interessante Lektüre?"
Ich gucke ein bisschen kariert, so ein Punch ist ziemlich effektiv, man muss ganz wenig Flüssigkeit zu sich nehmen und hat zweierlei Effekte, es wird einem sehr warm und man ist relativ beschwingt - und von der förmlichen Ausdrucksweise des Mannes bin ich auch irritiert.
"Ja, der Smog, Katastrophen, Kriege, wirklich interessant. Und schlimm."
"Richtig, sehr schlimm", sagt der junge Mann freundlich zu mir. Und dann verfällt er unerwartet in den hiesigen Dialekt, den ich nicht verstehe.
"Come?", frage ich nach.
"Das ist alles nicht wahr, was die schreiben."
"Non e' vero?", frage ich ein bisschen schwer von capé nach.
"Sì. Alles Lüge."
Ich nicke lachend "Capito!" - obwohl ich eine sehr große Freundin des Corrieres hier in der Regionalausgabe bin, gerade weil er auch mal human content bringt, aber ich kann auch mal eine Äußerung lustig finden, vor allem, wenn ich einen Punch intus habe, und verabschiede mich mit einem herzlichen "Auguri!" - alle guten Wünsche zum Neuen Jahr. Der ganze Trupp echot "Auguri!" zurück
Kaum bin ich draußen, denke ich mir, dass es vielleicht das ist, was beim virtuellen Austausch einfach fehlt: Eine konkrete Situation, eine einzelne Person, ein gemeinsames Sich-Verständigen-Suchen und sich darüber freuen, wenn es nachher gelingt, anstatt sich ellenlang über die Bedeutung einer Aussage zu streiten und dass man ja eigentlich anderer Meinung ist.
Und nächstes Jahr bin ich zwanzig Jahre online. Ich wollte eigentlich einen Essay über meine Erfahrungen schreiben, Höhen und Tiefen. Aber diese kleine Situation beinhaltete vielleicht schon alles dazu, was ich abstrakt ausdrücken könnte.
ElsaLaska - 30. Dez, 19:08
Es ist äußerst wichtig, das wird schnell klar, sie haben mich an der Ausfahrt zur Privatstraße entdeckt und drücken mir ein Schreiben in die Hand - die Tochter ist Rechtsanwältin, und ich sei doch Deutsche, oder nicht? Es ginge um ein italienischsprachiges Schreiben für deren Mandanten, das ins deutschsprachige Ausland geschickt werden soll. Ob ich nicht übersetzen könne? Ich stehe zwischen dem Biomüll und dem Auto, weil ich gerade zur Abendmesse unterwegs bin - ja, sagt die Mutter, ich kann ja heute Abend noch mal kommen, wenn ich nicht lästig werde, nicht? Und die Übersetzung abholen, nicht?
Klar, sage ich, im Bewusstsein dessen, dass die Italiener irgendwie das Rollkommando erfunden haben müssen, aber nicht eines, das lästig fallen will, natürlich nicht ...
Nach der Messe also eine halbe Stunde lang geschuftet, weil italienische Kanzleisprache so ihre Eigenheiten hat.
Was das kostet? Man schaut mich gespannt an. Nichts natürlich, es waren ja keine zwanzig Seiten, sondern nur ein paar kleine Absätze, und ich bin kein Übersetzerbüro: Alle sind erleichtert. Dafür musst du aber zum Essen zu uns kommen, ich koche original marchigianisch. Und unser Wein, den wir selber machen, purer Saft, kein Schwefel, kein Zucker drin. Den musst du probieren!
Ich freue mich, einfach gefragt worden zu sein.
ElsaLaska - 20. Dez, 23:52
In Italien ist das ein normales Bild, Bettler, meistens afrikanische Immigranten und immer Männer, stehen vor dem Supermarkt an den Reihen mit den Einkäufswägen. Sie grüßen freundlich, wenn man hinein geht, wenn man rauskommt, möchten sie den Einkaufswagen zurückschieben und dafür als kleinen Lohn den Euro bekommen, den man als Wagenpfand in die Sicherung gesteckt hatte.
Kein Problem, ich kann auf einen Euro wirklich gut verzichten. Ich werde nur ein bisschen renitent, wenn meine Gutwilligkeit praktisch schon im Voraus eingefordert wird, meine Geste also nicht mehr freiwillig ist, sondern schon fast ein moralischer Zwang, weil da eben jemand steht und einen abpasst. Viele andere Menschen können sich gegen so etwas wunderbar abschotten, ich nicht, denn ich gebe eigentlich sehr gerne etwas. Allerdings habe ich es auch schon erlebt, dass Bettler - keine Afrikaner - denen ich ein paar Euromünzen gegeben hatte, auf mich eindrangen, es sei viel zu wenig, sie wollten mehr und sich nur mit Mühe abschütteln ließen. Wobei ich dabei noch viel zu freundlich geblieben bin.
Neulich war ich wieder im italienischen LIDL und diesmal lief es anders ab. Den jungen afrikanischen Mann kannte ich schon, er steht immer dort. Vor allem zieht er stets höflich seine Mütze - eine Geste, die man freundlich finden und gut ignorieren kann - oder auch einfach einen Euro reinwerfen, wenn einem danach ist. In jedem Fall, ob so oder so, fühlt man sich halbwegs respektiert und nicht genötigt oder sogar bedrängt.
Gerne wollte ich ihm etwas geben, aber ich benutze meist einen Chip für den Wagen. Doch ich hatte einige frische Früchte eingekauft, mit Karte bezahlt und nur noch eine kleine Münze in der Tasche.
Also brachte ich ihm ein wenig frisches Obst und die Münze, schon ein wenig misstrauisch, denn manchmal verschmähen ja angeblich Bedürftige Nahrungsspenden und beharren auf Geld.
Doch statt eines mürrischen Gesichtes wegen der Kleinheit der Münze bekam ich ein freudiges Strahlen geschenkt, ein herzliches Danke gesagt und im Wegfahren konnte ich noch beobachten, mit welchem Genuss der junge Mann sich eine Banane schälte und voller Appetit verzehrte.
Und dann fiel mir noch ein, wie häufig ich schon eine Banane weggeworfen hatte, die rettungslos liegen geblieben und schwarz geworden war.
Den guten Vorsatz sich nie zerstören lassen, sich für andere Menschen über ein Geschenk freuen, und wirklich dreiste angeblich Bedürftige auch mal anranzen können, war die Lehre, die ich daraus zog. Und natürlich kaufe ich das nächste Mal für diesen jungen Mann auch gerne wieder etwas Leckeres mit ein.
ElsaLaska - 12. Dez, 19:35
ElsaLaska - 5. Jul, 22:49
ElsaLaska - 29. Jun, 16:35
Es ist so unbeschreiblich gigantisch, wenn zwei Drittel deines Blickfeldes schlicht nur Himmel sind. Über dir wölbt sich ein Dom, dessen Kuppelfresken sich andauernd verändern. Das eine Drittel Erde, dass du zu sehen bekommst, besteht aus Hügeln mit uralten Wehrstädtchen darauf, aus einer Handvoll Meer am östlichen Horizont und aus dem Hochgebirge im Landesinneren, das die meiste Zeit des Jahres sogar verschneit ist.
Draußen, über dem Meer, ganz weit unten, wetterleuchtet es.
Die Wetter - ein Phänomen. Manchmal stürmt und regnet es gegen die Nordseite des Hauses, während auf der Südseite die Sonne scheint und alles trocken bleibt.
Die Bougainvilleen blühen wie ein Feuerbrand, als wäre es das letzte Mal.
Der Mond taucht auf an diesem Gewölbe wie ein Licht, das ein mächtiger Herrscher gesetzt hat.
Überall wimmelt und raunt es in der Nacht. Einer Nacht, die durchzogen ist vom Duft der Lilien, als bereitete sie sich für ein großes Requiem vor.
Meine Feigenbäume tragen schwer an der süßen Last ihrer Frucht. Meine Lorbeerbäume blühen.
Alles ist in schwerem, heiligem Schlummer - nur über dem Meer leuchten die Gewalten.
ElsaLaska - 27. Jun, 23:17
Nachdem ich beim aperitivo eigentlich wirklich nur GANZ beiläufig und wirklich AM RANDE angemerkt hatte, dass der antike Steinwaschtischtrog auf meinem Grundstück leider nicht an einen besseren Platz zu transportieren sei, weil er 300 Kilo wiegt, ich ihn aber gerne unterm Gartenwasserhahn hätte, was pittoresker aussähe, trafen meine italienischen Freunde zu dritt nochmals gegen später, eigentlich war ich schon im house dress, spontan ein, um das Ding irgendwie - und ich weiß nicht genau, wie - doch noch an seinen vorgesehenen Platz zu rollern, zu hieven und zu lüpfen.
Er steht jetzt verkehrt rum, aber das macht nichts.
Den Italiener in seinem Lauf ....
Es ist schön und tut wohl, solche Freunde hier zu haben. Auch wenn es mir ein bisschen peinlich war, weil ich schon im Entspannungsmodus und entsprechend gekleidet war.
Bei der Feigenernte haben sie auch noch geholfen.
Ich weiß jetzt also auch, warum in vielen Feigenbäumen kleine Plastikflaschen hängen: "Du musst Wasser, Essig und Zucker reinfüllen, ein kleines Loch reinbohren, und dann gehen die "bestie" in diese Flaschen, statt deine Feigen aufzufressen."
Manchmal denke ich mir, sie müssen mich für außerordentlich ungeschickt halten und dämlich.
Ein ander Mal denke ich mir dann, nein, es gibt ihnen doch auch viel, ihr Wissen zu teilen und mir Tipps zu geben. Sie tun es gern.
ElsaLaska - 24. Jun, 23:16
ElsaLaska - 22. Mai, 15:17